Die Zauberfabrik . Морган Райс
Читать онлайн книгу.wirkte auf ihn wie ein Schutzschild, an dem alle gemeinen Kommentare aus der Klasse abprallten. Er fühlte sich so zufrieden, wie seit Tagen nicht mehr. Entspannt lehnte er sich zurück.
*
Viel zu bald verkündete die Schulglocke das Ende der Stunde. Alle sprangen auf und rannten aus dem Zimmer. Oliver packte langsam seine Sachen ein und ging zur Tür.
„Oliver, ich bin wirklich beeindruckt, was du alles weißt“, sagte Mrs. Belfry, als sie ihm auf dem Gang begegnete. „Woher weißt du so viel über diese Wissenschaftler?“
„Ich habe ein Buch über Erfinder, das ist sehr interessant. Irgendwann will ich auch ein Erfinder werden.“
„Hast du denn schon etwas erfunden?“, fragte sie interessiert.
Er nickte, wollte aber nichts von seinem Unsichtbarkeitsumhang erzählen. Was, wenn sie ihn auslachte? Er konnte den Gedanken nicht ertragen.
„Das ist wirklich wundervoll, Oliver“, sagte sie aufmunternd. „Es ist sehr wichtig, nach seinen Träumen zu greifen. Welchen Erfinder magst du am liebsten?“
Oliver sah Armando Illstroms Gesicht vor sich.
„Armando Illstrom“, sagte er entschlossen. „Er ist zwar nicht sehr bekannt, aber er hat ein paar richtig coole Sachen erfunden. Er hat sogar an einer Zeitmaschine gearbeitet.“
„Wirklich? Eine Zeitmaschine?“, fragte Mrs. Belfry mit hochgezogenen Augenbrauen. „Das ist aber aufregend!“
Oliver nickte. „Seine alte Fabrik liegt nicht weit von hier. Ich dachte, ich schaue sie mir mal an.“
„Das solltest du wirklich tun“, sagte Mrs. Belfry und lächelte ermutigend. „Als ich in deinem Alter war, habe ich Physik geliebt. Die anderen Kinder haben mich damit immer aufgezogen, weil sie nicht verstehen konnten, dass ich lieber Schaltkreise baute als mit Barbies zu spielen. Eines Tages kam mein Lieblingswissenschaftler in unsere Stadt, um eine Folge seiner Wissenssendung zu drehen. Ich hatte hinterher die Gelegenheit mit ihm zu reden und er hat mir damals gesagt, dass ich meine Leidenschaft niemals aufgeben sollte. Auch wenn andere es komisch fanden, ich bin immer meinen Träumen gefolgt. Hätte ich damals nicht mit ihm geredet, wäre ich heute vielleicht nicht hier. Du darfst nicht unterschätzen, wie wichtig aufmunternde Worte sind von einer Person, die du verehrst. Besonders wenn dir sonst niemand Mut zuspricht.“
Mrs. Belfrys Worte trafen Oliver mitten ins Herz. Zum ersten Mal seit langem fühlte er sich beschwingt und lebendig. Jetzt hatte er fest vor, die Fabrik zu finden und seinen Helden persönlich zu treffen.
„Danke, Mrs. Belfry“, sagte er grinsend. „Bis zum nächsten Mal!“
Und damit sprang er den Gang hinunter. „Folge deinem Traum!“, hörte er Mrs. Belfry hinter sich rufen.
KAPITEL DREI
Oliver kämpfte sich gegen die starken Sturmböen zur Bushaltestelle. Dabei konzentrierte er sich auf den einzigen Lichtblick, der ihm in diesem trostlosen, neuen Kapitel seines Lebens geblieben war: Armando Illstrom. Wenn er die Fabrik und den Erfinder wirklich ausfindig machen könnte, wäre sein Leben nicht mehr so trostlos. Vielleicht würde er in Armando Illstrom einen Verbündeten finden. Jemand, der an einer Zeitmaschine gearbeitet hatte, würde bestimmt mit einem Jungen auskommen, der versuchte, sich unsichtbar zu machen. Einer wie Armando würde ganz sicher mit Olivers Eigenarten klarkommen. Wahrscheinlich wäre er noch viel verschrobener als Oliver selbst!
Oliver kramte in seiner Tasche und holte einen Zettel heraus, auf den er die Adresse der Fabrik gekritzelt hatte. Sie war weiter von der Schule entfernt, als er zuerst gedacht hatte. Er würde ein paar Stationen mit dem Bus fahren müssen. In seiner anderen Tasche suchte er nach Kleingeld und stellte fest, dass er gerade noch genug Geld vom Mittagessen übrig hatte. Erleichtert stellte er sich an die Bushaltestelle.
