Der Schut. Karl May

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Der Schut - Karl May


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und rief mir zu:

      »Herr, du hast mich mit Piastern beglückt. Ich werde dir das Yrz beraber gitmeji (* Ehrengeleit.) geben.«

      Er stellte sich an unsere Spitze, nahm den Säbel auf und schritt in martialischer Haltung vor uns her. Erst draußen vor dem Dorf verabschiedete er sich.

      »Sihdi,« meinte Halef, »es freut mich doch, daß ich nicht derb zugeschlagen habe. Er ist kein übler Kerl, und es sollte mir leid tun, wenn ich »die sanften Gefühle seines Sitzes in schlimmere Aufregung« versetzt hätte. In diesem schönen Lande ist jeder ein Held bis zu dem Augenblick, in welchem er die Peitsche sieht.«

      — — —

      Zweites Kapitel: Eine Bärenjagd

      Der Aufenthalt in dem elenden Dorfe hatte ganz gegen unsere vorherige Absicht weit über eine Stunde gedauert. Um zu erfahren, wo wir heute Nacht bleiben würden, fragte ich den Konakdschi darnach. Er antwortete:

      »Wir bleiben bei Junak, wo ihr besser ruhen werdet, als es hier im Dorfe der Fall gewesen wäre.«

      »Wie weit ist es bis zu ihm?«

      »Wir erreichen sein Haus noch vor Anbruch der Nacht. Ihr könnt sicher sein, daß er euch willkommen heißen wird.«

      Weitere Erkundigungen wollte ich aus guten Gründen nicht einziehen. Es war vorteilhaft für uns, diesen Konakdschi glauben zu lassen, daß er unser ganzes Vertrauen besäße.

      Noch ritten wir auf der Hochebene; aber vor uns im Westen lagen schwere Bergesmassen, deren Ausläufer uns bald zwischen sich nahmen. Rechts von uns strichen die Höhen des Schar Dagh nach Nordost. Wir näherten uns dem südwestlichen Vorstoß desselben, welcher seinen Fuß von den kalten Wassern des schwarzen Drin bespülen läßt. Dann fließt von Norden her der weiße Drin herbei, und der vereinigte Fluß wendet sich nach Westen, dem Adriatischen Meer, dem nicht mehr fernen Ziele unsers Rittes, entgegen. Von da, wo wir uns jetzt befanden, bis zur Meeresküste beträgt die Luftlinie kaum über fünfzehn deutsche Meilen. In drei Tagen konnten wir dort sein. Ob uns das auch gelingen würde? Es gab Hindernisse zu überwinden, welche nicht nur in den Terrainschwierigkeiten bestanden.

      Nun befanden wir uns schon mitten zwischen himmelan strebenden Bergen. Zwar hatten wir bisher keinen gebahnten Weg gehabt, aber dennoch ziemlich schnell reiten können. Jetzt mußten wir uns durch Schluchten winden, welche fast unzugänglich waren. Schwere Felstrümmer legten sich uns in den Weg. Mächtige Stämme waren von den Steilungen abgestürzt und zwangen unsere Pferde, über sie hinweg zu klettern. Wir konnten nur zu zweien, ja wir mußten oft lange Strecken einzeln reiten, weil der Raum es nicht anders gestattete. Da war denn der Konakdschi als Führer natürlich voran, und Halef bildete die Nachhut. Warum, das konnte ich mir denken. Er hatte sich jedenfalls über das Päckchen hergemacht und wollte sich nicht dabei ertappen lassen.

      Eben waren wir wieder in eine Vertiefung eingebogen, welche erlaubte, daß zwei Reiter sich nebeneinander bewegen konnten. Ich war der Vorletzte und tat dem Hadschi den Gefallen, gar nicht auf ihn zu achten. Da kam er herbei und ritt mir zur Seite.

      »Sihdi, hat jemand etwas gemerkt?«

      »Wovon?«

      »Daß ich den verbotenen Schinken des Schweines verspeiste.«

      »Niemand hat es gesehen, auch ich nicht.«

      »So kann ich ruhig sein. Aber ich sage dir, daß der Prophet sich an seinen Gläubigen schwer versündigt, wenn er ihnen diese Speise verbietet. Es ist ein Genuß höchster Ergötzlichkeit. Kein gebratenes Huhn kommt ihm gleich. Wie mag es aber nur kommen, daß das tote Schwein viel, viel besser riecht, als das lebendige?«

      »Das liegt an der Behandlung des Fleisches. Es wird gepökelt und geräuchert.«

      »Wie macht man das?«

      »Das Fleisch wird in Salz gelegt, damit das Wasser aus ihm entfernt werde, wodurch es dauerhaft wird.«

      »Ah, das ist das Pastyrma (* Pökelfleisch.), von dem ich sprechen hörte?«

      »Ja. Dann wird es geräuchert und erhält durch den Rauch den Duft, welcher dir so wohl gefällt. Wie weit bist du mit deinem Vorrat gekommen?«

      »Der Schinken ist verzehrt, die Wurst habe ich noch nicht gekostet. Wenn du erlaubst, werde ich sie anschneiden.«

      Er zog die Wurst aus der Satteltasche und das Messer aus dem Gürtel.

