Am Ende des Regenbogens. Maria Rohmer

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Am Ende des Regenbogens - Maria Rohmer


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das erkannt, was es sein sollte: Ein Geschenk.

      Dass sie dieses Lachen mitgenommen hat, das wünsche ich mir.

      Einmal noch habe ich meine Oma besucht: In der Leichenhalle, in der man sie aufgebahrt hatte. Ich gab ihr etwas zurück, auf das sie mehr Anrecht besaß als ich: Den Ehering meines Großvaters, ihres Mannes. Dreizehn Jahre lang hatte ich ihn verwahrt. Wie schon so manches Teil, das mir anvertraut wurde. Alles nur auf Zeit, nichts war für immer. Alles nur so lange, bis der Zeitpunkt da war, sich zu trennen.

      Beim vierten Mal verlor ich den gerade wiedergefundenen Vater.

       3. Kapitel

      Vorwort

      Juli 1995. Hochsommer. Urlaubszeit.

      Temperaturen um die 35°C. Hitze, Tropenklima. Fast nicht auszuhalten.

      Genau wie vor einem Jahr. Du hast das alles ertragen ohne zu klagen:

      Die wochenlange Schwüle in den Räumen - oben, direkt unterm Dach -,

      die Schmerzen, die Angst und auch die Hoffnung. Immer wieder die Hoffnung ...

      Es war dienstags. Es waren noch sechs Tage bis zu meinem Geburtstag. Es war der 12. Juli 1994. Die Zeiger meiner Armbanduhr standen auf 9.35 Uhr.

      Es war die Todesstunde meines Vaters.

      Langsam bewegt sich der Sekundenzeiger meiner Uhr weiter, Millimeter um Millimeter, unaufhörlich. Starr und fassungslos schaue ich ihm zu. Er läuft weiter. Mein Gott, er läuft weiter. Er muss doch stehenbleiben. Innehalten. Er muss! Er muss!!!

      Die Zeit jedoch lässt nicht mit sich handeln. Nie! Weder in Momenten voller Freude und Glück, noch in Augenblicken voller Schmerz und Trauer. Es ist gut so.

      Die Glocken der nahen Kirche läuten. Es ist 9.45 Uhr. Gleich beginnt in Holt die Messe für die Senioren der Gemeinde. Die Glocken werden uns erinnern. Jede Woche. Jeden Dienstag ...

       4. Kapitel

      Juli 1995. Eigentlich weiß ich schon lange, dass ich dieses Buch schreiben werde, schreiben muss. Im Unterbewusstsein war mir das schon klar, als ich im vergangenen Jahr damit begann, meine Gedanken und Gefühle zu Papier zu bringen.

      Weil das half. Weil das tröstete. Weil das Kraft gab. Weil es mich müde machte und ich endlich nachts schlafen konnte.

      Es war kein Tagebuch, das ich geführt habe. Es waren nur zwei Blöcke, in die ich, wenn mir danach zu mute war, reingeschrieben habe. Dem Papier konnte ich alles anvertrauen, mir meine ganze Angst von der Seele schreiben.

      Heute morgen hatte ich den Mut, diese beiden Blöcke, die seit über einem Jahr in einer Schublade liegen, anzufassen, rauszuholen, die Notizen zu lesen. Lange, sehr lange habe ich das nicht gewagt. Ich wusste warum ...

      Aber nun fühle ich: Es ist soweit. Ich kann es schaffen. Der richtige Zeitpunkt ist da.

      Mit diesen Aufzeichnungen im Gepäck fahre ich in die Eifel. Fahre nach Frauenkron, in unser Dorf. Hier, und nirgendwo anders auf der Welt, werde ich es beginnen. Hier, auf einer Wiese oberhalb der Kyll, inmitten eines Meeres aus Sommerblumen, die sacht im Wind schaukeln, lasse ich mich auf dieses Abenteuer ein.

      Denn, dass es eins wird, ist mir klar.

      Neugier, Mut, Durchhaltevermögen, Beharrlichkeit, Herz, eine Spur Verrücktheit, träumen können, staunen können - leben. Das macht ein gutes Abenteuer aus. Ein Wagnis ist es allemal. Aber solche Situationen hast Du doch gemocht. Stimmt’s? Also, Papa, fangen wir an. Schreiben wir es:

      Unser Buch.

      Soll ich Dir was verraten? Neben mir - weißt Du was da liegt? Ein Berg von Taschentüchern. Ich werde ihn abarbeiten. Stück für Stück. Ich verspreche es Dir. Danach wird es gut sein. Wir werden uns noch näher, noch vertrauter sein - weil wir es geschafft haben. Wir beide, gemeinsam. Denn ohne Deine Hilfe wird es nicht gehen.

