Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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die­ses Ge­samt-Cha­rak­ters der männ­li­chen Mode gibt es dann jene klei­nen Schwan­kun­gen, wel­che die Ei­tel­keit der jun­gen Män­ner, der Stut­zer und Nichts­tu­er der großen Städ­te her­vor­bringt, also de­rer, wel­che als eu­ro­päi­sche Men­schen noch nicht reif ge­wor­den sin­d. – Die eu­ro­päi­schen Frau­en sind dies noch viel we­ni­ger, wes­halb die Schwan­kun­gen bei ih­nen viel grö­ßer sind: sie wol­len auch das Na­tio­na­le nicht und has­sen es, als Deut­sche, Fran­zo­sen, Rus­sen an der Klei­dung er­kannt zu wer­den, aber als ein­zel­ne wol­len sie sehr gern auf­fal­len; eben­so soll nie­mand schon durch ihre Be­klei­dung im Zwei­fel ge­las­sen wer­den, daß sie zu ei­ner an­ge­se­he­ne­ren Klas­se der Ge­sell­schaft (zur "gu­ten" oder "ho­hen" oder "großen" Welt) ge­hö­ren, und zwar wün­schen sie nach die­ser Sei­te hin ge­ra­de um so mehr vor­ein­zu­neh­men, als sie nicht oder kaum zu je­ner Klas­se ge­hö­ren. Vor al­lem aber will die jun­ge Frau nichts tra­gen, was die et­was äl­te­re trägt, weil sie durch den Ver­dacht ei­nes hö­he­ren Le­bensal­ters im Prei­se zu fal­len glaubt: die äl­te­re wie­der­um möch­te durch ju­gend­li­che­re Tracht so lan­ge täu­schen, als es ir­gend an­geht, – aus wel­chem Wett­be­werb sich zeit­wei­lig im­mer Mo­den er­ge­ben müs­sen, bei de­nen das ei­gent­lich Ju­gend­li­che ganz un­zwei­deu­tig und un­nach­ahm­lich sicht­bar wird. Hat der Er­fin­dungs­geist der jun­gen Künst­le­rin­nen in sol­chen Bloß­stel­lun­gen der Ju­gend eine Zeit­lang ge­schwelgt, oder um die gan­ze Wahr­heit zu sa­gen – hat man wie­der ein­mal den Er­fin­dungs­geist äl­te­rer hö­fi­scher Kul­tu­ren, so­wie den der noch be­ste­hen­den Na­tio­nen, und über­haupt den gan­zen ko­stü­mier­ten Erd­kreis zu Rate ge­zo­gen und etwa die Spa­nier, die Tür­ken und Alt­grie­chen zur Ins­ze­nie­rung des schö­nen Flei­sches zu­sam­men­ge­kop­pelt: so ent­deckt man end­lich im­mer wie­der, daß man sich doch nicht zum Bes­ten auf sei­nen Vor­teil ver­stan­den habe; daß, um auf die Män­ner Wir­kung zu ma­chen, das Ver­steck­spie­len mit dem schö­nen Lei­be glück­li­cher sei, als die nack­te und halb­nack­te Ehr­lich­keit; und nun dreht sich das Rad des Ge­schmackes und der Ei­tel­keit ein­mal wie­der in ent­ge­gen­ge­setz­ter Rich­tung: die et­was äl­te­ren jun­gen Frau­en fin­den, daß ihr Reich ge­kom­men sei, und der Wett­kampf der lieb­lichs­ten und ab­sur­des­ten Ge­schöp­fe tobt wie­der von neu­em. Je mehr aber die Frau­en in­ner­lich zu­neh­men und nicht mehr un­ter sich, wie bis­her, den un­rei­fen Al­ter­sklas­sen den Vor­rang zu­ge­ste­hen, um so ge­rin­ger wer­den die­se Schwan­kun­gen ih­rer Tracht, um so ein­fa­cher ihr Putz: über wel­chen man bil­li­ger­wei­se nicht nach an­ti­ken Mus­tern das Ur­teil spre­chen darf, also nicht nach dem Maß­sta­be der Ge­wan­dung süd­län­di­scher See-An­woh­ne­rin­nen, son­dern in Berück­sich­ti­gung der kli­ma­ti­schen Be­din­gun­gen der mitt­le­ren und nörd­li­chen Ge­gen­den Eu­ro­pas, de­rer näm­lich, in wel­chen jetzt der geist- und for­mer­fin­den­de Ge­ni­us Eu­ro­pas sei­ne liebs­te Hei­mat hat. – Im gan­zen wird also ge­ra­de nicht das Wech­seln­de das cha­rak­te­ris­ti­sche Zei­chen der Mo­de und des Mo­der­nen sein, denn ge­ra­de der Wech­sel ist et­was Rück­stän­di­ges und be­zeich­net die noch un­ge­reif­ten männ­li­chen und weib­li­chen Eu­ro­pä­er: son­dern die Ab­leh­nung der na­tio­na­len, stän­di­schen und in­di­vi­du­el­len Ei­tel­keit. Dement­spre­chend ist es zu lo­ben, weil es kraft- und zeiter­spa­rend ist, wenn ein­zel­ne Städ­te und Ge­gen­den Eu­ro­pas für alle üb­ri­gen in Sa­chen der Klei­dung den­ken und er­fin­den, in An­be­tracht des­sen, daß der For­men­sinn nicht je­der­mann ge­schenkt zu sein pflegt; auch ist es wirk­lich kein all­zu hoch­flie­gen­der Ehr­geiz, wenn zum Bei­spiel Pa­ris, so