3000 Plattenkritiken. Matthias Wagner

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3000 Plattenkritiken - Matthias Wagner


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(1999)

      Uups: Ausgerechnet aus Heidelberg kommt die erfrischendste Verquickung eingängiger 80er-Elektronik mit 90er-Rock. Liquido führten sie im Sommer mit ihrem naiv elektronifizierten „Narcotic“ sogar bis hoch in die Charts. Auf ihrem Debütalbum ist der Synthieanteil geringer, doch das Ohrwurmquantum halten sie lässig. Die Fülle heimlicher Singles wie „Wake me up“ oder „What you keep inside“ widerlegen die vorauseilende Vermutung, wir könnten hier einem One-Hit-Wonder live beim Werden und Vergehen zuschauen. Liquido wollen oben bleiben, und so, wie sie Monsterriffs abschießen, wie sie nach Herzenslust mit der Dynamik spielen und uns verschwenderisch mit Melodien beschenken, haben sie das Zeug dazu. Breitwandrock mit Stil. Nach 42 Minuten ist das Album aus; mehr kann man nicht verlangen von ein paar Jungs aus Heidelberg, die Tim Eiermann oder Wolle Maier heißen und trotzdem ausziehen, die Welt zu erobern.

      Lyle Lovett

      „Step inside this House” (1999)

      Manko: Mit gerade mal gut 80 Minuten Musik hätte man nicht unbedingt ein Doppelalbum produzieren müssen. Lyle, reumütig aus Julia Roberts’ Glamourwelt zurückgekehrt zu seinen texanischen Buddys, erweist ihnen die gebührende Ehre. Obgleich selbst ein passabler Songwriter, ehrt er diesmal die Songs größerer Kollegen: Steven Fromholz, Guy Clark, Townes Van Zandt, Eric Taylor, Vince Bell und viele andere. Doch gerade die durchweg traditionellen, halbelektrischen Arrangements verwischen leider alle Unterschiede. Am Ende ist alles, was wie Hyatt oder Keen anfing, zu Lovett geworden. Also zu geleckt schimmerndem Mittelmaß. Aber Hauptsache, er ist wieder zurück aus Julia Roberts’ Glamourwelt.

      Lynden David Hall

      „Medicine 4 my Pain” (1999)

      LDH scheint angeödet zu sein vom meterdicken Arrangementkleister, der den Mainstreamsoul gemeinhin zupampt. In seinen Sound aus Orgel, Beats und Bass sieht man darum hinein wie in einen Birkenwald im Spätherbst: Überall ist Raum zwischen den Stämmen. Dennoch ist dieser Ort ein heimeliger, einer, wo die Zeit langsam vergeht, und da die Soulzeit in Beats abläuft, lässt er diese klatschen und patschen wie einen halbaufgepumpten Fußball auf nassem Asphalt. Lynden, der alle Songs geschrieben und teils produziert hat, die meisten Instrumente spielt und sanft singt und aussieht wie ein junger Gott, müsste weltberühmt werden, ginge es gerecht zu. Mal sehen.

      Mariah Carey

      „Rainbow” (1999)

      Mariah Careys Pop ist auf eine erstaunlich unbekümmerte Art eklig. Jedes Detail, jeder Backingchor, jedes pseudopassionierte Jubilieren im Refrain, jeder Synthiekleister, jeder geradezu Streisand’sche Pianoschwulst kommt exakt so, wie man es befürchtet hat. Warum schämt sie sich nicht dafür? Und warum schämen sich nicht Jay-Z, Missy Elliott oder Snoop Dogg (ja, genau: einst der böseste aller Nachwuchsgangsta!) dafür, der Carey street credibility zu verschaffen, von der sie allerdings selbst längst nur noch ein Fitzelchen haben – und spätestens hier einbüßen? Fragen über Fragen. Alle Antworten geben die Charts. Das Leben ist scheiße.

      Marianne Faithfull

      „Vagabond Ways” (1999)

      Vor Eitelkeit sind anscheinend auch betagte Fregatten nicht geschützt – das Coverfoto macht die Faithfull ungefähr zwei Dekaden jünger, als sie ist. Mit ihrer Stimme ist so was freilich nicht mehr zu machen. Und das wäre auch fatal: Diese Stimme ist es, die den zwischen Kammer- und Orchesterpop schwankenden Balladen die Aura gibt. Als Brecht-Interpretin reüssierte sie letztes Jahr, diesmal covert sie auch mal Leonhard Cohen („Tower of Song“). Und die Gemütslage des kanadischen Poeten scheint über ihrem ganzen Album zu liegen – sänge er, es ginge glatt durch als sein jüngstes Werk. Wie wär’s mit einem Duett? Einen Song, der ihren Namen trägt, hat Cohen ja schon seit Ewigkeiten im Repertoire: „So long, Marianne“.

