Auf fremden Pfaden. Karl May

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Auf fremden Pfaden - Karl May


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wird.«

      »Warum?«

      »Weil er ein Dieb ist.«

      »Härra, willst du mich und mein Haus beschimpfen!«

      »Nein. Warum sollte ich dich beleidigen wollen? Du bist ja unser Kweime! Ich habe mit dir gegessen und getrunken; ich habe dich und die Deinigen lieb gewonnen; ich bin nur auf dein Glück und deinen Frieden bedacht, und darum sage ich dir, daß dein Knecht ein Dieb ist.«

      Der Knecht antwortete nicht und bewegte sich nicht; auch die beiden Frauen waren wortlos; Stalo aber rief:

      »Härra, beweise es!«

      »Sogleich! Dieser Mann war gestern entfernt von deiner Hütte?«

      »Ja. Ich sandte ihn vorgestern über den Fjäll zu Arpen Rauna, welche ein Partnekuts erhalten hat, dem er als Zahngeschenk ein Ren hinüberschaffen mußte.«

      »Wann kehrte er zurück?« »Sehr spät; es war heute zur Zeit des Melkens.«

      »Attje Pent mag dir erzählen, weshalb der Knecht so viele Zeit verloren hat.«

      Pent erzählte sein unglückliches Abenteuer. Der Knecht hörte es sehr ruhig an, ohne mit der Wimper zu zucken; die anderen aber gerieten in die höchste Aufregung. Als der Erzähler geendet hatte, fragte Stalo den Knecht:

      »Was sagst du dazu?«

      »Ich that es nicht.« antwortete er sehr ruhig.

      »Du leugnest!«

      »Ich schwöre, daß es ein anderer war. Ich bin gar nicht nach dem Spalteise gekommen.«

      »Aber sie haben deine Spur verfolgt!« »Sie irren! Sucht, ob ihr das Silber bei mir findet!«

      »Das werden wir thun,« sagte sein Herr.

      Seine Kleidung und dann auch die Hütte wurde aufs genaueste untersucht, aber es war nichts zu finden.

      »Wo ist er gewesen, seit er zurückkehrte?« erkundigte ich mich.

      »Nur bei der Herde.« antwortete Stalo.

      »Nicht weiter?«

      »Nein. Willst du nicht die Hütte auf eine kurze Zeit verlassen?«

      »Warum?« fragte ich.

      »Ich will mit der Kunnus reden.«

      Er wußte, daß Vater Pent mich zu seinen wirklichen Freunden zählte, und darum sagte er mir so aufrichtig, was er zu thun beabsichtigte. Sehr viele Lappen bangen noch mehr oder weniger an ihren alten heidnischen Gebräuchen, zu denen auch das Fragen der Zaubertrommel gehört. Ich hätte dieser Manipulation sehr gern mit beigewohnt, mußte mich aber natürlich in den Willen des Hausherrn fügen. Auch die Frauen durften nicht zugegen sein; sie verließen die Hütte und begaben sich zur Herde. Sie hätten gerne ein Gespräch mit mir angeknüpft, aber ich zog es vor, meine Schneeschuhe anzulegen, um die Umgebung des Lagers genau abzusuchen, denn es verstand sich von selbst, daß der Knecht hier irgendwo das Geld versteckt hatte.

      Spuren gab es genug, sowohl von Stiefeln als auch von Schneeschuhen, und ich mußte sehr aufmerksam sein. Ich beschrieb zunächst einen engeren und dann einen weiteren Kreis um die Hütte und die Herde, wobei die Frauen mich kopfschüttelnd beobachteten – ich bemerkte nichts. Erst bei einem dritten, noch weiteren Kreise stieß ich auf eine Einzelspur, an deren einer Seite ich das bewußte Zeichen erblickte. Sofort folgte ich ihr. Sie führte nach einer schmalen, aus dem Walde tretenden Rinne, in welcher ein eisüberdecktes Wasser floß. Nach noch nicht fünf Minuten blieb ich überrascht halten, denn ich hatte das größte Geheimnis eines Lappen entdeckt, nämlich sein Tiorfwigardi, eine kleine, aus Rentierhörnern errichtete Umzäunung, die einen heidnischen Opferplatz umschloß. Den Mittelpunkt desselben bildete ein sogenannter Sait, ein im Wasser gefundener Stein von sonderbarer Gestalt. Obwohl diese Steine jetzt wohl nicht mehr wirklich verehrt werden, ist doch noch immer ein jeder Tiorfwigardi ein heiliger Ort, den eigentlich nur der Hausherr betreten darf. Aber gerade hierher führten die Spuren des Knechts. Ich ahnte, daß ich sein Versteck vor mir hatte. Wer konnte wohl vermuten, daß ein Lappe gestohlenes Gut an einem so heiligen Ort verbergen werde!

