Die Zauberfabrik . Морган Райс
Читать онлайн книгу.in den kleinen, ramponierten Wagen stiegen und davon fuhren. Chris stampfte ohne ein weiteres Wort los, die Hände in den Taschen vergraben, das Gesicht zu einem spöttischen Grinsen verzogen. Oliver wusste, wie wichtig es für seinen Bruder war, von Anfang an alle einzuschüchtern. Diese Ausstrahlung war sein Schutzschild, seine Art, mit dem ständigen Schulwechsel zurechtzukommen und sich mitten im Schuljahr in eine neue Gruppe einzufügen. Oliver war leider zu klein und zu schmächtig um irgendjemanden einzuschüchtern.
Chris ging so schnell, dass Oliver ihn bald nicht mehr sehen konnte und alleine den Weg durch die unbekannten Straßen finden musste. Er fühlte sich nicht besonders wohl dabei. Die Gegend wirkte nicht gerade freundlich. Ständig sprangen Zähne fletschende Hunde gegen halb zusammengefallene Gartenzäune und laute, klapprige Autos rasten über die Schlaglöcher der Straßen, ohne sich um Fußgänger zu scheren.
Als die Campbell Junior High School in Sicht kam, lief es Oliver kalt den Rücken hinunter. Das graue, viereckige Gebäude mit der heruntergekommenen Fassade sah kalt und unfreundlich aus. Jegliche Rasenflächen waren unter bröckeligem Asphalt begraben, ein kaputter Basketballkorb baumelte leblos an einer Wand. Die Kinder rempelten sich gegenseitig an und zankten sich um einen alten Ball. Dabei machten sie einen ohrenbetäubenden Lärm, der Oliver bereits aus der Ferne eine Gänsehaut einjagte.
Oliver wollte am liebsten umdrehen und weglaufen, aber er schluckte seine Furcht herunter und ging mit hängendem Kopf und in den Taschen vergrabenen Händen über den Pausenhof zur großen Glastür.
In den Gängen der Campbell Junior High war es dunkel. Es roch nach Chlor, obwohl der Boden aussah, als wäre er seit Jahrzehnten nicht mehr geputzt worden. Oliver folgte dem Schild zum Sekretariat. Dort saß eine gelangweilt und gleichzeitig genervt aussehende Frau mittleren Alters, die mit ihren langen Fingernägeln auf einer Computertastatur herumtippte.
„Entschuldigen Sie“, begann Oliver.
Keine Antwort.
Er räusperte sich und versuchte es noch einmal, diesmal etwas lauter.
„Entschuldigen Sie bitte, ich bin ein neuer Schüler. Heute ist mein erster Tag.“
Langsam drehte sie den Kopf vom Computer weg, hin zu Oliver. Sie kniff die Augen zusammen. „Ein neuer Schüler?“, fragte sie ungläubig. „Es ist Oktober, junger Mann.“
„Ich weiß“, sagte Oliver. Das brauchte sie ihm nicht sagen. „Meine Familie ist gerade hierher gezogen. Ich bin Oliver Blue.“
Sie sah ihn einen Augenblick stumm an. Dann wandte sie sich wieder dem Computer zu und tippte etwas ein. Ihre Fingernägel klickten laut auf den Tasten.
„Blue“, sagte sie. „Blue. Blue. Blue. Ach, hier. Christopher John Blue. Achte Klasse.“
„Nein, das ist mein Bruder“, entgegnete Oliver. „Ich heiße Oliver Blue.“
„Ich habe hier keinen Oliver“, sagte sie ausdruckslos.
„Doch… ich bin hier.“ Oliver lächelte unsicher. „Ich muss doch irgendwo auf der Liste stehen.“
Die Sekretärin sah ihn wieder genervt an. Das machte ihn nur noch nervöser. Sie tippte wieder, dann seufzte sie.
„Okay, hier. Oliver Blue, sechste Klasse.“ Sie drehte sich auf ihrem Bürostuhl zu einem Regal um und knallte einen dicken Stapel Papiere auf den Tisch. „Hier, Willkommenspaket, Stundenplan, wichtige Kontakte, et cetera. Alles hier drin.“ Sie tippte mit einem leuchtend roten Fingernagel auf den Stapel. „Erste Stunde: Englisch.“
„Das ist gut. Englisch spreche ich fließend.“ Oliver grinste matt über seinen eigenen Witz und nahm den dicken Ordner an sich. Für eine Sekunde verzog die Sekretärin einen Mundwinkel zu so etwas wie einem Lächeln. Dann wurde Oliver klar, dass es nichts mehr zu klären gab, und sie nur darauf wartete, dass er wieder verschwand. Er klammerte den Ordner fest an sich und ging langsam aus dem Büro.