      Martin Böttcher

      „Kriminalfilmmusik Vol. 2” (1999)

      Kinski ist der Mörder, nicht? Und Blacky wird ihm auf die Schliche kommen, aber nicht, bevor die Flickenschildt den letzten spöttischen Seufzer seufzt … Ja, wenn der deutsche Film Edgar Wallace nicht gehabt hätte, es gäbe einen Kult weniger. Für die Atmosphäre aus Geisterschloss und 60er-Muff war indes nicht nur das stimmungsvolle Licht (Expressionismus!) verantwortlich, auch Martin Böttcher tat sein Bestes. Seine Big-Band-Filmmusiken für Wallace- und andere Krimis illustrieren Schocks mit schneidigen Bläsern, offene Fragen erfordern gestopfte Trompeten, Spannung verlangt es nach Trippelbass oder todvorsichtigem Vibrafon, und das konspirative Treffen im Gasthaus an der Themse will Barpiano und Gerauntes über die Nacht von der Flickenschildt. Wer diesen Soundtrack hat, braucht die Filme nicht mehr. Die gibt es gratis dazu, im Kopf – und dort ist Kinski immer der Mörder, auch wenn er’s in den Filmen niemals war.

      Metallica

      „S & M” (1999)

      Immer, wenn eine Rockband mit Sinfonikern zusammenspielte, war Größenwahn im Spiel. Das war bei Pink Floyd so, bei Emerson, Lake & Palmer auch und bei Deep Purple erst recht. Natürlich auch bei Metallica. Vom Speedmetal in schäbigen Headbangerclubs zum globalen Chartsphänomen mit 60 Millionen verkaufter Einheiten: Das steckt man nicht einfach weg. Da muss man seine Größe auch bestätigt sehen. Was das San Francisco Symphony Orchestra sich wohl bei diesem „Greatest Hits go Classic Metal“ denkt? Sein Leiter Michael Kamen hat immerhin Erfahrung mit den bösen Buben: Er arrangierte schon 1991 einen Metallica-Song. Das Orchester jedenfalls bläht den Klangkörper mächtig, es hält dagegen, wenn James Hetfield die Gitarre dengelt und Lars Ulrich die Felle verdrischt. Es funktioniert: Der Clash der Kulturen gebiert ein Klangmonster, das als Stadionereignis ebenso funktioniert wie als heimischer Belastungstest für die Boxen.

      Michael Hutchence

      „Michael Hutchence” (1999)

      Eins vorweg: Das Album fleddert keine Leiche. Als der INXS-Sänger am 22. 11. 97 stranguliert aufgefunden wurde, wusste keiner so recht, wie weit das 1995 begonnene Solowerk gediehen war. Die Produzenten Danny Saber und Andy Gill beendeten das Projekt jedenfalls „in seinem Sinne“, wie es heißt. Und der Sinn stand Hutchence offenbar nach echtem Popappeal, nach einem großen Wurf, der seiner Solokarriere ein möglichst breites Erfolgsfundament liefern sollte. Thematisch wird’s oft sehr privat: „Put the Pieces back together“ etwa ätzt gegen den feindlichen Rivalen Bob Geldof. Grooves und Klänge erinnern oft an den technifizierten Pop der späten U2, und Bono, der Sänger für wirklich alle Fälle, singt denn auch jene Zeilen von „Slide away“, für die Hutchence keine Luft mehr hatte. Dennoch: Das Album ist glatt, bisweilen überladen und wohl mühsam auf Länge gebracht – und nur die schaurige Aura des Postumen scheint ihm die richtige Tiefe zu geben.

      Michael Wells presents S.O.L.O.

      „Out is in” (1999)

      Musik wie diese war vor 15 Jahre noch unvorstellbar. Nicht nur klanglich, auch kompositorisch. Der Eigenanteil des „Musikers“ geht gegen Null. Nahezu komplett besteht sie aus Partikeln fremder Quellen. Michael Wells durchstreift als Sammler die Welt, nicht nur entlang der Genres, auch in der Zeit. Hier hebt er einen Swingsplitter auf, dort zwei Orchestersekunden. Dann geht er drüber mit Scratching, Beatbox und Klarlack, entstaubt, bestäubt, verfremdet und pappt zusammen, was nie davon träumte, zusammengehören zu müssen. Und am Ende entsteht aus lauter Altem etwas ganz Neues, etwas geradezu Organisches. Tanzbare Postmoderne auf höchstem Niveau.

      Midnight Choir

      „Amsterdam stranded” (1999)

      Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet eine etwas trantütige Salonmusikcombo je stilbildend werden würde? Doch es geschah. Die Tindersticks brachten Langsamkeit und Leidenschaft in den Indiepop, und sogar die Vollbremsung der Seattle-Band Walkabouts geht teils auf ihr


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