Die Schlucht. Иван Гончаров

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Die Schlucht - Иван Гончаров


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Flügel da ist ja neu gebaut, Tantchen: den habe ich noch nicht gesehen!« sagte Boris.

      »Hast es also doch bemerkt! Ja, ja – erinnerst du dich noch des alten? Der war ganz verfault, handbreite Spalten waren im Fußboden, und so schwarz, so verräuchert war alles. Und nun sieh dir’s mal an!«

      Sie betraten das neu errichtete Gebäude. Die Großtante zeigte ihm dann die umfangreichen Reparaturen in den Stallungen, auch die Pferde wurden besichtigt. Hierauf ging er nach dem neuen Geflügelhaus, der Waschküche und den Viehställen.

      »Auch die alte Küche ist nicht mehr vorhanden; dort ist die neue, ich habe sie absichtlich etwas abseits anlegen lassen, als besonderes Gebäude, schon wegen der Feuersgefahr, und damit die Leute mehr Raum haben. Jetzt hat jedes seinen Winkel für sich, wenn er auch nur klein ist. Da ist der Getreidespeicher, hier die Vorratskammer, dort der neue Keller; den alten Keller habe ich umbauen lassen.«

      »Was stehst du denn da?« wandte sie sich an Matrona.

      »Geh, sag’ Jegorka, er soll ins Dorf laufen und dem Starosten sagen, daß wir selbst hinkommen.«

      Im Park machte Tatjana Markowna den jungen Besitzer mit jedem Baum, jedem Strauch bekannt, führte ihn die Alleen entlang, ließ ihn einen Blick von der Höhe in die Schlucht tun und führte ihn schließlich nach dem Dorfe. Es war ein warmer, sonniger Tag, der Winterroggen wogte leicht und gleichmäßig unter dem sanften Hauche des Mittagswindes.

      »Das ist mein Enkel Boris Pawlytsch!« sagte sie zum Starosten. »Nun, seid ihr mit dem Heu bald fertig? Beeilt euch, solange schönes Wetter ist, nach der Hitze wird es Regen geben. Da seht ihr nun den Herrn, euren wirklichen Herrn – heut ist er gekommen!« sagte sie zu den Bauern. »Hast du ihn schon mal gesehen, Garaska? Sieh dir ihn nur ordentlich an! Und du, Iljuschka – sag’ mal, ist das nicht dein Kalb dort im Roggen?« fragte sie im Vorübergehen und warf dann einen Blick nach dem Teiche.

      »Da hängt schon wieder Wäsche auf den Bäumen!« rief sie zornig und wandte sich zum Starosten um. »Ich habe doch befohlen, daß eine Leine gekauft werden soll! Sag’s der blinden Agaschka – sie ist’s, die immer die Hemden auf die Weide hängt – daß sie ihren Kram da wegbringen soll! Die Äste müssen ja abbrechen!«

      »Eine so lange Leine ist nicht da,« erwiderte der Starost in schläfrigem Tone. »Man müßte in der Stadt eine neue kaufen . . .«

      »Warum sagst du es nicht Wassilissa? Sie würde es mir sagen! Jede Woche fahre ich nach der Stadt, längst hätte ich eine Leine besorgt!«

      »Ich hab’s ihr ja gesagt; aber sie vergißt es – oder sie sagt, es lohne sich nicht, die Herrin damit zu belästigen.«

      Die Großtante machte sich einen Knoten ins Taschentuch. Sie pflegte zu sagen, daß nichts in der Wirtschaft ohne sie geschehe. Eine Wäscheleine konnte schließlich auch jeder andere kaufen, aber um nichts in der Welt hätte sie das Geld dafür jemandem anvertraut.

      Sie war nicht gerade geizig, ging jedoch mit dem Gelde sehr behutsam um; bevor sie etwas ausgab, überlegte sie lange, ward sogar ein wenig ärgerlich; war das Geld jedoch einmal ausgegeben, dann hatte sie die Sache sogleich vergessen und notierte die Ausgabe nicht einmal gern; tat sie es dennoch, so geschah es, wie sie sagte, nur, um zu wissen, wo das Geld geblieben war, und nicht zu erschrecken, wenn es plötzlich fort war. Sehr ungern zahlte sie größere Summen auf einmal, namentlich wenn es plötzliche, unvorhergesehene Ausgaben waren.

      Abgesehen von den allgemeinen Dispositionen, die sie zu treffen hatte, ging ihr Leben in lauter kleinlichen Sorgen und Tätigkeiten hin. Bald beschäftigte sie die Mädchen mit Zuschneide- und Näharbeiten, bald gab es zu flicken, zu kochen, zu scheuern. Wenn sie dabeistand und zusah, wie die anderen arbeiteten, so nannte sie das »alles selber machen«. Sie rührte nichts an, sondern stand in graziöser Kommandohaltung da, die eine Hand in die Hüfte gestützt und mit dem Zeigefinger der anderen da- und dorthin zeigend, wo etwas wegzunehmen oder hinzustellen war, oder wie etwas gemacht werden sollte.

