Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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Ver­we­gen­heit dort phan­ta­siert, wo man nichts fest­stel­len konn­te, und sei­ne Nach­kom­men über­re­det, die­se Phan­tasi­en für Ernst und Wahr­heit zu neh­men, zu­letzt mit dem ab­scheu­li­chen Trump­fe: daß Glau­ben mehr wert sei, als Wis­sen. Jetzt nun tut in Hin­sicht auf jene letz­ten Din­ge nicht Wis­sen ge­gen Glau­ben not, son­dern Gleich­gül­tig­keit ge­gen Glau­ben und an­geb­li­ches Wis­sen auf je­nen Ge­bie­ten! – Al­les an­de­re muß uns nä­her­ste­hen als das, was man uns bis­her als das Wich­tigs­te vor­ge­pre­digt hat – ich mei­ne jene Fra­gen: wozu der Mensch? Wel­ches Los hat er nach dem Tode? Wie ver­söhnt er sich mit Gott? und wie die­se Ku­rio­sa lau­ten mö­gen. Eben­so­we­nig wie die­se Fra­gen der Re­li­gi­ösen ge­hen uns die Fra­gen der phi­lo­so­phi­schen Dog­ma­ti­ker an, mö­gen sie nun Idea­lis­ten oder Ma­te­ria­lis­ten oder Rea­lis­ten sein. Sie al­le­samt sind dar­auf aus, uns zu ei­ner Ent­schei­dung auf Ge­bie­ten zu drän­gen, wo we­der Glau­ben noch Wis­sen not tut; selbst für die größ­ten Lieb­ha­ber der Er­kennt­nis ist es nütz­li­cher, wenn um al­les Er­forsch­ba­re und der Ver­nunft Zu­gäng­li­che ein um­ne­bel­ter trü­ge­ri­scher Sumpf­gür­tel sich legt, ein Strei­fen des Un­durch­dring­li­chen, Ewig – Flüs­si­gen und Un­be­stimm­ba­ren. Gera­de durch die Ver­glei­chung mit dem Reich des Dun­kels am Ran­de der Wis­sens-Erde steig­t die hel­le und nahe, nächs­te Welt des Wis­sens stets im Wer­te. – Wir müs­sen wie­der gu­te Nach­barn der nächs­ten Din­ge wer­den und nicht so ver­ächt­lich wie bis­her über sie hin­weg nach Wol­ken und Nach­tun­hol­den hin­bli­cken. In Wäl­dern und Höh­len, in sump­fi­gen Stri­chen und un­ter be­deck­ten Him­meln – da hat der Mensch, als auf den Kul­tur­stu­fen gan­zer Jahr­tau­sen­de, all­zu­lan­ge ge­lebt, und dürf­tig ge­lebt. Dort hat er die Ge­gen­wart und die Nach­bar­schaft und das Le­ben und sich selbst ver­ach­ten ge­lernt – und wir, wir Be­woh­ner der lich­teren Ge­fil­de der Na­tur und des Geis­tes, be­kom­men jetzt noch, durch Erb­schaft, et­was von die­sem Gift der Ver­ach­tung ge­gen das Nächs­te in un­ser Blut mit.

