Der Schut. Karl May

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Der Schut - Karl May


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der öffentlichen Sicherheit« gehorchte.

      »Sihdi, soll ich?« fragte Halef.

      »Ja,« nickte ich ihm zu.

      Es genügte ein Wink von ihm zu Osko und Omar. Im nächsten Augenblick lag der Mann an der Erde, mit der Rückseite nach oben. Osko hielt ihn an den Schultern nieder, und Omar kniete ihm auf den Beinen. Der Bursche schrie, aber Halef überschrie ihn:

      »Seht her, ihr Männer und Frauen, wie wir diesem Besitzer großer Worte die Steuer bezahlen! Er erhält sie zunächst; dann aber wird jeder drankommen, der es wagen sollte, ihm beizuspringen; der Kiaja gleich zuerst! Wie viel soll er erhalten, Effendi?«

      »Acht Piaster hat er verlangt.«

      Ich setzte nichts hinzu, doch ersah Halef aus meiner Miene, daß er gnädig verfahren solle. Er verabreichte ihm also acht Hiebe, und zwar nur der Form wegen. Schmerzen konnten diese acht gelinden Streiche gar nicht erwecken; dennoch machten sie einen gewaltigen Eindruck. Gleich beim ersten Hieb war der »Chefgeneral« still geworden. Jetzt, als die beiden ihn losließen, stand er langsam auf, rieb sich den rückwärts liegenden Pol seines Körpers und klagte:

      »O Gesetz, o Gerechtigkeit, o Großsultan! Der treueste Diener des Jakyschyk memleketin (* Wohlstand des Landes.) wird mit der Peitsche beleidigt! Meine Seele zerfließt in Tränen, und aus meinem Herzen rinnen die Bäche der Wehmut und der Traurigkeit. Seit wann erhalten verdiente Männer den Nischani iftichar, den Orden des Ruhmes, mit der Kurbatsch dorthin gehängt, wo er bei einer Begegnung von vorn gar nicht zu sehen ist? Mich ergreifen die Schmerzen des Lebens, und ich empfinde die Qualen des vergänglichen Daseins. O Gesetz, o Gerechtigkeit, o Großsultan und Padischah!«

      Er wollte sich von dannen schleichen, aber ich rief ihm zu:

      »Warte noch ein wenig! Ich halte stets Wort. Da ich dir zwei Piaster versprochen habe, so sollst du sie auch bekommen. Und damit die Schmerzen des Daseins dir nicht allzu schwer werden, will ich dir sogar drei Piaster geben. Hier hast du sie!«

      Er traute seinen Augen nicht, als ich ihm das Geld hinstreckte. Erst nachdem er mich prüfend angeschaut hatte, griff er zu und fuhr dann mit der Hand in die Tasche. Diese schien aber ein Loch zu haben, denn er zog die Hand wieder zurück und schob das Geld unter den Riesenturban. Dann ergriff er meine Hand, drückte sie an seine Lippen und sagte:

      »Herr, die Qualen der Erde und die Unannehmlichkeiten dieser Welt sind vergänglich, wie die ganze Schöpfung. Deine Gnade träufelt Melhem (** Balsam.) in mein Gemüt und Sarmessak suju (*** Knoblauchsaft.) in die Tiefen meiner Gefühle. Möge das Schicksal dafür sorgen, daß dein Beutel nie ohne silberne Piaster ist!«

      »Ich danke dir! Nun sende uns auch den Kiaja her.«

      Der Genannte hörte meine Worte und kam herbei.

      »Was befiehlst du, Herr?« fragte er.

      »Wenn der Khawaß des Dorfes von mir ein Bakschisch erhält, so soll der Kiaja natürlich auch eins erhalten. Ich hoffe, daß du damit einverstanden bist.«

      »Wie gern!« rief er aus, indem er mir die Hand entgegenstreckte. »Dein Mund hat Worte des Segens, und deine Hand teilt Gaben des Reichtums aus!«

      »So ist es. Natürlich willst du nicht weniger empfangen, als dein Untergebener erhalten hat?«

      »Herr, ich bin der Vorgesetzte. Mir gebührt noch mehr als ihm.«

      »Richtig, er hat acht Streiche und drei Piaster bekommen, folglich lasse ich dir fünf Piaster und zwölf Hiebe geben.«

      Da legte er schnell seine beiden Hände dorthin, wo selbst beim größten Gelehrten der Sitz der Geisteskräfte nicht gesucht werden darf, und schrie:

      »Nein, nein, Herr! Nicht die Hiebe, sondern nur die Piaster!«

      »Das wäre ungerecht. Keine Piaster ohne Hiebe. Entweder alles oder gar nichts. Wähle!«

