Auf fremden Pfaden. Karl May

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Auf fremden Pfaden - Karl May


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nehme dich beim Worte! Kommt, aber paßt auf, daß uns der Bursche nicht entflieht!«

      Ich schritt voran, und die andern folgten. Als ich die Stelle erreichte, wo sich die Spur des Knechtes deutlich erkennen ließ, deutete ich in den Schnee.

      »Bückt euch nieder und seht, wie deutlich dieser Schuh redet. Seine Sprache ist sicherer als diejenige der Zaubertrommel; aber ihr verschließt eure Augen und Ohren, um nicht zu sehen und nicht zu hören!«

      Ich ging voran; Pent und Stalo folgten, den Knecht zwischen sich, und die beiden Frauen bildeten den Beschluß. So erreichten wir den Hörnerzaun, wo Stalo in einige Aufregung geriet.

      »Hierher führst du uns, Härra?« rief er. »Weißt du nicht, daß dieser Ort verboten ist?«

      »Ein ehrlicher Mann soll diesen Ort nicht betreten, aber ein Dieb darf den Raub hier verbergen? O, Nachbar Stalo, du bist wirklich kein guter Christ, du bist ein arger Heide! Siehe, hier hört die Spur des Schuhes auf, und hier – hier hängt ein Beutel. Siehe, ob es derjenige deines Knechtes ist!«

      Die Wirkung dieser Worte und der damit verbundenen Bewegungen läßt sich gar nicht beschreiben. Ich hatte mich gebückt, um den Beutel wegzunehmen, und hielt ihn nun empor.

      »Er ist es, es ist sein Beutel!« rief Stalo.

      Seine Frauen stimmten bei, und Vater Pent bat mit sehnsüchtig ausgestreckten Armen:

      »Härra, öffne ihn, ob meine beiden Wuossah darinnen sind!«

      »Sie sind darin. Hier öffne selbst!«

      Er griff gierig zu, entfernte die Schnur und zog wirklich seine beiden Geldbeutel heraus.

      »Ich muß zählen!« rief er, sich niederkauernd.

      Sofort kauerte auch Nachbar Stalo mit den beiden Frauenzimmern an seiner Seite. Sie waren natürlich ungeheuer neugierig, zu wissen, wie viel der alte Pent versteckt gehabt hatte. Kein Mensch beobachtete den Knecht, der sich heimlich von dannen schlich. Ich ließ ihn gewähren; er mochte immer entkommen; seine Strafe hätte ja immer nur darin bestanden, daß er fortgejagt wurde. Aber ich folgte ihm langsam nach, um darüber zu wachen, daß er keinen weiteren Schaden anrichte. Er beeilte sich, ein Ren zu erwischen, legte demselben ein Pakke über, hing es an einen alten Schlitten und setzte sich auf, nachdem er noch schnell einigen Proviant zu sich genommen hatte. Es waren seit der Entdeckung des Beutels kaum drei Minuten vergangen, so sauste er davon.

      Ich war nur bis an den Rand des Gehölzes gegangen, von wo aus ich ihn beobachten konnte. Jetzt hörte ich hinter mir Vater Pents jubelnden Ruf:

      »Tjuote-kwekte-lokke-nala ... hundert und zwölf! Es ist richtig! Es ist mein ganzes Silber! Härra! Wo ist der Härra?«

      »Hier!« rief ich.

      Sie kamen herbeigelaufen.

      »Härra, du hast recht!« rief er. »Ich werde mein Saiwa tjalem in das Feuer werfen!«

      »Und auch die Zaubertrommel nicht mehr fragen?«

      »Niemals! Hier, Härra, hast du zwei Stück von diesen hundertzwölf! Ich bin sehr dankbar, und du hast sie verdient!«

      Ich schob lachend seine Hand mit den zwei Thalern zurück.

      »Behalte sie! Ich nehme sie nicht.«

      »O, Härra, wie gütig bist du! Laß uns nach Hause eilen! Ich muß Mutter Snjära erzählen, wie glücklich ich bin! Aber wo ist der Knecht?«

      »Dort!«

      Ich deutete nach dem Schlitten, welcher nur noch einen Punkt auf dem fernen Schnee bildete.

      »Entflohen!« riefen sie alle.

      »Laßt ihn!« bat ich. »Er mag sich in der Ferne einen anderen Herrn suchen. Aber du hast recht; wir müssen eilen, denn Mutter Snjära weiß gar nicht, wo wir uns befinden.«

      Aber der Abschied ging denn doch nicht so schnell von statten, da wir erst noch einen kleinen Imbiß und einen Juckastaka nehmen mußten. Erst als dies geschehen und das Abenteuer noch ausführlich besprochen worden war, traten wir mit unseren Schneeschuhen den Rückweg wieder an.

