Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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Bil­dung kom­men.«

      Im Sin­ne ei­ner sol­chen An­re­de hät­te der deut­sche Leh­rer am Gym­na­si­um die Ver­pflich­tung, auf tau­sen­de von Ein­zel­hei­ten sei­ne Schü­ler auf­merk­sam zu ma­chen und ih­nen mit der gan­zen Si­cher­heit ei­nes gu­ten Ge­schmacks den Ge­brauch von sol­chen Wor­ten ge­ra­de­zu zu ver­bie­ten, wie zum Bei­spiel von »be­an­spru­chen«, »ver­ein­nah­men«, »ei­ner Sa­che Rech­nung tra­gen«, »die Ini­tia­ti­ve er­grei­fen«, »selbst­ver­ständ­lich« – und so wei­ter cum ta­edio in in­fi­ni­tum. Der­sel­be Leh­rer wür­de fer­ner an un­se­ren klas­si­schen Au­to­ren von Zei­le zu Zei­le zei­gen müs­sen, wie sorg­sam und streng jede Wen­dung zu neh­men ist, wenn man das rech­te Kunst­ge­fühl im Her­zen und die vol­le Ver­ständ­lich­keit al­les Des­sen, was man schreibt, vor Au­gen hat. Er wird im­mer und im­mer wie­der sei­ne Schü­ler nö­thi­gen, den­sel­ben Ge­dan­ken noch ein­mal und noch bes­ser aus­zu­drücken, und wird kei­ne Gren­ze sei­ner Thä­tig­keit fin­den, be­vor nicht die ge­rin­ger Be­gab­ten in einen hei­li­gen Schreck vor der Spra­che, die Be­gab­te­ren in eine edle Be­geis­te­rung für die­sel­be ge­rat­hen sind.

      Nun, hier ist eine Auf­ga­be für die so­ge­nann­te for­mel­le Bil­dung und eine der al­ler­wert­h­volls­ten: und was fin­den wir nun am Gym­na­si­um, an der Stät­te der so­ge­nann­ten for­mel­len Bil­dung? – Wer Das, was er hier ge­fun­den hat, un­ter die rich­ti­gen Ru­bri­ken zu brin­gen ver­steht, wird wis­sen, was er von dem jet­zi­gen Gym­na­si­um als ei­ner an­geb­li­chen Bil­dungs­an­stalt zu hal­ten hat: er wird näm­lich fin­den, daß das Gym­na­si­um nach sei­ner ur­sprüng­li­chen For­ma­ti­on nicht für die Bil­dung, son­dern nur für die Ge­lehr­sam­keit er­zieht, und fer­ner, daß es neu­er­dings die Wen­dung nimmt, als ob es nicht ein­mal mehr für die Ge­lehr­sam­keit, son­dern für die Jour­na­lis­tik er­ziehn wol­le. Dies ist an der Art, wie der deut­sche Un­ter­richt ert­heilt wird, wie an ei­nem recht zu­ver­läs­si­gen Bei­spie­le zu zei­gen.

      An Stel­le je­ner rein prak­ti­schen In­struk­ti­on, durch die der Leh­rer sei­ne Schü­ler an eine stren­ge sprach­li­che Selbs­t­er­zie­hung ge­wöh­nen soll­te, fin­den wir über­all die An­sät­ze zu ei­ner ge­lehrt-his­to­ri­schen Be­hand­lung der Mut­ter­spra­che: das heißt, man ver­fährt mit ihr, als ob sie eine tod­te Spra­che sei, und als ob es für die Ge­gen­wart und Zu­kunft die­ser Spra­che kei­ne Ver­pflich­tun­gen gäbe. Die his­to­ri­sche Ma­nier ist un­se­rer Zeit bis zu dem Gra­de ge­läu­fig ge­wor­den, daß auch der le­ben­di­ge Leib der Spra­che ih­ren ana­to­mi­schen Stu­di­en preis­ge­ge­ben wird: hier aber be­ginnt ge­ra­de die Bil­dung, daß man ver­steht das Le­ben­di­ge als le­ben­dig zu be­han­deln, hier be­ginnt ge­ra­de die Auf­ga­be des Bil­dungs­leh­rers, das über­all her sich auf­drän­gen­de »his­to­ri­sche In­ter­es­se« dort zu un­ter­drücken, wo vor al­len Din­gen rich­tig ge­han­delt, nicht er­kannt wer­den muß. Un­se­re Mut­ter­spra­che aber ist ein Ge­biet, auf dem der Schü­ler rich­tig han­deln ler­nen muß: und ganz al­lein nach die­ser prak­ti­schen Sei­te hin ist der deut­sche Un­ter­richt auf un­sern Bil­dungs­an­stal­ten nothwen­dig. Frei­lich scheint die his­to­ri­sche Ma­nier für den Leh­rer be­deu­tend leich­ter und be­que­mer zu sein, eben­falls scheint sie ei­ner weit ge­rin­ge­ren An­la­ge, über­haupt ei­nem nied­ri­ge­ren Flu­ge sei­nes ge­samm­ten Wol­lens und Stre­bens zu ent­spre­chen. Aber die­se sel­be Wahr­neh­mung wer­den wir auf al­len Fel­dern der päd­ago­gi­schen Wirk­lich­keit zu ma­chen ha­ben: das Leich­te­re und Be­que­me­re hüllt sich in den Man­tel prunk­haf­ter An­sprü­che und stol­zer Ti­tel: das ei­gent­lich Prak­ti­sche, das zur Bil­dung ge­hö­ri­ge Han­deln, als das im Grun­de Schwe­re­re, ern­tet die Bli­cke der Miß­gunst und Ge­ring­schät­zung: wes­halb der ehr­li­che Mensch auch die­ses Quid­pro­quo sich und An­de­ren zur Klar­heit brin­gen muß.

