Am Ende des Regenbogens. Maria Rohmer

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Am Ende des Regenbogens - Maria Rohmer


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und Cola, ohne Medikamente - meist Tropfen gegen Übelkeit - ohne das alles werden wir nicht mehr unterwegs sein.

      Wir werden ihn lernen: Den Umgang mit Chefärzten, Oberärzten, Stationsärzten, Fachärzten, Arzthelferinnen, Pflegern und Krankenschwestern. Ohne sie wird es nicht mehr gehen, die Welt der Krankheit nimmt uns in sich auf. Hier werden andere Prioritäten gesetzt, andere Gesetze vorgegeben. Eine Welt voller dunkler Farben wartet auf uns.

      Aber immer wieder brechen einzelne Strahlen, bricht die Sonne durch. Trifft uns, mitten im schwärzesten Schwarz. Das ist Glück!

       7. Kapitel

      Nachmittags fahren wir beide, Mutter und ich in die Klinik. Meine Schwester, die wieder ganztags berufstätig ist und zwei Kinder hat, ist zwangsläufig gebundener, kann nur abends weg. Seit ich mit einem Seemann verheiratet bin, beschränke ich mich auf einen Halbtagsjob in der Drogerie, in der ich seit zehn Jahren arbeite. Ganz aufgeben wollte ich die Arbeit nicht, obwohl ein Seemann, wenn er dann auf Urlaub daheim ist, seine Ehefrau gerne ganz für sich hätte.

      Verständlicherweise, ist er doch fünf bis sechs Monate auf See.

      So habe ich mich eben aufgeteilt. Jetzt bin ich flexibler, abkömmlicher. Es sollte wohl so sein ... Wir gehen einen der endlos langen Flure entlang. Die letzte Tür ist es: Nummer 217.

      Wie stets, wenn ich ein Krankenzimmer betreten muss, hole ich tief Luft bevor ich die Türklinke runter drücke.

      Ich sehe meinen Vater das erste Mal in einem Krankenhausbett. Und erst jetzt, hier, in diesem sterilen, weißen Raum mit der hohen Decke und den kahlen Wänden, hier, in diesem sterilen, weißen Bett sieht er für mich krank aus. Die nächsten vierzehn Tage wird er hier verbringen müssen, aber so oft es möglich ist, flüchtet er: Raus in den angrenzenden Park, in dem er bald jeden Baum, jeden Strauch kennt. Glücklicherweise erlaubt ihm das Wetter diese Spaziergänge, denn das `Eingesperrt sein` erweist sich für ihn als das Schlimmste. Er, der zeitlebens gewöhnt war, draußen zu sein, unterwegs zu sein, empfindet die Enge eines Zimmers, das Beschränktsein auf die wenigen Quadratmeter, als beängstigend. Solange er `an die Luft kann`, lässt sich für ihn alles ertragen.

       8. Kapitel

      22.03.1993 - Der Tag.

      Seit heute Mittag können wir uns nichts mehr vormachen. Unsere Gnadenfrist ist abgelaufen, länger werden wir nicht verschont. Seit der Chefvisite heißt der Schatten auf dem Röntgenbild: Krebs.

      Das Ergebnis der Bronchoskopie lautet: Tumoröser Verschluss der Segmente S1 bis S3 links. Bei dem Patienten handelt es sich um ein zentrales Bronchialkarzinom des linken Lungenoberlappens. Tumorstadium T2 No Mo.

      Histologie: Kleinzelliges Karzinom, Limited-Disease, funktionell operabel (zumindest Lobektomie).

      Eine Untersuchung soll noch folgen um dieses:

      `Im Stadium der Limited-Disease halten wir eine Operation noch für möglich` zu bestätigen.

      Erneut vier Tage warten, hoffen. Vier lange Tage hinter sich bringen.

      Wir alle klammern uns an dieses: Operation noch möglich. Vor Monaten ist einer von Vaters Freunden ebenfalls an Lungenkrebs erkrankt. Er wurde operiert, und er schaffte es. Er lebt. Es ist also möglich. Und leben, das will Vater. Er ist gerade 59 geworden. Wer will da sterben? Sehr viel später wird er einmal zu Schwester Marion sagen: „Dass ich an dieser Krankheit irgendwann sterben könnte, habe ich immer vor Augen gehabt, aber ich war bereit, alles auf mich zu nehmen, um diesen Augenblick hinauszuzögern“.

      Und mein Vater wird kämpfen, kämpfen bis zum Schluss.

       9. Kapitel

      Heute morgen hat es sich entschieden: Operation - ja oder nein. Auf dem Flur schon kommt Vater uns entgegen. Wir schauen uns an, wagen nicht zu fragen. Er kann nur nicken, immer wieder nicken, während ihm die Tränen übers Gesicht laufen. Ich falle ihm um den Hals, klammere mich an ihn, packe Mutter, erdrücke sie fast. Wir drei halten uns umschlungen. Reden können wir lange nicht. Hier, auf diesem kalten, sterilen Klinikflur finden sich Vater und Tochter wieder. All das, was uns über viele Jahre getrennt hat, ist weg, hat keine Bedeutung mehr.