      Wer fest in den Knien ist, dem fällt der Schneeschuhlauf nicht schwer, und Vater Pent flog jetzt bedeutend leichter hin als vorher, wo er kein schweres Silber zu tragen hatte. In zwei Stunden erreichten wir die Hütte, deren Bewohner bereits begonnen hatten, sich um uns zu sorgen.

      Als wir beim Bärenfleisch um das Feuer saßen, erzählte er das ganze Ereignis. Die Folge seiner Darstellung war ein stürmisches Lob, welches mir von allen Seiten entgegengebracht wurde. Onkel Sätte und der junge Neete reichten mir dankbar die Hand; Kakka Keira und Anda nickten mir freundlich-demütig zu; die schöne Marja aber lächelte so zauberisch fett, daß ihr Gesicht einem geschälten Schinken glich, der aus der Sauce kommt. Und die alte gute Mutter Snjära – –? O weh! Sie wandte sich an ihren Eheherrn in süßem Tone:

      »Attje, to mon etsap ... Vater, ich liebe ihn!« Und dann wandte sie sich zu mir: »Tjalmit tappo; to mon kalkap tjulestet ... mach die Augen zu; ich werde dich küssen!«

      Sie warf sich mit einer Vehemenz auf mich, als wolle sie mich ›karket‹ anstatt ›tjulest‹ und dieser einzige ›Tjulastak‹, den ich aus Lappland mit nach Hause gebracht habe, hatte ganz genau denselben Tonfall und dieselbe hydrodynamische Mächtigkeit, als wenn man Wasser aus einer Wärmeflasche laufen läßt. Ich gestehe, daß ich noch anderes zumachte als nur die Augen.

      Vater Pent sah schmunzelnd zu und langte dann in eine seiner großen Taschen, aus welcher er den ›Talisman‹ hervorzog, den er in der Hütte des Nachbars dem Knecht abgenommen hatte, ehe wir uns nach dem Hörnerzaun begaben.

      Er warf ihn wirklich in das Feuer und meinte dabei:

      »Härra, hier thue ich, was ich dir gelobt habe. Du hast mir bewiesen, daß dieses Saiwa tjalem kein heiliges Schreiben ist; das Feuer mag es fressen. Du aber bleibe bei uns, so lange es dir gefällt, denn wir haben dich lieb und du bist so klug und freundlich, als ob du unser Sohn und Bruder seist – – mon kalkap wuortnot ... ich werde es beschwören!«

      Das Feuer verzehrte die Zeilen des unbekannten ›Spaßvogels‹. Die Manen Heines aber werden es verzeihen, daß Vater Pent diese Verse nicht länger als ›Saiwa tjalem‹ auf dem Herzen trug. –

      Wie eine riesige Sphinx, deren Rätsel seit Jahrtausenden ihrer Lösung harren, liegt an der südlichen Spitze der alten Welt und bespült von zwei mächtigen Oceanen die an Gegensätzen ebenso wie an Geheimnissen reiche Ländermasse von Afrika. Hunderttausende von Quadratmeilen dürsten hier unter dem Fluche der Unfruchtbarkeit oder bilden weite Steppenplateaus, deren spärliche Vegetation nur in der feuchten Jahreszeit dem Springbocke und den ihm verwandten Arten ein Dasein gestattet. Unzählige Bäche und Wadis stürzen im Frühjahre donnernd und schäumend zu Thal, um schon nach kurzem Laufe im dürren Sande zu versiegen und ihren Lauf mit wüstem Geröll und Steingetrümmer zu bezeichnen; und wo die Gesittung es wagt, den kühnen Fuß auf den widerstrebenden Boden zu setzen, da muß sie sich zum Kampfe mit Gewalten rüsten, welche über Tod und Verderben gebieten. Und hart neben diesen sterilen Strecken schafft eine riesige Natur die gigantischsten pflanzlichen und tierischen Erscheinungen des Erdballes. Während die Wüstenglut selbst den Keim des kleinsten Gräschens im brennenden Sande erstickt, treiben nicht weit davon die Massen der ›heimatslosen Fanna auf den Wassern des Sees; dichte Talebwälder strecken ihre Palmenkronen zum Himmel empor, und der mächtige Baobab breitet auf unzerstörbar scheinendem Stamme seine massigen Äste dem flammenden Lichte entgegen. Hier vermag man in dem Tode der Steppe kaum an das Vorhandensein eines niedrigen Insektes oder Wurmes zu glauben, und dort schon am Saume der Einöde erschallt die Stimme des Löwen; die Giraffe weidet in den Wipfeln der Bäume und Sträucher; weiterhin erdröhnt der Boden unter den Tritten des Elefanten und Nashornes, und der Hippopotamus wälzt sich im tiefen Schlamme stagnierender Gewässer.

      Ein Erdteil von der armen Küstenentwickelung


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