Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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– Der Tür­ken­fa­ta­lis­mus hat den Grund­feh­ler, daß er den Men­schen und das Fa­tum als zwei ge­schie­de­ne Din­ge ein­an­der ge­gen­über­stellt: der Mensch, sagt er, kön­ne dem Fa­tum wi­der­stre­ben, es zu ver­ei­teln su­chen, aber schließ­lich be­hal­te es im­mer den Sieg, wes­halb das ver­nünf­tigs­te sei, zu re­si­gnie­ren oder nach Be­lie­ben zu le­ben. In Wahr­heit ist je­der Mensch sel­ber ein Stück Fa­tum; wenn er in der an­ge­ge­be­nen Wei­se dem Fa­tum zu wi­der­stre­ben meint, so voll­zieht sich eben dar­in auch das Fa­tum; der Kampf ist eine Ein­bil­dung, aber eben­so jene Re­si­gna­ti­on in das Fa­tum; alle die­se Ein­bil­dun­gen sind im Fa­tum ein­ge­schlos­sen. – Die Angst, wel­che die meis­ten vor der Leh­re der Un­frei­heit des Wil­lens ha­ben, ist die Angst vor dem Tür­ken­fa­ta­lis­mus: sie mei­nen, der Mensch wer­de schwäch­lich re­si­gniert und mit ge­fal­te­ten Hän­den vor der Zu­kunft ste­hen, weil er an ihr nichts zu än­dern ver­mö­ge: oder aber, er wer­de sei­ner vol­len Lau­nen­haf­tig­keit die Zü­gel schie­ßen las­sen, weil auch durch die­se das ein­mal Be­stimm­te nicht schlim­mer wer­den kön­ne. Die Tor­hei­ten des Men­schen sind eben­so ein Stück Fa­tum wie sei­ne Klug­hei­ten: auch jene Angst vor dem Glau­ben an das Fa­tum ist Fa­tum. Du sel­ber, ar­mer Ängst­li­cher, bist die un­be­zwing­li­che Moi­ra, wel­che noch über den Göt­tern thront, für al­les, was da kommt; du bist Se­gen oder Fluch und je­den­falls die Fes­sel, in wel­cher der Stärks­te ge­bun­den liegt; in dir ist alle Zu­kunft der Men­schen-Welt vor­her­be­stimmt, es hilft dir nichts, wenn dir vor dir sel­ber graut.

      Ad­vo­kat des Teu­fels. – "Nur durch ei­ge­nen Scha­den wird man klug, nur durch frem­den Scha­den wird man gut" so lau­tet jene selt­sa­me Phi­lo­so­phie, wel­che alle Mora­li­tät aus dem Mit­lei­den und alle In­tel­lek­tua­li­tät aus der Iso­la­ti­on des Men­schen ab­lei­tet: da­mit ist sie un­be­wußt die Sach­wal­te­rin al­ler ir­di­schen Schad­haf­tig­keit. Denn das Mit­lei­den hat das Lei­den nö­tig und die Iso­la­ti­on die Ver­ach­tung der an­de­ren.

      Die mo­ra­li­schen Cha­rak­ter­mas­ken. – In den Zei­ten, da die Cha­rak­ter­mas­ken der Stän­de für end­gül­tig fest, gleich den Stän­den sel­ber gel­ten, wer­den die Mora­lis­ten ver­führt sein, auch die mo­ra­li­schen Cha­rak­ter­mas­ken für ab­so­lut zu hal­ten und sie so zu zeich­nen. So ist Mo­liè­re als Zeit­ge­nos­se der Ge­sell­schaft Lud­wigs XIV. ver­ständ­lich; in un­se­rer Ge­sell­schaft der Über­gän­ge und Mit­tel­stu­fen wür­de er als ein ge­nia­ler Pe­dant er­schei­nen.

      Die vor­nehms­te Tu­gend. – In der ers­ten Ära des hö­he­ren Men­schen­tums gilt die Tap­fer­keit als die vor­nehms­te der Tu­gen­den, in der zwei­ten die Ge­rech­tig­keit, in der drit­ten die Mä­ßi­gung, in der vier­ten die Weis­heit. In wel­cher Ära le­ben wir? In wel­cher lebst du?

      Was vor­her nö­tig ist. – Ein Mensch, der über sei­nen Jäh­zorn, sei­ne Gall- und Rach­sucht, sei­ne Wol­lust nicht Meis­ter wer­den will und es ver­sucht, ir­gend­wo­rin sonst Meis­ter zu wer­den, ist so dumm wie der Acker­mann, der ne­ben ei­nem Wild­bach sei­ne Äcker an­legt, ohne sich ge­gen ihn zu schüt­zen.

