Theodor Storm: Novellen, Märchen, Gedichte & Briefe (Über 400 Titel in einem Band). Theodor Storm

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Theodor Storm: Novellen, Märchen, Gedichte & Briefe (Über 400 Titel in einem Band) - Theodor Storm


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öffnete sich im Hintergrund der Diele eine Tür, und ein schon ältliches bürgerlich gekleidetes Mädchen leuchtete mit einer Schirmlampe den Kommenden entgegen. »Bist du es, Onkel?« fragte sie.

      »Freilich; nimm nur der Frau die Fische ab.«

      Dann, nachdem die Alte gute Nacht gewünscht, gingen beide in das geräumige Hinterzimmer. Das Mädchen trug ihr Spinnrad in die Ecke und setzte die Lampe auf des Onkels Schreibtisch, während dieser seine Taschen von dem mitgenommenen Angelgeräte leerte. »Ist jemand dagewesen?« fragte er.

      »Ja, Onkel, die arme Frau, der du das Kleid von selig Tante schenktest.«

      »Sonst wer?«

      »Die alte Kammerherrin hat geschickt, sie hat wieder ihren Zufall.«

      Der Doktor setzte sich auf den harten lederbezogenen Stuhl, der vor dem Schreibtisch stand. »So?« sagte er. »Schicken die feinen Leute auch noch! Nun«, fügte er brummend hinzu, »der andere wird nicht um den Weg gewesen sein. – Wann war der Diener hier?«

      »Du warst nur eben fort.«

      »So – nun da brauchen Ihro Gnaden mich schon nicht mehr.«

      »Der Justizrat«, sagte das Mädchen, »ist auch dagewesen; du hättest doch nicht vergessen, daß es heute der Geburtstag seiner Frau sei.«

      Der Doktor schwieg eine Weile. – »Es ist gut«, sagte er, »bring nur die Fische in die Küche!«

      Das Mädchen ging; der Doktor blieb auf seinem Stuhle sitzen und streichelte mit der Hand den kleinen Hund, der ihm auf den Schoß gesprungen war. Seine Augen hafteten an der Messingklinke der nach dem Flur hinausgehenden Tür, als denke er, sie werde sich im nächsten Augenblick bewegen, und jemand, den er erwarte, in das dürftig ausgestattete Gemach hereintreten. Aber es kam niemand; er blieb allein. Endlich, nachdem er das Tier behutsam auf den Fußboden gesetzt hatte, stand er auf und nahm aus dem Repositorium des Schreibtisches einen der Quartbände, welche seine ärztliche Buchführung enthielten. Das Blatt, welches er aufschlug, trug eine Jahreszahl, die der ersten Zeit seiner Praxis angehörte. – »Handlungsdiener Friedeberg« stand darüber; darunter waren viele Visiten eingetragen, sie folgten sich fast Tag um Tag; zum Schluß aber war die Rechnung mit einer verhältnismäßig sehr geringen Summe abgeschlossen.

      Der alte Friedberg war längst begraben; aber der Doktor sah ihn noch vor sich, den kleinen Mann im leberfarbenen Rock, wie er an sonnigen Sonntagnachmittagen drüben am Markt vor der Tür des großen Giebelhauses stand und ihm, wenn er vorüberging, sein »Servus, Herr Doktor!« zurief. – Der alte Friedeberg war es jedoch nicht, um dessenwillen die kleine runde Hand des Doktors nach diesem Folium zurückgeblättert hatte. Er war nur der Diener gewesen; das große Giebelhaus hatte derzeit dem zweiten Bürgermeister, seinem Prinzipal, gehört; der alte Friedeberg führte nur das kleine Ladengeschäft, das der reiche Kaufherr zugleich mit jenem treuen Mann nach seinen Eltern überkommen hatte. Auch der stattliche Bürgermeister wohnte seit lange nicht mehr in seinem sonnigen Hause; er lag nicht weit davon auf dem Klosterkirchhof in der Familiengruft, die er selbst hatte bauen lassen. – Es war aber auch nicht sein Gedächtnis, das die Hand des Doktors geleitet hatte; der Doktor war nicht einmal sein Hausarzt gewesen; denn der Bürgermeister hatte sich wie alle Honoratioren des Physikus bedient. Aber der Physikus war einmal über Land gewesen, und – der Herr Bürgermeister hatte eine Tochter gehabt.

