Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding
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In das dichte Menschentreiben, welches auf dem Quai Voltaire zu Paris die Ufer der Seine entlang wogte und wie die Bilder des Kaleidoskops sich in ewig wechselnden bunten Bildern erneute, bog an einem hellen Morgen um die zehnte Stunde ein Mann ein, welcher eiligen Schrittes aus der Rue Bonaparte kam und sich über die Brücke nach den Tuilerien zu wendete.
So einfach die äußere Erscheinung dieses schmächtigen und kaum mittelgroßen Mannes war, so zog er doch die Blicke manches Vorübergehenden auf sich — allerdings nur einen Augenblick, denn länger als einen Augenblick richtet der Pariser selten seine Aufmerksamkeit auf etwas — durch die eigentümliche nervöse Geschäftigkeit und Eile seines Schrittes und durch die sichtliche nachdenkliche Voreingenommenheit, in der er, ohne rechts und links zu blicken, durch die Menge eilte mit jener Sicherheit des Ausweichens, ohne den Schritt zu mäßigen, welcher den langjährigen Bewohner der großen Weltstadt erkennen läßt.
Der Mann, welcher so dem mächtigen Bau des Königs- und Kaiserschlosses von Frankreich zueilte, war mehr als einfach gekleidet, man hätte ihn seinem Anzuge und seiner gebückten Haltung nach für den Lehrer einer Elementarschule oder den Schreiber eines Advokaten halten können, wenn nicht der schlaue, geistig bewegte Ausdruck seines scharf geschnittenen Gesichts mit dem rothweißen Teint der Nordländer, der scharfe, durchdringende Blick, der aus dem hellgrauen Auge hervorschoß, der ganzen Erscheinung einen Stempel aufgedrückt hätte, der den ersten flüchtigen Eindruck in Zweifel stellte und mehr hinter dieser unscheinbaren Gestalt vermuthen ließ, als das anspruchslose Exterieur anzeigte.
Der Mann war auf das andere Ufer der Seine gelangt und trat in das zum innern Hofe der Tuilerien führende Portal.
Er zeigte dem Posten, welcher ihm entgegentrat, ein Papier, bei dessen Anblick der Voltigeur de la Garde, welcher die Wache hatte, zurücktrat und den Eintretenden mit einem kurzen: »Es ist gut, mein Herr,« in jenen innern Hofraum der kaiserlichen Residenz einließ, den kein unberechtigter Fuß betreten durfte und in welchen nur die Equipagen des Hofes und der Großwürdenträger des Reiches einzufahren das Recht hatten.
Ohne seinen Schritt zu mäßigen, eilte der kleine Mann über den Hof vorüber an dem großen kaiserlichen Eingang, vor welchem unter dem breiten, von vergoldeten Lanzen getragenen Zeltdach eine Gruppe von Hausoffizianten und Lakaien vom Dienst sich flüsternd unterhielten, einem kleineren Portal zu, in welches er mit der Sicherheit eines mit den Lokalitäten Bekannten eintrat. Er stieg eine Treppe hinauf und trat in ein Vorzimmer, in welchem ein Huissier des Palastes, in einem großen Lehnstuhl sitzend, ruhig und würdevoll den gleichmäßigen Dienst der Antichambre verrichtete.
Der Eintretende fragte kurz: »Monsieur Pietri?«
»Monsieur Pietri ist in seinem Kabinet,« erwiederte der Huissier, sich halb in seinem Lehnstuhl erhebend.
»Fragen Sie, ob er Herrn Hansen empfangen wolle, er hat mir Rendezvous für diese Stunde gegeben.«
Der Huissier erhob sich ohne weitere Frage und trat in das Kabinet des kaiserlichen Privatsekretärs, dessen Thür er nach einigen Augenblicken mit den halblaut gesprochenen Worten öffnete: »Treten Sie ein, mein Herr!«
Der ehemalige dänische Rechtskandidat Hansen, jener unermüdliche Agitator für die Sache Dänemarks, trat in das Kabinet des vertrauten Sekretärs Napoleons III.
Dieß Kabinet war ein großer heller Raum voll von Tischen und Repositorien mit Papieren, Aktenfascikeln und Landkarten. Im Hintergrunde befand sich eine Wendeltreppe, welche in einen oberen Raum führte und deren Mündung durch eine Portière von dunklem Seidendamast verhängt war.
Vor einem großen Schreibtisch saß Herr Pietri, ein noch junger Mann von schlanker Gestalt, mit länglichem Gesicht von jenem hellen, ruhigen, geistig klaren Ausdruck, welchen die an logisch geordnete gleichmäßige Thätigkeit gewöhnte Intelligenz verleiht.