      »Dann lieber nichts!«

      »So ist es deine Schuld, wenn deine Hand nicht empfängt, was ich ihr zugesprochen hatte.«

      »Nein, nein!« wiederholte er. »Beides zu empfangen, das ist zu viel!«

      Er wollte sich entfernen, kehrte aber nach einigen Schritten wieder um, sah mich bittend an und fragte:

      »Herr, könnten wir es nicht anders machen?«

      »Wie denn?«

      »Gib mir die fünf Piaster, die zwölf aber meinem Khawassen. Er hat die Peitsche bereits gekostet, so daß sie ihn nicht mehr erschrecken kann.«

      »Wenn er will, so bin ich einverstanden. Also her mit dir, du General der öffentlichen Sicherheit!«

      Halef streckte die Hand nach dem Khawassen aus; dieser aber sprang schleunigst zur Seite und rief:

      »Allah göstermessin — Gott behüte und bewahre! Die sanften Gefühle meines Sitzes sind bereits genugsam aufgeregt. Wenn du wirklich beschlossen hast, zu teilen, so gib mir die Piaster und dem Kiaja die Hiebe! Dir kann es ja ganz gleichgültig sein, wer sie bekommt, mir aber keineswegs.«

      »Das glaube ich. Aber ich sehe, daß ich weder das Eine noch das Andere los werde; darum gebe ich euch die Erlaubnis, euch zu entfernen.«

      »Basch üstüne, tschelebim — mit Vergnügen, Herr! Reite getrost weiter! Vielleicht findest du anderwärts eine Seele, welche nach den Hieben schmachtet, ohne die Piaster zu begehren.«

      Er hob den Säbel auf, welcher ihm entfallen war, und entfernte sich. Der Kiaja ging auch, kehrte aber doch noch einmal um und flüsterte mir vertraulich zu:

      »Effendim, vielleicht wäre es doch noch zu machen. Ich möchte die Piaster sehr gern haben.«

      »Nun, wie denn?«

      »Zwölf ist zu viel. Gib fünf Piaster und fünf Hiebe; das kann ich eher vertragen. Erfülle mir diese Bitte, so hast du deinen Willen, und ich habe den meinigen auch.«

      Ich konnte nicht anders — ich mußte laut auflachen, und meine Gefährten stimmten ein. Der Kiaja freute sich, uns so gut gelaunt zu sehen, und fragte mich in beinahe zärtlichem Ton:

      »Effendim, sewgülüm — mein lieber Effendi, nicht wahr, du tust es? Fünf und fünf?«

      Da trat aus dem umstehenden Volk ein langer, hagerer, dunkelbärtiger Mensch hervor und sagte:

      »Beni itschit, jabandschi — höre mich, Fremder! Du siehst hier über dreißig Männer stehen, von denen ein jeder bereit ist, sich fünf Streiche geben zu lassen, wenn er dazu fünf Piaster bekommt. Wenn es dir recht und gefällig ist, so wollen wir Dizi syraji (* In Reih und Glied.) machen und uns dieses schöne Geld verdienen.«

      »Ich danke, ich danke sehr!« antwortete ich ihm. »Ihr habt uns nicht beleidigt, also könnt ihr keine Prügel und leider auch keine Piaster erhalten.«

      Er machte ein enttäuschtes Gesicht und sagte wehmütig:

      »Das ist uns gar nicht lieb. Ich bin ein sehr armer Mann und schlafe unter dem Dach des Himmels. Ich genieße mit den Meinen das Itschki plamudün (** Getränk der Eicheln.), und der Hunger ist unser einziger Gönner. Nie habe ich einen Stockhieb erhalten. Heute aber würde ich mich schlagen lassen, um fünf Piaster zu erhalten.«

      Man sah es dem Mann an, daß er die Wahrheit sprach. Das Elend saß in jeder Falte seines Gesichtes. Schon wollte ich in die Tasche greifen, da aber stand auch schon Halef bei ihm, zog den Beutel und drückte ihm etwas in die Hand. Als der arme Bursche sah, was er bekommen hatte, rief er aus:

      »Du hast dich geirrt! Das kannst du doch — — «

      »Still, Alter!« fiel ihm Halef in die Rede, indem er mit der einen Hand den Beutel wieder in die Tasche gesteckt, während er mit der andern die Peitsche drohend schwang. »Mach' dich von hinnen und sorge dafür, daß die Deinen einmal echte Kaffeebohnen anstatt der Eicheln erhalten!«

      Er schob den Mann fort, unter die Umstehenden hinein, worauf sich derselbe denn auch mit eiligen Schritten entfernte, gefolgt von den Anderen, welche die


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