      Tie­fe Er­klä­run­gen. – Wer die Stel­le ei­nes Au­tors "tiefer er­klärt", als sie ge­meint war, hat den Au­tor nicht er­klärt, son­dern ver­dun­kelt. So ste­hen uns­re Me­ta­phy­si­ker zum Tex­te der Na­tur; ja noch schlim­mer. Denn um ihre tie­fen Er­klä­run­gen an­zu­brin­gen, rich­ten sie sich häu­fig den Text erst dar­auf­hin zu: das heißt, sie ver­der­ben ihn. Um ein ku­rio­ses Bei­spiel für Text­ver­derb­nis und Ver­dun­ke­lung des Au­tors zu ge­ben, so mö­gen hier Scho­pen­hau­ers Ge­dan­ken über die Schwan­ger­schaft der Wei­ber ste­hen. Das An­zei­chen des ste­ten Da­seins des Wil­lens zum Le­ben in der Zeit, sagt er, ist der Ko­itus; das An­zei­chen des die­sem Wil­len aufs Neue zu­ge­sell­ten, die Mög­lich­keit der Er­lö­sung of­fen­hal­ten­den Lich­tes der Er­kennt­nis, und zwar im höchs­ten Gra­de der Klar­heit, ist die er­neu­er­te Men­sch­wer­dung des Wil­lens zum Le­ben. Das Zei­chen die­ser ist die Schwan­ger­schaft, wel­che da­her frank und frei, ja stolz ein­her­geht, wäh­rend der Ko­itus sich ver­kriecht wie ein Ver­bre­cher. Er be­haup­tet, daß je­des Weib, wenn beim Ge­ne­ra­ti­ons­akt über­rascht, vor Scham ver­gehn möch­te, aber "ihre Schwan­ger­schaft, ohne eine Spur von Scham, ja mit ei­ner Art Stolz, zur Schau trägt." Vor al­lem läßt sich die­ser Zu­stand nicht so leicht mehr zur Schau tra­gen, als er sich sel­ber zur Schau trägt; in­dem Scho­pen­hau­er aber ge­ra­de nur die Ab­sicht­lich­keit des Zur-Schau-Tra­gens her­vor­hebt, be­rei­tet er sich den Text vor, da­mit die­ser zu der be­reit­ge­hal­te­nen "Er­klä­rung" pas­se. So­dann ist das, was er über die All­ge­mein­heit des zu er­klä­ren­den Phä­no­mens sagt, nicht wahr: er spricht von "je­dem Wei­be"; vie­le, na­ment­lich die jün­ge­ren Frau­en, zei­gen aber in die­sem Zu­stan­de, selbst vor den nächs­ten An­ver­wand­ten, oft eine pein­li­che Ver­schämt­heit; und wenn Wei­ber rei­fe­ren und reifs­ten Al­ters, zu­mal sol­che aus dem nie­de­ren Vol­ke, in der Tat sich auf je­nen Zu­stand et­was zu­gu­te tun soll­ten, so ge­ben sie wohl da­mit zu ver­ste­hen, daß sie noch von ih­ren Män­nern be­gehrt wer­den. Daß bei ih­rem An­blick der Nach­bar und die Nach­ba­rin oder ein vor­über­ge­hen­der Frem­der sagt oder denkt: "soll­te es mög­lich sein –", die­ses Al­mo­sen wird von der weib­li­chen Ei­tel­keit bei geis­ti­gem Tief­stan­de im­mer noch gern an­ge­nom­men. Um­ge­kehrt wür­den, wie aus Scho­pen­hau­ers Sät­zen zu fol­gern wäre, ge­ra­de die klügs­ten und geis­tigs­ten Wei­ber am meis­ten über ih­ren Zu­stand öf­fent­lich frohlo­cken: sie ha­ben ja die meis­te Aus­sicht, ein Wun­der­kind des In­tel­lekts zu ge­bä­ren, in wel­chem "der Wil­le" sich zum all­ge­mei­nen Bes­ten wie­der ein­mal "ver­nei­nen" kann; die dum­men Wei­ber hät­ten da­ge­gen al­len Grund, ihre Schwan­ger­schaft noch scham­haf­ter zu ver­ber­gen als al­les, was sie ver­ber­gen. – Man kann nicht sa­gen, daß die­se Din­ge aus der Wirk­lich­keit ge­nom­men sind. Ge­setzt aber, Scho­pen­hau­er hät­te ganz im all­ge­mei­nen dar­in recht, daß die Wei­ber im Zu­stan­de der Schwan­ger­schaft eine Selbst­ge­fäl­lig­keit mehr zei­gen, als sie sonst zei­gen, so läge doch eine Er­klä­rung nä­her zur Hand als die sei­ni­ge. Man könn­te sich ein Gak­kern der Hen­ne auch vor dem Le­gen des Eies den­ken, des In­hal­tes: Seht! Seht! Ich wer­de ein Ei le­gen! Ich wer­de ein Ei le­gen!

      Der mo­der­ne Dio­ge­nes. – Be­vor man den Men­schen sucht, muß man die La­ter­ne ge­fun­den ha­ben. – Wird es die La­ter­ne des Zy­ni­ker­s sein müs­sen?

      Im­mo­ra­lis­ten. – Die Mora­lis­ten müs­sen es sich jetzt ge­fal­len las­sen, Im­mo­ra­lis­ten ge­schol­ten zu wer­den, weil sie die Moral se­zie­ren. Wer aber se­zie­ren will, muß tö­ten: je­doch nur, da­mit bes­ser ge­wußt, bes­ser ge­ur­teilt, bes­ser ge­lebt wer­de; nicht, da­mit alle Welt se­zie­re. Lei­der aber mei­nen die Men­schen im­mer noch, daß je­der Mora­list auch durch sein ge­sam­tes Han­deln ein Mus­ter­bild sein müs­se, wel­ches die an­de­ren nach­zuah­men hät­ten: sie ver­wech­seln ihn mit dem Pre­di­ger der Moral. Die äl­te­ren Mora­lis­ten se­zier­ten nicht ge­nug und pre­dig­ten all­zu­häu­fig: da­her rührt jene Ver­wechs­lung und jene un­an­ge­neh­me Fol­ge für die jet­zi­gen Mora­lis­ten.

      Nicht zu ver­wech­seln. – Die Mora­lis­ten, wel­che die groß­ar­ti­ge, mäch­ti­ge, auf­op­fern­de Denk­wei­se, etwa bei den Hel­den Plut­archs, oder den rei­nen, er­leuch­te­ten, wär­me­lei­ten­den See­len­zu­stand der ei­gent­lich gu­ten Män­ner und Frau­en als schwe­re Pro­ble­me der Er­kennt­nis be­han­deln und der Her­kunft der­sel­ben nach­spü­ren, in­dem sie das Kom­pli­zier­te in der an­schei­nen­den Ein­fach­heit auf­zei­gen und das Auge auf die Ver­flech­tung der Mo­ti­ve, auf die ein­ge­wo­be­nen zar­ten Be­griffs-Täu­schun­gen und die von al­ters her ver­erb­ten, lang­sam ge­stei­ger­ten Ein­zel- und Grup­pen-Emp­fin­dun­gen rich­ten, – die­se Mora­lis­ten sind am meis­ten ge­ra­de von de­nen ver­schie­den, mit de­nen sie doch am meis­ten ver­wech­sel­t wer­den: von den klein­li­chen Geis­tern, die an jene Denk­wei­sen und See­len­zu­stän­de über­haupt nicht glau­ben und ihre eig­ne Arm­se­lig­keit hin­ter dem Glan­ze von Grö­ße und Rein­heit ver­steckt wäh­nen. Die Mora­lis­ten


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