      Was ist Wahr­heit? – Schwar­zer­t (Me­lan­chthon): "Man pre­digt oft sei­nen Glau­ben, wenn man ihn ge­ra­de ver­lo­ren hat und auf al­len Gas­sen sucht, – und man pre­digt ihn dann nicht am schlech­tes­ten!" – Luther: Du re­dest heut’ wahr wie ein En­gel, Bru­der! Schwar­zert: "Aber es ist der Ge­dan­ke dei­ner Fein­de, und sie ma­chen auf dich die Nutz­an­wen­dung." – Luther: So wär’s eine Lüge aus des Teu­fels Hin­term.

      Ge­wohn­heit der Ge­gen­sät­ze. – Die all­ge­mei­ne un­ge­naue Beo­b­ach­tung sieht in der Na­tur über­all Ge­gen­sät­ze (wie z. B. "warm und kalt"), wo kei­ne Ge­gen­sät­ze, son­dern nur Gr­ad­ver­schie­den­hei­ten sind. Die­se schlech­te Ge­wohn­heit hat uns ver­lei­tet, nun auch noch die in­ne­re Na­tur, die geis­tig-sitt­li­che Welt, nach sol­chen Ge­gen­sät­zen ver­ste­hen und zer­le­gen zu wol­len. Un­säg­lich viel Schmerz­haf­tig­keit, An­ma­ßung, Här­te, Ent­frem­dung, Er­käl­tung ist so in die mensch­li­che Emp­fin­dung hin­ein­ge­kom­men da­durch, daß man Ge­gen­sät­ze an Stel­le der Über­gän­ge zu se­hen mein­te.

      Ob man ver­ge­ben kön­ne?--Wie kann man ih­nen über­haupt ver­ge­ben, wenn sie nicht wis­sen, was sie tun! Man hat gar nichts zu ver­ge­ben. –-Aber weiß ein Mensch je­mals völ­lig, was er tut? Und wenn dies im­mer min­des­tens frag­lich bleibt, so ha­ben also die Men­schen ein­an­der nie et­was zu ver­ge­ben, und Gna­de­ü­ben ist für den Ver­nünf­tigs­ten ein un­mög­li­ches Ding. Zu al­ler­letzt: wenn die Übel­tä­ter wirk­lich ge­wußt hät­ten, was sie ta­ten – so wür­den wir doch nur dann ein Recht zur Ver­ge­bung ha­ben, wenn wir ein Recht zur Be­schul­di­gung und zur Stra­fe hät­ten. Dies aber ha­ben wir nicht.

      Ha­bi­tu­el­le Scham. – Wa­rum emp­fin­den wir Scham, wenn uns et­was Gu­tes und Aus­zeich­nen­des er­wie­sen wird, das wir, wie man sagt, "nicht ver­dient ha­ben"? Es scheint uns da­bei, daß wir uns in ein Ge­biet ein­ge­drängt ha­ben, wo wir nicht hin­ge­hö­ren, wo wir aus­ge­schlos­sen sein soll­ten, gleich­sam in ein Hei­li­ges oder Al­ler­hei­ligs­tes, wel­ches für un­sern Fuß un­be­tret­bar ist. Durch den Irr­tum an­de­rer sind wir doch hin­ein­ge­langt: und nun über­wäl­tigt uns teils Furcht, teils Ehr­furcht, teils Über­ra­schung, wir wis­sen nicht, ob wir flie­hen, ob wir des ge­seg­ne­ten Au­gen­blickes und sei­ner Gna­den-Vor­tei­le ge­nie­ßen sol­len. Bei al­ler Scham ist ein Mys­te­ri­um, wel­ches durch uns ent­weiht oder in der Ge­fahr der Ent­wei­hung zu sein scheint; alle Gna­de er­zeugt Scham. – Er­wägt man aber, daß wir über­haupt nie­mals et­was "ver­dient ha­ben", so wird, im Fall man die­ser An­sicht in­ner­halb ei­ner christ­li­chen Ge­samt-Be­trach­tung der Din­ge sich hin­gibt, das Ge­fühl der Scham ha­bi­tu­ell: weil ei­nem Sol­chen Gott fort­wäh­ren­d zu seg­nen und Gna­de zu üben scheint. Ab­ge­se­hen von die­ser christ­li­chen Aus­le­gung wäre aber auch für den völ­lig gott­lo­sen Wei­sen, der an der gründ­li­chen Un­ver­ant­wort­lich­keit und Un­ver­dienst­lich­keit al­les Wir­kens und We­sens fest­hält, je­ner Zu­stand der ha­bi­tu­el­len Scham mög­lich: wenn man ihn be­han­delt, als ob er dies und je­nes ver­dient habe, so scheint er sich in eine hö­he­re Ord­nung von We­sen ein­ge­drängt zu ha­ben, wel­che über­haupt et­was ver­die­nen, wel­che frei sind und ih­res ei­ge­nen Wol­lens und Kön­nens Verant­wor­tung wirk­lich zu tra­gen ver­mö­gen. Wer zu ihm sagt "du hast es ver­dient", scheint ihm zu­zu­ru­fen "du bist kein Mensch, son­dern ein Gott".

      Der un­ge­schick­tes­te Er­zie­her.


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