Auf dem Gang legte er alles auf eine kleine Bank und suchte seinen Stundenplan und einen Plan vom Schulgelände heraus. Er musste in den dritten Stock, also ging er zu den Treppen. Dort drängten sich jede Menge Kinder aneinander vorbei. Oliver wurde mit der Menge mitgerissen. Die dichte Masse von Körpern ließ ihm keine Wahl als sich mit dem Strom aufwärts treiben zu lassen. Nur mit Mühe konnte er sich im dritten Stockwerk aus der Flut von Kindern herauslösen.
Schwer atmend stand er schließlich im richtigen Gang. Das war keine Erfahrung, die er mehrmals am Tag machen wollte.
Bald fand Oliver das richtige Klassenzimmer. Er warf einen schüchternen Blick durch das eckige Fenster in der Tür. Das Zimmer war bereits voll. Sein Magen überschlug sich bei dem Gedanken, gleich vor all diesen Kindern stehen zu müssen und ihre prüfenden, urteilenden Blicke über sich ergehen zu lassen. Er atmete noch einmal tief durch, öffnete die Tür und trat ein.
Er hatte diesen Moment oft genug erlebt um zu wissen, wie unangenehm es war, als Neuer vor eine Horde wilder Schüler zu stehen. Er versuchte, sich seine Angst nicht anmerken zu lassen.
„Wer bist du?“, fragte eine strenge Stimme.
Oliver drehte sich um und sah einen alten Mann mit weißen Haaren an seinem Pult sitzen.
„Ich bin Oliver. Oliver Blue. Ich bin neu hier.“
Der Lehrer hob die Augenbrauen. Seine Augen waren dunkel und misstrauisch. Er sah Oliver unangenehm lange an. Das ließ Oliver noch nervöser werden, denn jetzt waren absolut alle in der Klasse auf ihn aufmerksam geworden.
Sie sahen ihn neugierig an, als wäre er ein Zirkuspferd.
„Ich wusste gar nicht, dass ich noch einen bekomme“, sagte der Lehrer schließlich abschätzig. „Wäre schön gewesen, wenn mir das jemand gesagt hätte.“ Sein mattes Seufzen erinnerte Oliver an seinen Vater. „Dann such dir mal einen Platz.“
Eilig ging Oliver zu einem freien Platz. Er versuchte, sich so klein wie möglich zu machen, um sich vor den Blicken der anderen zu verstecken. Aber natürlich konnte er das nicht. Als Neuankömmling war er die Attraktion des Tages.
Nachdem sich alle Stühle gefüllt hatten, begann der Lehrer mit dem Unterricht.
„Wir machen an der Stelle weiter, an der wir beim letzten Mal aufgehört haben“, sagte er. „Grammatikregeln. Wer kann Oskar erklären, worum es zuletzt ging?“
Alle begannen über zu lachen.
Oliver spürte, wie sich sein Hals zuschnürte. „Entschuldigung, mein Name ist Oliver, nicht Oskar.“
Der Lehrer sah ihn wütend an. Oliver sah sofort, dass er nicht der Typ Erwachsener war, der sich von einem Kind verbessern ließ.
„Wenn du sechsundsechzig Jahre lang mit einem Namen wie Portendorfer gelebt hast“, hob er an, „hast du dich hoffentlich daran gewöhnt, dass die Leute dich mit dem falschen Namen ansprechen. Portendoofer, Portenworten, ich kenne sie alle. Also, Oskar, ich schlage vor, du findest dich einfach direkt damit ab.“
Oliver lief rot an und zog den Kopf ein. Auch die anderen Kinder schienen über diesen Ausbruch erschrocken zu sein. Keiner lachte. Mr. Portendorfers Reaktion hätte jedes Kind eingeschüchtert, aber bei dem Neuling hatte es doppelt gesessen. Nach der schlecht gelaunten Sekretärin und dem cholerischen Lehrer fragte sich Oliver, ob es nicht wenigstens eine freundliche Person an dieser Schule gab.
Mr. Portendorfer begann seinen Vortrag über Pronomen und Oliver wagte kaum, sich zu rühren. Glücklicherweise ließ der Lehrer ihn für den Rest der Stunde in Frieden. Doch als die Schulglocke eine Stunde später läutete, fühlte Oliver sich immer noch erniedrigt. Niedergeschlagen machte er sich auf die Suche nach dem nächsten Klassenzimmer. Als er es gefunden hatte, machte er sich schnurstracks auf den Weg in die letzte Reihe. Wenn der Englischlehrer nichts von einem neuen Schüler wusste, dann wusste der Mathematiklehrer bestimmt auch nicht, dass Oliver heute neu in die Klasse kam. Vielleicht konnte er sich für die nächste Stunde einfach