      »Natürlich willst du auch ein Stück, Effendi?«

      »Nein, ich danke dir!«

      Wenn ich an den famosen Umschlag dachte und an die Frau, welche wahrscheinlich die Wurst höchst eigenhändig gestopft hatte, so war an Appetit natürlich gar nicht zu denken. Jetzt sah ich, daß Halef sich ganz vergebliche Mühe gab, die Wurst aufzuschneiden. Er säbelte und säbelte, kam aber mit dem Messer nicht hindurch.

      »Was gibt es denn?«

      »O, sie ist gar zu fest!« antwortete er.

      »Fest? Du meinst doch wohl zu hart?«

      »Nein, hart ist sie nicht, aber ungeheuer fest.«

      »Ob vielleicht ein kleiner Knochen mit hineingeraten ist? Versuche es nebenan!«

      Er setzte das Messer an einer andern Stelle an, und nun ging es leicht. Er roch an das abgeschnittene Stück, machte ein verklärtes Gesicht, nickte mir triumphierend zu und biß hinein. Er biß und biß, er hielt mit den Zähnen fest und zog mit beiden Händen — vergeblich!

      »Allah 'l Allah! Diese Wurst ist wie ein Ochsenfell!« rief er aus. »Aber dieser Geruch! Dieser Geschmack! Ich muß durch, und ich komme durch!«

      Er biß und zerrte aus Leibeskräften, und endlich gelang es. Die zähe Stelle gab nach — der Wurstzipfel war entzwei. Das eine Stück hielt er in der Hand, und das andere hatte er im Mund. Er begann zu kauen; er kaute fort und kaute weiter, aber er schlang den Bissen nicht hinab.

      »Was kaust du denn, Halef?«

      »Die Wurst!« antwortete er.

      »Aber so schlinge doch auch!«

      »Das geht noch nicht. Ich bringe das Stück nicht auseinander.«

      »Wie schmeckt es denn?«

      »Ausgezeichnet! Aber zähe ist es, außerordentlich zähe. Es kaut sich wirklich ganz wie Rindsleder.«

      »So ist es kein Fleisch. Untersuche es!«

      Er nahm den Bissen aus dem Mund und betrachtete ihn. Er drückte, zog und quetschte; er unterwarf ihn einer sehr sorgfältigen Untersuchung und sagte endlich kopfschüttelnd:

      »Daraus werde ich nicht klug. Schau du das Ding einmal an!«

      Ich nahm das »Ding« und betrachtete es. Es sah schon so nicht appetitlich aus, aber als ich nun gleich entdeckte, was es war, da wurde es mir doch noch ganz anders zu Mut. Sollte ich es dem Hadschi sagen? Jawohl! Er hatte das Gebot des Propheten übertreten, und nun kam eben die Folge seiner Sünde. Der kleine Mann hatte prächtige Zähne; aber dieses lederne Ding zu zerkauen, das war ihm doch nicht gelungen. Ich schob es mit Hilfe des Daumens in diejenige Fassung, welche es gehabt hatte, bevor es in die Wurst geraten war, und gab es ihm hin.

      Als er es jetzt betrachtete, wurden seine Augen noch einmal so groß. Er riß den Mund auf, fast so, wie vor zwei Stunden, als er den fetten Raki trank.

      »Allah, Allah!« rief er aus. »Schi mahuhl; schi biwak'kif scha'r irrahs — das ist fürchterlich; das läßt einem die Haare zu Berge stehen!«

      Wenn jemand zwanzig Sprachen spräche und jahrelang nur in fremden Zungen redete, im Augenblick großen Schreckens oder großer Freude wird er sich seiner Muttersprache bedienen. So auch hier. Halef sprach sein heimatliches Arabisch, seinen moghrebinischen Dialekt. Er mußte also sehr erschrocken sein.

      »Was schreist du denn?« fragte ich mit der harmlosesten Miene.

      »O, Sihdi, was habe ich gekaut! Schi'aib, schi makruh — das ist schändlich,


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