Die Schlucht. Иван Гончаров

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Die Schlucht - Иван Гончаров


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Grasmücken und Goldamseln, Zeisige und Stieglitze, und in der Nacht vernahm man das Trillern und Flöten der Nachtigallen.

      Der Hof war voll von Geflügel aller Art, Hunde aller Farben liefen hin und her. Die Kühe wurden am Morgen aufs Feld getrieben und kehrten am Abend heim, und ein Ziegenbock mit zwei Ziegen zog jedesmal mit. Mehrere Pferde standen fast müßig im Stalle.

      Über den Blumen vor dem Hause summten Bienen und Hummeln, Libellen schwirrten daher, Schmetterlinge gaukelten in der Sonne, und in den Ecken lagen Katzen mit ihren Jungen.

      Freudigkeit und Friede herrschten im Hause, alles, was das Herz nur wünschte, war darin vorhanden. Die Zimmer waren klein, doch gemütlich, die Möbel, die noch aus der Zeit der Großeltern und Urgroßeltern Raiskis herstammten, waren aus dem großen Hause herübergebracht worden. An den Wänden hingen Porträts: Raiskis Eltern und die Eltern der beiden kleinen Mädchen, die in der Pflege der Großtante verblieben waren.

      Der Fußboden war überall gestrichen, gebohnt und mit Schutzdecken belegt; die Öfen waren mit bunten, altertümlichen Kacheln geschmückt, die gleichfalls aus dem großen Hause stammten. Die Schränke waren über und über mit altem Geschirr und Silberzeug gefüllt, das jedesmal klang und klirrte, wenn jemand durch die Zimmer schritt. Zunächst fielen die alten Meißener Tassen, Hirtenmädchen, Marquisen, die chinesischen Pagoden, die bauchigen Teekannen und Zuckerschalen und die schweren silbernen Löffel ins Auge. Runde, mit Bronze verzierte Stühle und kleine Tische mit zierlicher Holzmosaik standen in den lauschigen Ecken. In Tatjana Markownas Kabinett stand ein altertümlicher Schreibtisch mit Spiegel, Urnen, Leiern und Genien, der gleichfalls mit Bronze verziert und mit reichem Schnitzwerk geschmückt war. Aber sie hatte den Spiegel verhängen lassen: es störte sie beim Schreiben, sagte sie, wenn sie so immer ihre »Visage« vor sich sah.

      Ferner stand da ein runder Tisch, an dem sie zu Mittag zu speisen und den Kaffee und Tee einzunehmen pflegte, sowie ein alter, nicht gerade weicher Ledersessel mit hohem Rokokorücken.

      Tatjana Markowna war noch ganz nach der Methode der alten Zeit erzogen, sie liebte es nicht, sich gehen zu lassen, sondern hielt sich gerade, in schlichter Einfachheit, in reservierten, anständigen Formen; alles Auffallende in der Haltung einer Frau hielt sie für unanständig.

      Sie erschien Boris, als er sie jetzt wiedersah, geradezu schön, und sie war es in der Tat.

      Sie war von hoher, nicht gerade voller, doch auch nicht hagerer Gestalt und von großer Lebhaftigkeit. Trotz des ergrauten Haares machte sie durchaus noch keinen alten Eindruck, und sie zählte in der Tat nicht mehr als fünfzig Jahre. Die schwarzen, lebhaften Augen und das gutherzige, graziöse Lächeln hatten etwas ungemein Einnehmendes – selbst wenn sie zornig wurde, wenn es in diesen Augen blitzte und wetterte, glaubte man hinter dem Gewölk schon wieder den klaren Himmel zu sehen.

      Die Oberlippe war von einem leichten Flaum beschattet; auf der linken Wange, näher dem Kinn, befand sich ein Muttermal mit einem dichten Haarbüschel darauf. Das erhöhte noch den gutmütigen Ausdruck ihres Gesichts.

      Sie hatte das graue Haar kurz geschnitten und ging im Hause wie im Hofe und Garten mit bloßem Kopfe umher. Nur an Feiertagen, und wenn Gäste anwesend waren, pflegte sie eine Haube zu tragen; aber die Haube hatte keinen Halt auf ihrem Kopfe, sie stand ihr durchaus nicht und glitt jeden Augenblick vom Kopfe herunter. Das war ihr selbst lästig, und wenn sie einem Gaste fünf Minuten lang Gesellschaft geleistet hatte, entschuldigte sie sich gewöhnlich und nahm die Haube ab.

      Am Vormittag pflegte sie einen weiten, weißen Morgenrock mit einem Gürtel und großen Taschen zu tragen, am Nachmittag zog sie ein braunes Kleid an, an dessen Stelle an hohen Festtagen ein helles, silbern schimmerndes Kleid trat, das ganz steif war und beständig knisterte; um die Schultern trug sie einen kostbaren alten Schal, den nur die Haushälterin Wassilissa aus der Truhe nehmen und wieder hineinlegen durfte.

      »Den hat Onkel Iwan Kusmitsch aus dem Orient mitgebracht – dreihundert Dukaten hat er gekostet,« pflegte sie mit Stolz zu sagen. »Jetzt ist solch ein Schal für den Preis nicht zu haben!«

      Am Gürtel und in den Taschen hingen und lagen zahlreiche Schlüssel, so daß man Tatjana Markowna, wenn sie über den Hof oder durch den Garten ging, wie eine Klapperschlange schon von ferne hörte.