      Die Fährte ging bis zur zweiten Ecke des Hörnerzaunes, wo sie aufhörte, um später wieder umzuwenden. Ich brachte meine Schneeschuhe genau in dieselbe Lage und befand mich also nun gerade in der Stellung, die der Knecht eingenommen hatte, als er das Geld versteckte. Nun betrachtete ich zunächst den Schnee, soweit er im Bereiche meiner Hände lag; er war unversehrt – doch nein, da unten lagen einige Schneesternchen, als seien sie nicht herabgeweht, sondern durch eine mechanische Berührung herabgestreift worden. Ich bückte mich und schaute durch die Geweihe – richtig, da hing das Gesuchte, aber so gut versteckt zwischen den dicht ineinander stoßenden Geweihzacken, daß es durch den bloßen Zufall gar nicht entdeckt werden konnte. Es war ein großer Tabaksbeutel, und als ich ihn berührte, fühlte ich deutlich die zwei Geldbeutel, welche er enthielt.

      Ich ließ ihn hängen und kehrte schleunigst zurück. Als ich die beiden Frauen erreichte, fragte ich sie nach dem Knechte und erfuhr, daß er sich noch immer in der Hütte befinde. Doch brauchten wir nicht lange mehr zu warten, bis wir wieder eintreten durften.

      Der Knecht Pawek blickte mir höhnisch entgegen.

      »Härra, ich habe ihm meinen Saiwa tjalem gegeben, und es hat ihn beschützt.« erklärte mir Vater Pent. »Dieses Saiwa tjalem ist gut!«

      »So!« sagte ich ernsthaft. – »Wo hat er es denn?«

      »Hier am Halse hängt es ihm; aber er wird es mir wiedergeben, nachdem es ihn beschützt hat.«

      »Und was hat die Zaubertrommel gesagt?« fragte ich Nachbar Stalo.

      »Er ist unschuldig.« antwortete er. »Der Dieb ist aus dem Osten gekommen, sagt die Trommel; er ist ein Kainolatspiätnak, der sogleich mit dem Silber entflohen ist.«

      »Ist dies gewiß?«

      »Die Trommel irrt sich nie. Sie ist sicherer als das Wort eines Storfar, der aus der Bibel redet!«

      »Lästere nicht, Attje Stalo!« warnte ich ihn. »Die Rede eurer Trommel ist nicht so viel wert wie das Wort eines gewöhnlichen Schneeschuhes!«

      »Du scherzest, Härra, denn ein Ski kann niemals reden.«

      »Er redet sicherer und wahrer als deine Trommel, und er beschützt die beiden Wuossah des Vater Pent viel besser als sein schlechter Saiwa tjalem thun konnte!«

      »Mein Saiwa tjalem ist gut.« behauptete Pent. »Laß doch einmal einen Schneeschuh reden, Härra!«

      »Gut, du sollst ihn reden hören und dann dein Papier in das Feuer werfen.«

      Ich ging hinaus und holte den betreffenden Ski herein.

      »Ist dieser Ski dein Eigentum?« fragte ich den Knecht nochmals.

      »Ja.« lachte er höhnisch.

      »Seht ihr diese Narbe an der Sohle? Sie ist der Mund, durch den er redet. Sie hat sich in den Schnee abgedrückt dort, wo Pawek den Vater Pent bestahl, und sie hat sich abgedrückt auf dem ganzen Wege bis hierher. Sie hat mir gesagt, daß kein anderer der Dieb ist, als er, und sie sagt mir auch, an welchem Orte er das Silber versteckt hat.«

      »Laß dir doch einmal den Ort von ihr sagen!« grinste der Knecht.

      »Das wird sie sofort thun,« antwortete ich. »Zunächst sagt sie mir, daß du die beiden Wuossah mit dem Silber in deinen Tabaksbeutel gesteckt hast. Zeige mir den Beutel!«

      Jetzt wurde er plötzlich außerordentlich verlegen.

      »Ich habe ihn verloren.« antwortete er zögernd.

      »Das ist eine Lüge, denn dieser Schneeschuh sagt mir, daß du ihn hier in der Nähe versteckt hast. Folgt mir! In der Zeit, in welcher man drei ›Attje mijen, jukko leh almesne‹ betet, sollt ihr an dem Orte sein, wo er seinen Tabaksbeutel mit dem Silber versteckt hat!«

      »Härra, ist dies wahr?« rief Pent.

      »Ja!«


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