Bunte Zeiten - 1980 etc.. Stefan Koenig

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Bunte Zeiten - 1980 etc. - Stefan Koenig


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Vertreter der Christlichen Friedenskonferenz mitgewirkt. Er verstand sich als Christ, der zwischen den christlichen und den sozialistischen Wertvorstellungen keine gravierenden Unterschiede sah.)

      An jenem Abend, nachdem ich diesen außergewöhnlich heißen Saunagang hinter mich gebracht hatte, hatte ich das dringende Bedürfnis, mit Siu zu sprechen. Ich rief sie an. Sie nahm sofort das Gespräch an, was ich erleichtert aufnahm, da ich bereits – wie in der Woche zuvor – mit einem ergebnislosen Klingelmarathon gerechnet hatte. Sie hatte sich so verdächtig rar gemacht.

      Jetzt aber fiel sie mit der Tür ins Haus.

      „Ich glaube, du kannst nicht treu sein. Du bist ein Filou. Hast du eine andere Freundin?“

      Einen kurzen Moment war ich baff. Hatte jemand aus dem Saunakreis meine Siu angerufen und eine Falschmeldung platziert? Das konnte nicht sein. Niemand außer mir hatte Sius Telefonnummer.

      „Wie kommst du darauf?“, fragte ich entrüstet.

      „Du bist ein Filou.“

      „Was meinst du damit?“ Ich ahnte, dass sie – aus welchem Grund auch immer – gerade in Eifersucht gefangen war. Sie konnte sich gut in diese Sucht hineinsteigern. Die nichtigsten Anlässe waren ihr recht, um ihr Suchtpotenzial auszutoben. Aber nun wollte ich schon ganz gerne wissen, was der Anlass war.

      „Was ich meine? Dass du immer untreu sein wirst“, sagte sie.

      Ich war sprachlos.

      „Ja“, fuhr sie fort, „du kannst dazu nichts. Du bist halt wie alle Europäer.“ Ihre Stimme klang plötzlich nicht mehr lieblich und weich, und ich hörte kein Kichern und Lächeln heraus. Es klang kalt und abweisend. „Ihr denkt immer nur an andere Frauen. Ich glaube aus uns beiden wird nichts. Es ist besser, wenn wir Schluss machen. Gehe deinen Weg. Tschüss. Mach‘s gut.“

      Siu legte auf. Ein Knacken in der Leitung. Das abrupte Ende einer facettenreichen Beziehung.

      Ich war derart aufgekratzt, dass mir nichts anderes einfiel, als bei meinen Nachbarn zu klingeln.

      Vicky öffnete.

      „Did someone of you call Siu this evening or in the last days?”

      “I didn’t”, sagte Vicky und ging mir voran in den Wohnraum, wo Mary, Sam und James saßen. Keiner von ihnen hatte jemals mit Siu telefoniert; niemand kannte ihre Telefonnummer. Wie sie mir versicherten, hätte auch niemand hinter meinem Rücken je so gehandelt. Sie wollten wissen, was vorgefallen sei. Ich erzählte den eben in drei schäbigen Telefon-Minuten erlebten Beziehungsschluss.

      Vicky schaute zu Mary. Beide schauten zu Sam und als er nickte, brach es aus Vicky heraus. Sie und Mary hatten Siu mit einem braunhäutigen athletischen Schönling Arm in Arm als verliebtes Pärchen in Sausalito, jenseits der Golden Gate Bridge, gesehen, als sie in einem Café saßen und Siu mit ihrem neuen Lover dort vorbeispazierte.

      „Are you sure it was Siu?“, fragte ich mit gewissem Entsetzen in der Stimme.

      Sie sahen mich ernst an.

      „Ganz, ganz sicher“, antwortete Vicky. „Wir sahen sie sogar ein zweites Mal, als beide vor der Tür standen und überlegten, ob sie das Café betreten sollten.“

      „Warum habt ihr mir das nicht erzählt?“ Ich ahnte jetzt, weshalb Mary zuvor so draufgängerisch gewesen war.

      „Wir dachten, dass du es von ihr erfahren wirst. Wir sprachen auch über die Möglichkeit, dass du es bereits wusstest, uns jedoch nicht vorzeitig darüber informieren wolltest. Your privacy, you know.“

      Was jetzt geschah, blieb für mich wochenlang im Nebel. Mary stand auf, nahm mich an der Hand und führte mich in ihr Zimmer, direkt aufs Bett und begann mich zärtlich zu streicheln. Merkwürdigerweise konnte oder wollte ich mich nicht dagegen wehren. Ich nahm nur wahr, dass ich wie ein Automat mit Mary Liebe machte.

