Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ðицше
Читать онлайн книгу.wahre Realität hat. Wenn jene Gegner aber einwenden wollten: »aber in eurem Denken selbst giebt es doch Succession, also könnte auch euer Denken nicht real sein und somit auch Nichts beweisen können«, so würde Parmenides vielleicht ähnlich wie Kant in einem ähnlichen Falle, bei einem gleichen Vorwurfe, geantwortet haben: »ich kann zwar sagen, meine Vorstellungen folgen einander: aber das heißt nur: wir sind uns ihrer als in einer Zeitfolge, d. h. nach der Form des inneren Sinnes bewußt. Die Zeit ist deshalb nicht Etwas an sich, auch keine den Dingen objektiv anhängende Bestimmung.« Es wäre also zwischen dem reinen Denken, das zeitlos wäre wie das eine parmenideische Sein, und dem Bewußtsein von diesem Denken zu unterscheiden, und Letzteres übersetzte bereits das Denken in die Form des Scheins, also der Succession, der Vielheit und der Bewegung. Es ist wahrscheinlich, daß sich Parmenides dieses Auswegs bedient haben würde: übrigens müßte dann gegen ihn Dasselbe eingewendet werden, was A. Spir (Denken und Wirklichkeit 2. Aufl. Band I S. 209 f.) gegen Kant einwendet. »Nun ist es aber erstens klar, daß ich von einer Succession als solcher Nichts wissen kann, wenn ich die aufeinanderfolgenden Glieder derselben nicht zugleich in meinem Bewußtsein habe. Die Vorstellung einer Succession ist also selbst gar nicht successiv, folglich auch von der Succession unserer Vorstellungen durchaus verschieden. Zweitens implicirt die Annahme Kant’s so offenbare Absurditäten, daß es Einen Wunder nimmt, wie er sie unbeachtet lassen konnte. Cäsar und Sokrates sind nach dieser Annahme nicht wirklich todt, sie leben noch ebensogut wie vor zweitausend Jahren und scheinen bloß todt zu sein, in Folge einer Einrichtung meines »inneren Sinnes«. Künftige Menschen leben jetzt schon, und wenn sie jetzt noch nicht als lebend hervortreten, so ist daran ebenfalls jene Einrichtung des »inneren Sinnes« schuld. Hier fragt es sich vor allen Dingen: Wie kann der Anfang und das Ende des bewußten Lebens selbst, mitsammt allen seinen inneren und äußeren Sinnen bloß in der Auffassung des inneren Sinnes existiren? Thatsache ist eben, daß man die Realität der Veränderung durchaus nicht ableugnen kann. Wird sie zum Fenster hinaus gewiesen, so schlüpft sie durch das Schlüsselloch wieder herein. Man sage: »Es scheint mir bloß, daß Zustände und Vorstellungen wechseln«, – so ist doch dieser Schein selbst etwas objektiv Vorhandenes und in ihm hat die Succession unzweifelhaft objektive Realität, es folgt darin Etwas wirklich aufeinander. – Außerdem muß man bemerken, daß die ganze Kritik der Vernunft ja nur unter der Voraussetzung Grund und Recht haben kann, daß uns unsre Vorstellungen selbst so erscheinen, wie sie sind. Denn wenn auch die Vorstellungen uns anders erschienen, als sie wirklich sind, so würde man auch über diese keine gültige Behauptung aufstellen, also keine Erkenntnißtheorie und keine »transscendentale« Untersuchung von objektiver Gültigkeit zu Stande bringen können. Nun steht es aber außer Zweifel, daß uns unsre Vorstellungen selbst als successiv erscheinen.«
