3000 Plattenkritiken. Matthias Wagner

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3000 Plattenkritiken - Matthias Wagner


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      „Tschupun” (1999)

      Bayern trifft den Orient, das Rheinland lauscht nach Rangun, abendländisches Blech begleitet südamerikanische Caxixi, und Schamanen beginnen zu schunkeln – kurz: FSK meets Haindling, und das alles aus Köln. Der musikalische Kosmos dieser grandiosen Band speist sich nicht aus willkürlicher Eklektik, sondern aus dem Wissen um die geheimen gemeinsamen Nenner aller Volksmusiken zwischen Teheran und Tauberbischofsheim: der Tanz, die Klage (den Blues hat auch der Moslem), die mündliche Überlieferung im Lied. Das alles gab’s und gibt es überall. Doch wozu diese Platte rechtfertigen, wo ihre auf- und überschäumende Musik doch genug überzeugt? Die einem mit dem ersten Ton in einen wilden Sinnestanz zwingt, in euphorische Bewegungslust? Köln grüßt den Rest der Welt: lautstark, lebensfroh und manchmal auch so traurig wie die Distanz zwischen den Völkern groß ist. Platten wie diese verringern sie ein wenig.

      Shawn Mullins

      „Soul’s Core” (1999)

      Manchmal scheint es, als würde dieser grandiose Rocksongwriter das Beste von Kris Kristofferson über Billy Joel bis Steve Earle in sich vereinen, doch dann merkt man, dass sein Spektrum noch weiter reicht: zurück bis Woody Guthrie. So einfach ist das, wenn man überflutet ist mit Talent. Und so gefährlich ist es auch; man muss sich wehren gegen Verwässerung und Massenappeal. Doch Mullins wird wohl nicht zum Garth Brooks des Genres, denn seine Songs sind resistent. Sie sind- wie es sein muss im Storytellermetier – Reisen durch das Land, vom „September in Seattle“ über den „Gulf of Mexico“ bis „Twin Rocks, Oregon“. Große Americana, großartig gesungen, adäquat verhalten instrumentiert. Erdgeborene und -verbundene Musik – wie das Beste von Kristofferson, Joel oder Guthrie.

      Skunk Anansie

      „Post orgasmic Chill” (1999)

      Große Balladen mit zitternder Unterlippe und Streichorchester („Secretly“), wildes Crossovergestampfe („Charlie Big Potatoe“), rasender Trash („And this is nothing“) und Stadionrockattitüden („Tracy’s Flaw“): Skunk Anansie wissen, was sie wollen – alles halt. Hauptsache heftig, Hauptsache aufwühlend. Und die Sängerin Skin, ein dürrer Derwisch zwischen Miezekatze und Puma in Rage, sorgt im Zentrum für ausreichend Anziehungskraft, um all das Auseinanderstrebende in der Umlaufbahn zu halten. Während die Band sich bislang oft aggressiv politisch gab, überwiegen nun private Themen – die pathetisch aufgeblasene Beziehungsballade „You’ll follow me down“ eignete sich gar fürs nächste Randy-Crawford-Album, sofern das im Text vorkommende Wörtchen „fuck“ durch ein Crawford-kompatibles ersetzt würde. Mit dem dritten Album beweisen die Londoner, dass sie auch ausgefeilte Produktionen (verantwortlich: Andy Wallace) halbwegs überstehen können, ohne sich entscheidend bändigen zu lassen. Aber ein bisschen halt doch, weshalb das Platinalbum „Stoosh“ (1996) unerreichbar bleibt.

      Smokie

      „The Concert” (1999)

      Der 70er-Mythos Smokie wurde in den letzten Jahren unsäglich vermarktet: mit bügelfreien Remixen, welche alte Songs neu unter neue Leute bringen sollten – inklusive „If you think you know how to love me“ im Nashville-Stil. Schauerlich. Dieses Album stellt Freunde der oft unterschätzten Softpopband endlich mal zufrieden. Drauf ist nämlich ein Essener Konzert von 1978, bisher unveröffentlicht und das einzige Livedokument in Originalbesetzung. Klingt gut, ist gut gespielt, und alle Hits sind drauf – ideale Ergänzung also zu den „Best of“ in Originalfassungen, die es übrigens jetzt remastert bei der Motor Presse Stuttgart gibt. Die Remixe aber gehören samt und sonders in den großen Sack, den gelben.