      Wir spüren beide, wir können da wieder anknüpfen, wo wir uns einmal verloren haben. Unsere Chance ist da.

      Wir drei haben den gleichen Gedanken: Alles wird gut, es kann noch operiert werden. Egal wie schlimm es sein wird: Am Ende wird alles gut. Wie eine solche Operation verläuft, wissen wir inzwischen, Vater hat sich lange mit seinem Freund darüber unterhalten. Der Weg wird nicht leicht sein, aber spielt das eine Rolle, wenn am Ende dieses Weges `Leben` steht?!

      Für uns bedeutet Operation gleich Heilung. Durchgeführt werden soll sie in Köln, in der dortigen Universitätsklinik. Einer der Ärzte hat uns ganz offen gesagt: Die Chancen bei Lungenkrebs sind nicht allzu gut, von fünf Patienten mit dieser Krankheit überlebt einer. Vater wird dieser `eine` sein, davon sind wir felsenfest überzeugt. Wir müssen es wohl sein, wie sonst sollten wir, sollte vor allem Vater, weitermachen. Aber, was ist es, das uns einen derart starken Glauben gibt, was ist es, das uns an diesem Glauben festhalten lässt, das uns tragen wird über viele Monate hindurch?

      Wir müssen dankbar sein dafür, denn aus dieser Zuversicht, aus dieser Gewissheit heraus, nehmen wir unsere Kraft. Glauben wir an eine höhere Macht, glauben wir an Gott, an einen, der es nicht zulassen wird, dass mir der gerade wiedergefundene Vater genommen wird. Jetzt, da wir wieder zu einer richtigen Familie zusammenwachsen.

      Mutter ist eine sehr gläubige Frau, sie wird viel gebetet haben während der ganzen Zeit. Und ich? Ich weiß noch, dass ich als Kind an keinem Abend eingeschlafen bin, ohne vorher dem `Lieben Gott` zu danken für diesen schönen Tag, ohne ihn um etwas zu bitten (dass ich eine gute Arbeit schreibe, auch wenn ich lieber draußen gespielt als gelernt hatte). Der liebe Gott würde das schon irgendwie hinkriegen, darauf baute ich mit all meinem kindlichen Vertrauen. Beschützen sollte er auch noch: Mama, Papa, die Schwester (die ich auch schon mal `vergaß` wenn es zwischen uns Streit gegeben hatte), die Großeltern, meine Tiere und mich natürlich auch ein bisschen. Es gab so manches, was ich in seine Hände legte, so manches, was er wieder richten sollte.

      Wie oft sollte dieses Vertrauen im laufe meines Lebens erschüttert werden. Aber ich habe lernen dürfen, dass noch alles, was mir widerfahren ist, zu irgend etwas gut war. Auch wenn ich dieses `Gute` oft erst sehr, sehr viel später sehen konnte.

      Ich weiß nicht, ob ich an einen `Gott` glaube. Aber ich glaube fest daran, dass unser Leben vorbestimmt ist, dass wir unseren Weg verfolgen. Nichts geschieht zufällig, hinter allem steckt ein Sinn. Wie oft habe ich mich schon gefragt: Warum? Warum muss dir das nun wieder passieren? Warum muss das jetzt so und nicht anders verlaufen? Falsch! Vielmehr sollte es heißen: Wozu? Denn dieses `wozu` führt uns in die Zukunft, lässt uns vorwärts schauen. Gibt dem Geschehenen eine ganz andere Bedeutung.

      `Warum`, das ist viel zu viel Vergangenheit.

      Das Osterfest ist vorüber, es wird Mai. Die ganze Zeit über Untersuchungen, zermürbendes Warten, quälende Ungewissheit. Vater und ich wandern durch die Praxen der Radiologen, durch die Ambulanzen der Krankenhäuser. Überall neue Ärzte, neue Schwestern, neue Assistentinnen auf die man sich einstellen muss, neue Termine, stundenlanges Absitzen in den Wartezimmern.

      Viele Ärzte, viele Schwestern die uns freundlich, menschlich begegnen, manche, wohl abgestumpft durch jahrelange Routine. Immer die gleichen Handgriffe, die gleichen Anweisungen, und dann Patienten, die nicht gleich begreifen, wie sie sich hinzulegen, hinzustellen haben. Oft frage ich mich: Wieso bloß halten die an ihrem Beruf fest? Die sind doch hier absolut fehl am Platz. Hier, wo es um Menschen geht, Menschen mit all ihren Ängsten.

      Unsere Sammlung von Berichten, Beurteilungen und Röntgenaufnahmen wird zusehends umfangreicher. Wir fotokopieren jedes Blatt und bewahren es zuhause auf. So können wir alles in Ruhe nachlesen, und wenn wir Fragen haben, dann löchern wir die Ärzte. Hier geht es schließlich nicht um eine harmlose Grippe, hier geht es um Krebs.

      Es erweist sich außerdem als vorteilhaft,


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