      Die Kutscher steckten, sobald sie das Klirren der Schlüssel vernahmen, rasch die Pfeife in den Stiefelschaft, weil nämlich Tatjana Markowna nichts in der Welt so sehr fürchtete, wie eine Feuersbrunst, und das Tabakrauchen aus diesem Grunde für eins der schlimmsten Laster hielt.

      Die Köche und Küchenmädchen griffen, wenn das Schlüssselklirren sich vernehmen ließ, sogleich nach einem Messer, Kochlöffel oder Besen, und Kirjuscha, der gerade mit Matrona im Tor stand, lief sogleich davon, während diese nach dem Stalle eilte und mit Eifer an einem Trog zu schleppen begann, als ob ihr nie etwas anderes in den Sinn gekommen wäre.

      Auch im Hause war das Klirren der Schlüssel jedesmal das Signal zu einer angeregteren Tätigkeit. Maschutka nahm flink die unsaubere Schürze ab und wischte am ersten besten Stück Zeug, ob es das Taschentuch ihrer Herrin oder ein Wischlappen war, die schmutzigen Hände ab. Dann spuckte sie in die Hände, suchte das widerspenstige, trockene Haar an den Schläfen festzukleben und deckte ein sauberes Tischtuch auf den runden Tisch, worauf Wassilissa, eine schweigsame, ernste Person von etwas kränklichem Aussehen, die mit ihrer Herrin etwa in gleichem Alter stand, das silberne Servis mit dem dampfenden frischen Kaffee hereinbrachte.

      Maschutka zog sich dann in einen Winkel zurück, um sich vor dem prüfenden Auge der Herrin, die sie immer adrett und sauber sehen wollte, in Sicherheit zu bringen. Es wurde Maschutka auch gar zu schwer, sich sauber zu halten: hatte sie ihre Hände gewaschen, dann hielt sie die Gegenstände lange nicht so sicher fest und ließ jeden Augenblick etwas fallen; ob es der Samowar oder ein wertvolles Servis war, es entglitt eben ihren Händen. Auch in sauberen Kleidern fühlte sie sich immer sehr unbehaglich. Wenn sie sich am Sonntag waschen und kämmen mußte und ihre guten Kleider anzog, war ihr, wie sie sagte, so zumute, als sei sie in einen Sack eingenäht. Sie fühlte sich immer nur dann glücklich, wenn sie vom Aufwischen der Fußböden, vom Reinigen der Fenster, der Türen und des Geschirrs so recht von oben bis unten beschmutzt war, daß man ihr Gesicht nicht wiedererkannte und sie, um sich die Nase oder die Augenbrauen zu reiben, statt der unsauberen Hände die Ellbogen zu Hilfe nehmen mußte.

      Im Gegensatz zu ihr war Wassilissa die Akkuratesse selbst, stets ernst und gemessen, immer nur im Flüsterton sprechend und auf dem ganzen Hofe die einzige Person, die sich wirklich sauber hielt. Als ganz junges Mädchen schon war sie als Kammerzofe in den Dienst ihrer Herrin getreten; nie hatte sie sich von ihr getrennt, jedes Ereignis, jede Einzelheit ihres Lebens war ihr bekannt; jetzt hatte sie die Stellung einer Vertrauten ihrer Herrin und Haushälterin inne.

      Ihre Unterhaltung war stets sehr einsilbig – die Herrin brauchte Wassilissa fast gar keine Befehle zu erteilen, sie wußte schon von selbst, was zu tun war. Lag etwas Besonderes vor, dann gab ihr die Großtante einfach den »Rat«, das und das zu tun. Eine Untergebene um etwas zu bitten, widersprach ihrer feudalen Auffassung. Ein Lakai, ein Diener, eine Dienerin blieb eben für sie ein Lakai, ein Diener, eine Dienerin, welche Vorzüge auch sonst der oder die Betreffende haben mochte.

      Im übrigen nahm nur selten jemand von ihr persönlich Befehle entgegen: in allen häuslichen Angelegenheiten teilte sie ihre Wünsche Wassilissa mit, und in allem, was das Gut betraf, wandte sie sich an den Buchhalter oder den Starosten. Niemand außer Wassilissa wurde von ihr beim vollen Namen genannt, es müßte denn sein, daß jemand einen Namen trug, der sich schon gar nicht abkürzen oder verstümmeln ließ, wie etwa die Namen Ferapont oder Pantelejmon, deren Träger ihren Namen voll zu hören bekamen; den Dorfältesten nannte sie Stepan Wassiljew, alle anderen waren für sie nur Matroschka, Maschutka, Jegorka usw. Nannte sie dagegen jemanden beim Vor- und Vatersnamen, dann durfte er sicher sein, daß sich über ihm ein Gewitter zusammenzog:

      »Komm doch mal her – du, Jegor Prochorytsch! Wo hast du denn gestern den ganzen Tag gesteckt?« oder: »Du, Ssemjon Wassilitsch – du warst ja gestern mit der brennenden Pfeife auf dem Heuboden. Nimm dich in acht, Bursche!«

      Sie drohte ihm mit dem Finger, und zuweilen stand sie mitten in der Nacht auf und spähte durchs Fenster, ob nicht irgendwo das Glimmen einer Tabakpfeife


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