Die Betrachtung dieser zweifellos sicheren Succession und Bewegtheit hat nun Anaxagoras zu einer denkwürdigen Hypothese gedrängt. Ersichtlich bewegten die Vorstellungen sich selbst, wurden nicht geschoben und hatten keine Ursache der Bewegung außer sich. Also giebt es Etwas, sagte er sich, was den Ursprung und den Anfang der Bewegung in sich selbst trägt; zweitens aber beachtet er, daß diese Vorstellung nicht nur sich selbst, sondern auch noch etwas ganz Verschiednes bewege, den Leib. Er entdeckt also, in der unmittelbarsten Erfahrung, eine Wirkung von Vorstellungen auf ausgedehnte Materie, die sich als Bewegung der letzteren zu erkennen giebt. Das galt ihm als Thatsache; erst nebenbei reizte es ihn, auch diese Thatsache zu erklären. Genug, er hatte ein regulatives Schema für die Bewegung in der Welt, die er jetzt entweder als eine Bewegung der wahren, isolirten Wesenheiten durch das Vorstellende, den Nous, oder als Bewegung durch bereits Bewegtes dachte. Daß die letztere Art, die mechanische Übertragung von Bewegungen und Stößen, bei seiner Grundannahme ebenfalls ein Problem in sich enthalte, ist ihm wahrscheinlich entgangen: die Gemeinheit und Alltäglichkeit der Wirkung durch Stoß stumpfte wohl seinen Blick gegen die Räthselhaftigkeit desselben ab. Dagegen empfand er recht wohl die problematische, ja widerspruchsvolle Natur einer Wirkung von Vorstellungen auf an sich seiende Substanzen und suchte deshalb auch diese Wirkung auf ein mechanisches, ihm als erklärlich geltendes Schieben und Stoßen zurückzuführen. Der Nous war ja jedenfalls auch eine solche an sich seiende Substanz und wurde von ihm als ganz zarte und feine Materie, mit der specifischen Qualität Denken, charakterisirt. Bei einem solchermaßen angenommenen Charakter mußte freilich die Wirkung dieser Materie auf die andre Materie ganz derselben Art sein, wie die, welche eine andre Substanz auf eine dritte ausübt, das heißt eine mechanische, durch Druck und Stoß bewegende. Immerhin hatte er jetzt eine Substanz, welche sich selbst bewegt und Anderes bewegt, deren Bewegung nicht nun außen kommt und von Niemandem sonst abhängt: während es fast gleichgültig schien, wie nun diese Selbstbewegung zu denken sei, etwa ähnlich wie das Sich-Hin- und -Herschieben von ganz zarten und kleinen runden Quecksilber-Kügelchen. Unter allen Fragen, die die Bewegung betreffen, giebt es keine lästigere als die Frage nach dem Anfang der Bewegung. Wenn man sich nämlich alle übrigen Bewegungen als Folgen und Wirkungen denken darf, so müßte doch immer die erste uranfängliche erklärt werden; für die mechanischen Bewegungen kann aber jedenfalls das erste Glied der Kette nicht in einer mechanischen Bewegung liegen, da dies so viel heißen würde, als auf den widersinnigen Begriff der causa sui recurriren. Den ewigen unbedingten Dingen aber eigene Bewegung, gleichsam von Anfang, als Mitgift ihres Daseins, beizulegen, geht ebenfalls nicht an. Denn Bewegung ist nicht ohne eine Richtung wohin und worauf, also nur als Beziehung und Bedingung vorzustellen; ein Ding ist aber nicht mehr an sich seiend und unbedingt, wenn es sich seiner Natur nach notwendig auf etwas außer ihm Existirendes bezieht. In dieser Verlegenheit vermeinte Anaxagoras eine außerordentliche Hülfe und Rettung in jenem sich selbst bewegenden und sonst unabhängigen Nous zu finden: als dessen Wesen gerade dunkel und verschleiert genug ist, um darüber täuschen zu können, daß auch seine Annahme im Grunde jene verbotene causa sui involvirt. Für die empirische Betrachtung ist es sogar ausgemacht, daß das Vorstellen nicht eine causa sui, sondern die Wirkung des Gehirnes ist, ja ihr muß es als eine wunderliche Ausschweifung gelten, den »Geist«, das Gehirnerzeugniß, von seiner causa zu trennen und nach dieser Loslösung noch als existirend zu wähnen. Dies that Anaxagoras; er vergaß das Gehirn, seine erstaunliche Künstlichkeit, die Zartheit und Verschlungenheit seiner Windungen und Gänge und dekretirte den »Geist an sich«. Dieser »Geist