      Was pflegt nun der deut­sche Leh­rer, au­ßer die­sen ge­lehr­ten­haf­ten An­re­gun­gen zu ei­nem Stu­di­um der Spra­che, sonst noch zu ge­ben? Wie ver­bin­det er den Geist sei­ner Bil­dungs­an­stalt mit dem Geist der we­ni­gen wahr­haft Ge­bil­de­ten, die das deut­sche Volk hat, mit dem Geis­te sei­ner clas­si­schen Dich­ter und Künst­ler? Dies ist ein dunkles und be­denk­li­ches Be­reich, in das man nicht ohne Schre­cken hin­ein­leuch­ten kann: aber auch hier wol­len wir uns nichts ver­heh­len, weil ir­gend­wann ein­mal hier Al­les neu wer­den muß. In dem Gym­na­si­um wird die wi­der­wär­ti­ge Si­gna­tur un­se­rer äs­the­ti­schen Jour­na­lis­tik auf die noch un­ge­form­ten Geis­ter der Jüng­lin­ge ge­prägt: hier wer­den von dem Leh­rer selbst die Kei­me zu dem ro­hen Miß­ver­ste­hen-wol­len un­se­rer Clas­si­ker aus­ge­sä­et, das sich nach­her als äs­the­ti­sche Kri­tik ge­ber­det und nichts als vor­lau­te Bar­ba­rei ist. Hier ler­nen die Schü­ler von un­serm ein­zi­gen Schil­ler mit je­ner kna­ben­haf­ten Über­le­gen­heit zu re­den, hier ge­wöhnt man sie, über die edels­ten und deut­sche­s­ten sei­ner Ent­wür­fe, über den Mar­quis Posa, über Max und Thel­la zu lä­cheln – ein Lä­cheln, über das der deut­sche Ge­ni­us er­grimmt, über das eine bes­se­re Nach­welt er­rö­then wird.

      Das letz­te Be­reich, auf dem der deut­sche Leh­rer am Gym­na­si­um thä­tig zu sein pflegt, und das nicht sel­ten als die Spit­ze sei­ner Thä­tig­keit, hier und da so­gar als die Spit­ze der Gym­na­si­al­bil­dung be­trach­tet wird, ist die so­ge­nann­te deut­sche Ar­beit. Da­ran daß auf die­sem Be­rei­che sich fast im­mer die be­gab­tes­ten Schü­ler mit be­son­de­rer Lust tum­meln, soll­te man er­ken­nen, wie ge­fähr­lich-an­rei­zend ge­ra­de die hier ge­stell­te Auf­ga­be sein mag. Die deut­sche Ar­beit ist ein Ap­pell an das In­di­vi­du­um: und je stär­ker be­reits sich ein Schü­ler sei­ner un­ter­schei­den­den Ei­gen­schaf­ten be­wußt ist, um so per­sön­li­cher wird er sei­ne deut­sche Ar­beit ge­stal­ten. Die­ses »per­sön­li­che Ge­stal­ten« wird noch dazu in den meis­ten Gym­na­si­en schon durch die Wahl der The­ma­ta ge­for­dert: wo­für mir im­mer der stärks­te Be­weis ist, daß man schon in den nied­ri­ge­ren Klas­sen das an und für sich un­päd­ago­gi­sche The­ma stellt, durch wel­ches der Schü­ler zu ei­ner Be­schrei­bung sei­nes eig­nen Le­bens, sei­ner eig­nen Ent­wick­lung ver­an­laßt wird. Nun mag man nur ein­mal die Ver­zeich­nis­se sol­cher The­ma­ta an ei­ner grö­ße­ren An­zahl von Gym­na­si­en durch­le­sen, um zu der Über­zeu­gung zu kom­men, daß wahr­schein­lich die al­ler­meis­ten Schü­ler für ihr Le­ben an die­ser zu früh ge­for­der­ten Per­sön­lich­keits­ar­beit, an die­ser un­rei­fen Ge­dan­ken­er­zeu­gung, ohne ihr Ver­schul­den, zu lei­den ha­ben: und wie oft er­scheint das gan­ze spä­te­re lit­te­ra­ri­sche Wir­ken ei­nes Men­schen wie die trau­ri­ge Fol­ge je­ner päd­ago­gi­schen Ur­sün­de wi­der den Geist!

      Man muß nur den­ken, was in ei­nem sol­chen Al­ter, bei der Pro­duk­ti­on ei­ner sol­chen Ar­beit, vor sich geht. Es ist die ers­te eig­ne Pro­duk­ti­on; die noch un­ent­wi­ckel­ten Kräf­te schie­ßen zum ers­ten Male zu ei­ner Kry­stal­li­sa­ti­on zu­sam­men; das tau­meln­de Ge­fühl der ge­for­der­ten Selb­stän­dig­keit um­klei­det die­se Er­zeug­nis­se mit ei­nem al­ler­ers­ten, nie wie­der­keh­ren­den be­rücken­den Zau­ber. Alle Ver­we­gen­hei­ten der Na­tur sind aus ih­rer Tie­fe her­vor­ge­ru­fen, alle Ei­tel­kei­ten, durch kei­ne mäch­ti­ge­re Schran­ke zu­rück­ge­hal­ten, dür­fen zum ers­ten Male eine lit­te­ra­ri­sche Form an­neh­men: der jun­ge Mensch emp­fin­det sich von jetzt ab


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