      Steve Vai

      „The ultra Zone” (1999)

      Er ist der letzte Fusionheld, und Vai weiß, warum: Im Instrumental „Frank“ dankt er rührend seinem Mentor Zappa – in Form einer melodischen Hommage mit einem der schönsten Gitarrenthemen seit Zappas „Watermelons in easter Hay“. Eigentlich ist das Genre in Virtuosität erstarrt, doch Vais Kompositionskunst, seine singenden Ibanez-Trips zwischen metallisch und lyrisch und die emphatischen Begleiter Philip Bynoe (b) und Mike Mangini (dr) erwecken es zum quirligsten Leben. Bitte liebe Jazzer, liebe Metalfans, liebe Progrocknostalgiker: Hört euch das Werk trotz des scheußlichen Covers an – vielleicht ist es das letzte Meisterwerk eines absterbenden Zweigs der Popevolution.

      Stillpoint

      „Maps without Edges” (1999)

      So dunkel und einsam unheimlich, wie diese Platte klingt, kann es in San Francisco eigentlich gar nicht werden; dennoch entstand sie ausgerechnet in der kalifornischen Sonnenstadt. Das Trio Stillpoint reist mit seinem Tribal Ambient genau in jene Regionen, wo auch Steve Roach zu Hause ist – seltsamerweise auch ein Amerikaner, dessen (Wüsten-)Heimat lichtdurchflutet ist. Vielleicht entstehen Klangfarben wie grau, braun und schwarz eher dort, wo es heller ist als anderswo. Sobald Stillpoint allerdings das Trommeln einstellen, wabert es beliebig. Dann zieht’s uns doch ans Regal, Buchstabe R. Wie Roach.

      Stone The Crow

      „Daylight” (1999)

      So richtig konnte man Rock aus Deutschland nie ernst nehmen. Erst in den letzten Jahren kämpften sich hiesige Combos zur Hinhörqualität vor – Selig sei dank. Auch Stone The Crow trauen sich die schweißtreibende Gitarrenarbeit zu, und ihr englisch gesungener, mit ausgewählter Elektronik modernisierter Alternativestil hat adaptiert, was zu adaptieren war, um ernstgenommen zu werden. Die schwäbische Band klingen wie Dishwalla meets Vivid, gekreuzt mit Bush – alles Komplimente. Und ihre besten Argumente sind die Songs: „Come with me“ ist eine Ballade, die so silberblau schimmert wie die gleichfarbigen Lichter, die Marc Zin in der Anfangszeile besingt.

      Stoppok

      „Auf Bühne La-La-Live 99” (1999)

      „Scheiß auf 2000“, sachte Stoppok, „jetzt könn’ wir nicht mehr länger warten“, womit er sein erstes Livealbum meinte. Wurde Zeit, Stoppok! Denn deine Mammutkonzerte sind so kurzweilig in Erinnerung, dass man seither vom heimischen Nacherleben träumte. Deine lockere Pottpoesie, dein cooler Rock, die strähnigen Haare, der originelle Bart, dieses Wenn-ich-mein-Bier-hab-bin-ich-glücklich-Lächeln: Von all dem können wir nicht genug kriegen, echt nich. Weil du dich durch die knarzigsten Texte nuschelst und knödelst, weil du gerafft hast, was ein Riff, ein Killerrefrain alles anrichten können. Aber wo ist das grandiose „Mülldeponie“? Echtes Manko, sach ich.

      Tab Two

      „Between us” (1999)

      Manchmal im Lauf ihrer acht gemeinsamen Jahre wehrten Hellmut Hattler (b) und Joo Kraus (voc, keyb, tr) die Umarmung des Bistrojazz nur mühsam ab. Auf „Between us“, aufgenommen für eine neue (und schon dritte) Plattenfirma resümiert das Ulmer Duo seine eigene Entwicklung dennoch sehr souverän. Mehr Text, mehr Melancholie, mehr Groove, viel Abwechslung: Eckpunkte des neuen Sounds. Joo Kraus hat endlich zum eigenen, nicht mehr so Miles-nahen Trompetenstil gefunden, Hattler macht dezent Druck aus dem Untergrund. Diverse Gäste tun dem Duo zudem gut. Vor allem die Sängerin Sandie Wollasch sorgt beim Titelstück geradezu für Hitappeal. Zum „Columbus of an unknown World“ (Songtext) werden Tab Two wohl nicht mehr. Aber manchmal reicht es ja auch, Brücken zwischen Regionen der bekannten Welt – Dance und Jazz – zu schlagen. Und das gelang Hattler/Kraus nie besser als hier.

      The Birthday Party

      „Live 81-82” (1999)

      Dieser tobende Schreihals soll der gleiche Typ sein wie der, der heute verinnerlichte Sinnsuche am Klavier betreibt? Er ist es. Aber damals, Anfang der 80er, klang Nick Cave mit der Birthday Party wie die Doors auf Speed. Welche Barriere auch immer existierte, sie rissen sie nieder. Jede denkbare Explosion passierte, kein Aggressionstabu


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