Er verneigte sich leicht gegen den Eintretenden, schob ein Paket Briefschaften zurück, mit dessen Durchsicht er sich eben beschäftigt hatte, und deutete verbindlich auf einen Lehnsessel, der in kurzer Entfernung neben dem Schreibtische stand.
»Nun,« — begann Herr Pietri die Unterhaltung indem er sein klares Auge mit einer gewissen Spannung auf den ihm Gegenübersitzenden richtete, — »Sie kommen aus Deutschland — was haben Sie gesehen und gehört? Sind die Dinge reif? Wie ist die Stimmung der Bevölkerung? Erzählen Sie mir viel, — wir müssen genau wissen, was dort vorgeht, um unsere Position zu nehmen.«
»Lassen Sie mich mit dem Mittelpunkt der Situation beginnen,« erwiederte Herr Hansen, — »ich war zunächst in Berlin und habe dort nichts versäumt, um mich über die Gesinnungen der Staatsmänner und die Stimmung der Bevölkerung zu vergewissern, und ich glaube, daß das Resultat meiner Beobachtungen ein richtiges ist.«
In diesem Augenblick ließ sich ein Geräusch am oberen Ende der Treppe im Hintergrunde des Kabinets hören, die weite, faltige Portière öffnete sich langsam, aus derselben hervor trat ein Mann und setzte den Fuß auf die oberste Stufe der Treppe.
Es war Napoleon III., der auf diesem Wege aus seinem Kabinet zu seinem Geheimsekretär herabstieg.
Bei dem Geräusch am Eingang der Treppe und dem Auseinanderschlagen der Portière erhob sich Pietri und blieb vor seinem Tische stehen.
Herr Hansen that das Gleiche.
Der Kaiser stieg langsam die Treppe herunter.
Es war nicht mehr jener schlanke Mann, den man auf den lebensgroßen Bildern über den verhüllten Thronsesseln der kaiserlichen Botschafter erblickte, der, die Hand gebieterisch auf die Krone und den Szepter Frankreichs gelegt, so stolz dasteht im wallenden Kaisermantel, die schlanke und elegante Gestalt hoch aufgerichtet.
Es war ein alter Mann, der da die Treppe herabstieg, das Embonpoint hatte die Eleganz der Gestalt zerstört, Kränklichkeit und Schmerzen die Haltung unsicher und schwankend gemacht, das ergraute Haar umfloß nicht mehr wie früher in vollen Locken die Stirn, sondern fiel matt an den Schläfen herab, und das sonst schon verschleierte und nur zuweilen in wetterleuchtendem Scheine aufblitzende Auge blickte jetzt in glanzloser, trüber Müdigkeit vor sich hin.
Der Kaiser, in einfachem schwarzen Morgenüberrock, eine Cigarrette rauchend, deren starker und feiner Duft in leichten blauen Wolken vor ihm her zog, war vorsichtig die Treppe herabgestiegen und in das Kabinet getreten.
Er kam langsam mit jenem ihm in den spätem Jahren eigentümlichen schwerfälligen und in den Hüften wiegenden Gange aus dem Hintergrunde herauf.
Vor seinem Geheimsekretär stehen bleibend, warf er einen aus dem schleierhaften Schatten seines Auges hervorleuchtenden Blick auf den sich tief verbeugenden Herrn Hansen. Er schien die ganze Erscheinung desselben in einer augenblicklichen scharfen Forschung zu erfassen und wandte dann das Haupt mit dem leichten Ausdruck einer Frage gegen Pietri.
»Sire,« sagte dieser, »Herr Hansen, ein Däne, der seinem Vaterlande ohne allen Rückhalt ergeben ist und auch uns viele Dienste geleistet hat, weil er als Däne Frankreich liebt, hat eine Reise durch Deutschland gemacht, manche Personen gesehen und war im Begriff, mir die Resultate seiner Beobachtungen mitzutheilen.«
Der Kaiser neigte das Haupt leicht gegen Herrn Hansen; jener Zug liebenswürdiger und wohlwollender Freundlichkeit, durch welche er stets eine wahrhaft bezaubernde Wirkung in der Unterhaltung hervorzubringen verstand, zog wie ein lichter Sonnenschimmer über die müde und träge Gleichgültigkeit seines Gesichts.
»Ich weiß,« sagte er mit seiner leisen, aber klaren und eindringenden Stimme, die so meisterhaft die feinsten Nüancirungen des Ausdrucks zur Geltung zu bringen verstand, »ich weiß, daß alle Dänen ihr Vaterland lieben und deßhalb auch ein warmes Herz für Frankreich, die Freundin ihres Vaterlandes, haben. Ihr Name, mein Herr, ist mir bekannt als der eines Mannes, der durch seinen glühenden und thätigen Patriotismus sich auszeichnet, — selbst in einer so patriotisch fühlenden Nation, wie die Ihrige.«
Herr Hansen verneigte sich tief, während