      Vor uns liegt ein langer Weg. Ein Weg voller Erinnerungen, voller Hindernisse, voller Fallen, in die wir hineinstolpern werden. Aber zusammen werden wir die Kraft finden, es durchzustehen, werden die letzten vierzehn Monate Deines Lebens noch einmal durchleben. Mit allem! Mit den Tränen, der Verzweiflung, den Schmerzen, der Hoffnung, den Glücksmomenten, mit der Freude, dem Lachen und mit Deinem Humor, den Du bis zum letzten Tag nicht verloren hast. Sicher, es hat auch Tage gegeben, an denen Du mutlos warst, keinen an Dich rangelassen hast, stundenlang nur vor Dich hingegrübelt hast, nicht mit uns hast reden wollen. Es gab wohl einiges, das musstest Du alleine abmachen mit Dir.

      Schließlich war es an Dir, das alles auszuhalten, die Torturen der Behandlung auf Dich zu nehmen, durchzustehen, weiterzumachen, zu leben mit allen Konsequenzen. Und leben, das wolltest Du. Es schaffen, die Krankheit überwinden, das wollten wir alle. Einer hat dem anderen Kraft gegeben, ihm geholfen. Zum Glück hatten wir unsere Tiefpunkte - die Löcher in die wir oft fielen - nicht gemeinsam. So konnte immer einer den anderen trösten, ihm Mut geben, neue Hoffnung vermitteln. Der Stärkste von uns warst Du. Hast uns Deine Angst nur ganz selten sehen lassen, wolltest vor uns verbergen, dass Du verzweifelt, dass Du am Ende warst. Wie oft wirst Du es gewesen sein, nachts, wenn Du nicht schlafen konntest, Du auf den neuen Morgen gewartet hast? Wie Vieles wissen wir nicht? Wie Vieles weiß keiner vom anderen?

      Wir beide sind uns ganz allmählich nähergekommen: Während Deiner Krankheit. Wir haben uns neu kennengelernt. Das Gemeinsame, die Vertrautheit, war uns verlorengegangen. Irgendwann nach den Jahren meiner Kindheit. Wir haben nur nebeneinander hergelebt. Lange Zeit, eine sehr, sehr lange Zeit. Fast 26 Jahre.

      Deine Krankheit war unser Weg. War uns vorher bestimmt um wieder zueinander zu finden. War unsere Chance. Wertvolle Zeit, die uns geschenkt wurde.

      Zeit, für die ich unendlich dankbar bin. Wie vielen gibt das Schicksal diese Chance?

      Wie viele erkennen sie nicht? Wir bekamen 14 Monate. Wir haben sie genutzt.

       5. Kapitel

      Frauenkron. Ein kleines Eifeldorf, nahe der belgischen Grenze. Ein Flecken mit nicht ganz 200 Einwohnern, die größtenteils immer noch von der Landwirtschaft leben. Einige arbeiten in der Holzfabrik im Nachbardorf, einige Jüngere haben in größeren Städten - wie Köln, Koblenz oder Trier - eine Beschäftigung gefunden und sind nur am Wochenende bei der Familie.

      Am Ortseingang, links, in einem ehemaligen Fabrikgebäude, sind Asylanten untergebracht. Isoliert, abgeschnitten von der Dorfgemeinschaft. Das einzige, was sich hier verändert hat. Das einzig Wesentliche in all den Jahren. Immerhin sind es jetzt schon siebenunddreißig. Ich war sechs, noch nicht eingeschult, da kam ich zum ersten Mal hierher, mit Großeltern, Eltern und Schwester.

      Großvater hatte hier sein Jagdrevier, kannte jeden, hatte viele Freunde, ließ sich, so oft es ihm möglich war, von Mönchengladbach hierher fahren. Selbst hatte er keinen Führerschein, also übernahm Vater die Rolle des Chauffeurs und die Liebe zu diesem Dorf und seinen Menschen.

      Damals fuhr man noch `über die Dörfer`, schön gemächlich. Heute sucht man viele Orte umsonst, sie existieren nicht mehr. Die hat der Braunkohlenbagger zerstört, einfach weggebaggert. Die Landschaft hat sich total verändert.

      Früher kam mir die Fahrt immer unendlich lang und anstrengend vor. Kein Wunder, wurde mir doch regelmäßig schlecht, und musste ich gegen das Würgen im Hals ankämpfen. Das habe ich übrigens beibehalten. Ob im Auto oder im Bus: bloß nicht hinten sitzen. Dann kann ich für nichts garantieren.

      Ein paar Jahre später dann, als wir das Pony und die Kutsche hatten und immer in den Ferien hinfahren durften, saß ich mit im Viehtransporter. Da ging es besser, da saß ich vorne.

      Noch später hinter dem Steuer des ersten eigenen Wagens, der meine Glückszahl - die fünf - gleich dreimal auf dem Nummernschild hatte.

      Ich besaß den Führerschein, hatte mich von hinten rechts nach vorne links hingelebt. Dank Autobahn schaffe ich die Strecke heute in knapp einer Stunde. Der Fluchtweg raus aus der Großstadt hat sich beträchtlich verkürzt.

      Großvaters


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