Während er wartete, tobte der Wind unablässig. Wenn es noch schlimmer wurde, würde er bald nicht mehr gerade stehen können. Auch die anderen Leute schoben sich nur mit Mühe an dem kleinen Bushäuschen vorbei durch den Wind. Hätte sein erster Schultag ihn nicht so ausgelaugt, würde er über den Anblick lachen, aber jetzt hielt ihn nur noch der Gedanke an die Fabrik auf den Beinen.
Als der Bus schließlich kam, stieg Oliver schnell ein. Er war ebenso heruntergekommen wie die meisten Autos in diesem Viertel. Im Bus roch es nach kaltem Fritteusenfett und Zwiebeln. Sein Magen knurrte, was ihn daran erinnerte, dass er wahrscheinlich wieder das Abendessen verpassen würde. Vielleicht war es doch nicht so schlau gewesen, sein letztes Geld für den Bus anstatt für etwas zu Essen auszugeben, doch der Gedanke an Armandos Fabrik war Olivers ganzer Antrieb. Welche Hoffnung hätte er noch, wenn er jetzt nicht wenigstens versuchte, die Fabrik zu finden?
Der Bus rumpelte über die Straßen. Melancholisch sah Oliver aus dem Fenster. Mülltonnen lagen achtlos auf der Seite, ihre Inhalte waren vom Wind überall verteilt. Die Wolken waren so finster, dass sie beinahe schwarz waren.
Langsam waren die Straßen dünner besiedelt und die Gegend wirkte noch verlassener. Die wenigen Gebäude wirkten noch baufälliger. Immer wieder hielt der Bus an, um Fahrgäste aussteigen zu lassen. Diesmal war es eine erschöpft aussehende Mutter mit ihrem quengelnden Baby. Als der Bus wieder anfuhr, stellte Oliver fest, dass außer ihm niemand mehr mitfuhr. Die Stille wurde ihm unheimlich.
Schließlich fuhren sie an einer Haltestelle vorbei, deren Schild verrostet und verblichen war. Schnell stellte Oliver fest, dass er hier richtig war. Er rannte nach vorne zum Fahrer.
„Kann ich bitte hier aussteigen?“, fragte er.
Der Fahrer sah ihn mit müden, roten Augen an. „Drück auf Stopp.“
„Meinen Sie, ich soll…“
„Wenn du aussteigen willst, musst du den Knopf drücken“, wiederholte er.
Seufzend drückte Oliver auf die rote Taste und eine Glocke ertönte. Mit erhobenen Augenbrauen sah er den Fahrer an. „Kann ich jetzt aussteigen?“
„An der nächsten Haltestelle.“
Oliver war frustriert. „Ich muss aber hier aussteigen!“
„Dann hättest du früher drücken sollen.“
Verärgert ballte Oliver die Fäuste. Dann merkte er, wie der Bus langsamer wurde und neben einem Schild hielt, dass nur noch ein rostiges Rechteck war. Quietschend öffneten sich die Türen.
„Vielen Dank auch“, murmelte Oliver und stieg rasch aus. Auch aus der Nähe konnte er nicht lesen, was einst auf dem Schild gestanden hatte. Nur die Spitzen einiger Buchstaben ließen erahnen, dass die Schrift sehr altmodisch war.
Der Bus verschwand in einer Wolke aus Abgas. Sofort wurde Oliver bewusst, wie einsam und verlassen er jetzt war. Doch sowie er sich umdrehte, erschien ein sehr vertraut aussehendes Gebäude vor ihm. Es war das Gebäude aus seinem Buch! Er hatte Armando Illstroms Fabrik gefunden! Er hätte sie überall erkannt. Die Bushaltestelle musste damals, zur Blütezeit der Fabrik, den Arbeitern gedient haben. Jetzt war Oliver dankbar, dass der Busfahrer sich so stur gezeigt und ihn an genau der richtigen Stelle abgesetzt hatte.
Nur dass das Gebäude um einiges verfallener war, als Oliver gedacht hätte. In der langgezogenen Gebäudefront waren mehrere Fenster eingeschlagen. Es brannte kein einziges Licht und Oliver hatte nicht den Eindruck, dass sich irgendjemand dort aufhielt.
Was, wenn Armando doch bereits gestorben war? Ein Erfinder, der zur Zeit des Zweiten Weltkrieges gearbeitet hatte, musste inzwischen wahnsinnig alt sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass er nicht mehr am Leben war, war nicht gerade gering. Was würde Oliver machen, wenn er ihn nicht antreffen würde?
Ein Anflug von Verzweiflung wallte in ihm auf, als er auf das marode, alte Gebäude zuging. Aus der Nähe sah er, dass sämtliche Fenster im Erdgeschoss mit Brettern vernagelt waren. Eine riesige Eisentür,