      Der Schlüsselbund an ihrem Gürtel enthielt nur die Schlüssel zu den Schränken, Truhen und Schatullen im Hause, in denen das seit vielen Jahren aufgehäufte feine Leinenzeug, die schon vergilbten kostbaren Spitzen, die als Brautgabe für die Enkelinnen bestimmten Brillanten und vor allem das Geld aufbewahrt wurde. Die Schlüssel der Speisekammer und der sonstigen Behältnisse, in denen Tee, Zucker, Kaffee und andere Vorräte aufbewahrt wurden, befanden sich in Wassilissas Händen.

      Hatte die Großtante am Morgen ihre Anordnungen in der Wirtschaft getroffen und nach dem Kaffee, am Schreibtisch stehend, an der Rechenmaschine die Kasse kontrolliert, dann setzte sie sich auf ihren Platz am Fenster und schaute aufs Feld hinaus, verfolgte die Arbeiten, beobachtete, was im Hofe getrieben wurde, und schickte Jakow oder Wassilissa hinaus, wenn etwas nicht so gemacht wurde, wie sie es wollte.

      Hierauf fuhr sie, wenn etwas einzukaufen war, nach der Stadt, besuchte die Läden und machte einige Visiten. Doch blieb sie nirgends lange, sprach nur an zwei, drei Stellen fünf Minuten lang vor und war zum Mittagessen wieder zu Hause.

      Nicht so schnell ließ sie ihre eigenen Gäste los – wer kam, mußte, wenn es irgend ging, zum Frühstück oder Mittagessen bleiben. Nie, solange sie lebte, war jemand von ihr gegangen, ohne daß sie ihn, ganz gleich womit und zu welcher Tageszeit, bis oben hinauf vollgestopft hätte. Nach dem Mittagessen saß sie, wenn sie allein war, im Winter gern in nachdenklichem Schweigen am Kamin. In schöner Pose, als die vornehme Dame, die keine Sorgen hat, saß sie da, wie in tiefes Nachsinnen oder in Erinnerungen versunken, die sie weit, weit entführten. Dann mußte es ganz still um sie sein. Im Sommer hielt sie sich am Nachmittag im Garten oder im Park auf: hier zog sie auch wohl gern einmal ein Paar Gemslederhandschuhe an, nahm den Spaten, die Harke oder die Gießkanne zur Hand und begann – »aus Gesundheitsrücksichten« – ein Beet umzugraben, oder begoß die Blumen, raupte einen Strauch ab, entfernte das Spinngewebe von den Johannisbeersträuchern und endete schließlich, nachdem sie müde geworden, den Tag am Teetisch, wo ihr guter alter Freund und Berater Tit Nikonytsch Watutin ihr Gesellschaft leistete.

      Neuntes Kapitel

      Tit Nikonytsch war der geborene Gentleman. Er besaß in demselben Gouvernement ein Gut von zweihundertfünfzig bis dreihundert Seelen – er wußte selbst nicht, wieviel es waren, denn er war nie auf seinem Gute und ließ die Bauern treiben, was sie wollten, und die Pacht, die sie ihm zahlten, nach eigenem Ermessen bestimmen. Nie übte er eine Kontrolle über sie aus. Mit verschämter Miene nahm er das Geld, das sie ihm brachten, legte es, ohne es nachzuzählen, in seinen Schreibtisch und winkte ihnen ab – sie konnten wieder heimfahren und tun, was sie wollten.

      Er hatte früher in der Armee gedient. Die älteren Leute erinnerten sich seiner noch als eines stattlichen jungen Offiziers von trefflicher Erziehung, bescheidenem Wesen und offenem, tapferem Charakter.

      In seiner Jugend hatte er häufig seine Mutter auf dem Gute besucht, hatte da seinen Urlaub zugebracht und war wieder abgereist, und schließlich nahm er den Abschied, zog in die Stadt, kaufte sich dort ein kleines graues Häuschen mit drei auf die Straße hinausgehenden Fenstern und richtete sich hier für immer sein Nest ein.

      Er hatte eine ziemlich mangelhafte Bildung in irgendeinem Kadettenkorps erhalten, las jedoch gern, namentlich Bücher politischen und naturwissenschaftlichen Inhalts. Seine Sprechweise, seine Manieren, sein ganzes Auftreten hatten etwas Sanftes, Verschämtes; das Bewußtsein der eigenen Würde barg sich wohl dahinter und kam zwar nicht sichtbar zum Vorschein, schien aber stets bereit, wenn es not tat, sich offen zu bekunden.

      Er bewahrte, mit wem er auch sprechen mochte, stets eine gewisse respektvolle Zurückhaltung in Worten und Gesten. Ob er dem Gouverneur, oder einem Freunde, oder einem ihm eben erst vorgestellten Fremden gegenüberstand, jedesmal verbeugte er sich auf die gleiche höfliche Weise, scharrte leicht mit dem Fuße und hob ihn ein wenig nach hinten empor, ganz nach Vorschrift des alten Zeremoniells. In Gegenwart einer Dame setzte er sich nie, selbst auf der Straße sprach er mit Damen nur unbedeckten Hauptes; er war der erste, der sich nach einem zur Erde fallenden Taschentuch bückte, oder ein Fußbänkchen herbeiholte. Waren junge Mädchen in einem Hause, so brachte er jedesmal ein Pfund Konfekt oder einen Blumenstrauß mit und suchte den Ton der Unterhaltung ihrem Alter,


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