lan­ge jene Schwan­kun­gen noch be­ste­hen, es in An­spruch nimmt, der al­lei­ni­ge Er­fin­der und Neue­rer in die­sem Rei­che zu sein. Will ein Deut­scher, aus Haß ge­gen die­se An­sprü­che ei­ner fran­zö­si­schen Stadt, sich an­ders klei­den, zum Bei­spiel so wie Al­brecht Dü­rer sich trug, so möge er er­wä­gen, daß er dann ein Ko­stüm hat, wel­ches ehe­ma­li­ge Deut­sche tru­gen, wel­ches aber die Deut­schen eben­so­we­nig er­fun­den ha­ben, – es hat nie eine Tracht ge­ge­ben, wel­che den Deut­schen als Deut­schen be­zeich­ne­te; üb­ri­gens mag er zu­se­hen, wie er aus die­ser Tracht her­aus­schaut und ob etwa der ganz mo­der­ne Kopf nicht mit all sei­ner Li­ni­en- und Fält­chen­schrift, wel­che das neun­zehn­te Jahr­hun­dert hin­ein­grub, ge­gen eine Dü­re­ri­sche Be­klei­dung Ein­spra­che tut. – Hier, wo die Be­grif­fe "mo­dern" und "eu­ro­pä­isch" fast gleich ge­setzt sind, wird un­ter Eu­ro­pa viel mehr an Län­der­stre­cken ver­stan­den, als das geo­gra­phi­sche Eu­ro­pa, die klei­ne Halb­in­sel Asi­ens, um­faßt: na­ment­lich ge­hört Ame­ri­ka hin­zu, so­weit es eben das Toch­ter­land un­se­rer Kul­tur ist. An­de­rer­seits fällt nicht ein­mal ganz Eu­ro­pa un­ter den Kul­tur-Be­griff, "Eu­ro­pa"; son­dern nur alle jene Völ­ker und Völ­ker­tei­le, wel­che im Grie­chen-, Rö­mer-, Ju­den- und Chris­ten­tum ihre ge­mein­sa­me Ver­gan­gen­heit ha­ben.

      Die "deut­sche Tu­gend". – Es ist nicht zu leug­nen, daß vom Aus­gan­ge des vo­ri­gen Jahr­hun­derts an ein Strom mo­ra­li­scher Er­we­ckung durch Eu­ro­pa floß. Da­mals erst wur­de die Tu­gend wie­der be­redt; sie lern­te es, die un­ge­zwun­ge­nen Ge­bär­den der Er­he­bung, der Rüh­rung fin­den, sie schäm­te sich ih­rer sel­ber nicht mehr und er­sann Phi­lo­so­phien und Ge­dich­te zur ei­ge­nen Ver­herr­li­chung. Sucht man nach den Quel­len die­ses Stro­mes: so fin­det man ein­mal Rous­seau, aber den my­thi­schen Rous­seau, den man sich nach dem Ein­dru­cke sei­ner Schrif­ten – fast könn­te man wie­der sa­gen: sei­ner my­thisch aus­ge­leg­ten Schrif­ten – und nach den Fin­ger­zei­gen, die er sel­ber gab, er­dich­tet hat­te ( – er und sein Pub­li­kum ar­bei­te­ten be­stän­dig an die­ser Ide­al­fi­gur). Der an­de­re Ur­sprung liegt in je­ner Wie­der­au­fer­ste­hung des sto­isch-großen Rö­mer­tums, durch wel­che die Fran­zo­sen die Auf­ga­be der Re­naissance auf das wür­digs­te wei­ter­ge­führt ha­ben. Sie gin­gen von der Nach­schöp­fung an­ti­ker For­men mit herr­lichs­tem Ge­lin­gen zur Nach­schöp­fung an­ti­ker Cha­rak­tere über: so daß sie ein An­recht auf die al­ler­höchs­ten Ehren im­mer­dar be­hal­ten wer­den, als das Volk, wel­ches der neue­ren Mensch­heit bis­her die bes­ten Bü­cher und die bes­ten Men­schen ge­ge­ben hat. Wie die­se dop­pel­te Vor­bild­lich­keit, die des my­thi­schen Rous­seau und die je­nes wie­der­er­weck­ten Rö­mer­geis­tes, auf die schwä­che­ren Nach­barn wirk­te, sieht man na­ment­lich an Deutsch­land: wel­ches in­fol­ge sei­nes neu­en und ganz un­ge­wohn­ten Auf­schwun­ges zu Ernst und Grö­ße des Wol­lens und Sich – Be­herr­schens zu­letzt vor sei­ner ei­ge­nen neu­en Tu­gend in Stau­nen ge­riet und den Be­griff "deut­sche Tu­gend" in die Welt warf, wie als ob es nichts Ur­sprüng­li­che­res, Er­b­eig­ne­res ge­ben könn­te als die­se. Die ers­ten großen Män­ner, wel­che jene fran­zö­si­sche An­re­gung zur Grö­ße und Be­wußt­heit des sitt­li­chen Wol­lens auf sich über­lei­te­ten, wa­ren ehr­li­cher und ver­ga­ßen die Dank­bar­keit nicht. Der Mora­lis­mus Kants – wo­her kommt er? Er gibt es wie­der und wie­der zu ver­ste­hen: von Rous­seau und dem wie­der­er­weck­ten stoi­schen Rom. Der Mora­lis­mus Schil­lers: glei­che Quel­le, glei­che Ver­herr­li­chung der Quel­le. Der Mora­lis­mus Beetho­vens in Tö­nen: er ist das ewi­ge Lob­lied Rous­se­aus, der an­ti­ken Fran­zo­sen und Schil­lers. Erst "der deut­sche Jüng­ling" ver­gaß die Dank­bar­keit,


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