      Einige Tage später telefonierte ich nach Westberlin, sprach mit meiner Ex-Freundin Doro, der ich mich noch verbunden fühlte. Ich schilderte ihr die für mich tragische Neuigkeit bis hin zur Bettgeschichte mit Mary. Da sagte Doro lapidar: „Dazu gibt’s was Lustiges zu erzählen: Beklagt sich ein Glühwürmchen bei seinem Freund: »Meine Augen werden schlechter.«

      »Wieso?«

      »Gestern habe ich eine halbe Stunde mit einer Zigarettenkippe geflirtet.«“ Doro lachte. „Nun sag: Trifft das auch auf das Bums-Erlebnis mit Mary zu – werden deine Augen schlechter?“

      „So ein Quatsch. Lass uns nicht unser Telefongeld mit solch kruden Blödeleien verplempern.“

      Das war natürlich eine völlig unzutreffende Bemerkung. Schließlich telefonierte ich wieder einmal von einer Telefonzelle auf der Polk Street aus. Und zwar völlig umsonst, besser gesagt: auf Kosten von IBM. Den ziemlich simpel-dreisten Trick hatten mir meine Nachbarn verraten. Das Geheimnis sollte ich für mich behalten. Was mir schwer fiel, denn es gab späterhin noch einige sehr hilfsbedürftige und geldknappe Deutsche, bei denen ich nicht umhin kam, den hilfreichen Trick unter dem Siegel der absoluten Verschwiegenheit weiter zu verraten.

      „Die Sache ist mir zu ernst“, sagte ich in die Muschel. „Ich leide. Mein erster ernsthafter Liebeskummer, glaube ich.“ Meine Humorgrenze war unter aller Sau. Ich litt wirklich. Dazu kam plötzlich ein Gefühl, das ich bis dahin noch nie empfunden hatte, von dem ich wusste, dass es wohl existierte, das ich mir bisher aber ganz und gar nicht hatte vorstellen können: Heimweh.

      Doro entschuldigte sich für den „dummen Witz, mit dem ich dich doch nur zum Schmunzeln bringen wollte.“ Dann analysierte sie in der mir bekannten Art meine psychosozialen Schwächen: Ohne lebendiges und allgegenwärtiges Umfeld würde ich mich allzu schnell als „nichtsnutzig“ empfinden.

      „Knapp daneben ist auch vorbei“, sagte ich. „Eigentlich liegst du sogar voll daneben. Nichtsnutzig habe ich mich noch nie gefühlt. Du müsstest aus unserer siebenjährigen Beziehung wissen, dass für mich »Langeweile« ein völlig unbekannter Begriff ist. Ich habe immer eine Aufgabe und sehe auch an jeder Ecke auf mich lauernde Aufgaben. Insofern trifft es nicht zu, dass ich mich jemals als nichtsnutzig empfunden habe. Außer vielleicht … nun ja …“

      „Außer heute, wo dir deine Liebe unerwartet weggebrochen ist. Stimmt’s?“

      „Nichtsnutzig ist wirklich Quatsch, ich habe ja meine Aufgaben und Forschungspflichten. Es ist eher das ganz Persönliche. Privat fühle ich mich etwas verloren. Und die Sauna- und Bettgeschichte mit Mary geht mir irgendwie unangenehm nach.“

      „Die Sache in der Sauna lässt sich aber gut erklären. Ich habe vor kurzem etwas zu menschlichem Verhalten in Ausnahmesituationen gelesen. Über Extremsituationen, wo es um Leben und Tod geht.“

      „Was meinst du damit?“

      „Ihr hattet das bedrohliche Erdbeben. Da kam dir unter dem Türrahmen Mary mit ihrem unverblümten Griff in die Eier doch schon sehr nahe. Das war das erste Zeichen. Dann lebte die existentielle Bedrohung noch eine Weile in euch weiter, und als ihr die Überlebens-Pool- und Sauna-Party aus Freude darüber, dass euch nichts passiert war, habt steigen lassen, gab es das spontane urwüchsige Bedürfnis nach Fortpflanzung.“

      „Bei mir nicht!“, wandte ich ein.

      „Bei dir deshalb nicht, weil du dein Überlebens- und Fortpflanzungspotential für Siu aufheben wolltest. Aber bei Mary griff offenbar dieses evolutionär bedingte Ur-Verlangen.“

      „Große Worte“, sagte ich.

      „Worte der Psychowissenschaften. Bin ich mit meiner Arbeitsgruppe gerade draufgestoßen.“

      Doro erzählte mir noch ausgiebig von ihrem ehrenamtlichen studienbegleitenden Praktikum als Sozialpädagogin in der Bahnhof-Zoo-Szene: Viel Elend, große psychische Belastung, viel zu tun, starke Nerven, großer Erfahrungszugewinn, praktische Hilfe gefragt, Staatsversagen und so weiter.

      Zum Schluss unseres fast fünfundvierzigminütigen Gesprächs sagte Doro: „Noch einmal zu Marys Sexual-Aktivitäten – sie


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