      Das war es. – –

      Der Doktor hatte sich umgewandt. Seine Augen ruhten auf dem leeren Polsterstuhl, der ihm gegenüber zwischen dem Ofen und dem Tassenschränkchen stand. – Spät an einem Februarabend war es gewesen. Dort hatte seine Mutter, die alte Schneiderswitwe, gesessen, mit gefalteten Händen, das Spinnrad neben sich. Sie war schon ein wenig eingenickt gewesen, wie es ihr vor dem Schlafengehen zu geschehen pflegte; aber sie war wieder munter geworden und saß nun nach ihrer Gewohnheit aufrecht und ohne sich anzulehnen. »Und du willst ein Doktor sein«, sagte sie, »und weißt nicht, daß alte Leute nicht mehr jung sind!« – Der Doktor zog seine silberne Taschenuhr auf und hing sie an die Wand. »Es wird Schlafenszeit, Mutter!« sagte er lächelnd; denn er wußte alles, was noch folgen würde. Aber die Alte ließ nicht ab; sie schenkte ihm nichts, er mußte alles hören: ihr Alter und das seinige, dann alle Mühen des kleinen Haushalts und das gesamte Inventar an Leinen und Bettstücken, das droben in den beiden eichenen Schränken lagerte. »Denn«, sagte sie, »wir sind immer auskömmliche Leute gewesen, ich und dein seliger Vater; und das Notwendige wäre schon beisammen, wenn die junge Frau ins Haus käme.« – Der Doktor hatte schon fast ein wenig ungeduldig werden wollen; da plötzlich hatte die Hausglocke geschellt, und da nach einigen Augenblicken war sie hereingetreten. Sie hatte das blonde Haar zurückgeschüttelt und ein weißes Tüchlein vom Kopf genommen und sich dann einen Augenblick schweigend und aufatmend im Zimmer umgesehen. Die kleine behende Alte war fast erschrocken aus ihrem Lehnstuhl aufgesprungen; denn solch einen Gast hatte sie noch niemals in dem Zimmer ihres Doktors erscheinen sehen. Aber es war Notsache gewesen; der alte Friedeberg war plötzlich schwer erkrankt, eine tiefe Ohnmacht, ein Schlaganfall, die junge Dame wußte es selber nicht. Der Lehrling war um den Kranken beschäftigt, die Mägde schon in den Betten gewesen; in ihrer Angst und ohne zu fragen war sie fortgelaufen. Beim Physikus hatte sie vergebens angeklopft; nun sollte der junge Doktor kommen; aber sogleich, es war kein Augenblick zu verlieren. – Der Doktor stand vor ihr in seinem abgetragenen Schlafrock, der die kleine pralle Gestalt nur kaum bedeckte, und fragte und ließ sich berichten. Die alte Frau ging währenddessen im Zimmer umher und brachte hier eine Weste, dort ein Schnupftuch auf die Seite, die er wie gewöhnlich auf den Stühlen umhergestreut hatte; sie wischte mit ihrer Schürze über das Polster des alten Lehnstuhls und lud die junge Dame zum Sitzen ein. Aber die junge Dame wollte sich nicht setzen, und bald, nachdem der Doktor in die Kammer gegangen und in seinem blauen Kleidrock wieder zum Vorschein gekommen war, machten beide sich auf den Weg.

      Die Alte hatte ihnen geleuchtet. »Fallen Sie nicht, Mamsell«, hatte sie gesagt, »der Ring an der Kellerluke steht vor!« Der Doktor entsann sich alles dessen noch genau, er meinte noch zu hören, wie sie hinter ihnen die Kette vor die Haustür legte.

      Draußen standen schon alle Häuser dunkel; nur drüben unweit der Twiete in dem großen Giebelhause waren unten noch die Fenster hell. Eben schlug es von der Kirchenuhr an der andern Seite des Marktes. Unwillkürlich standen sie und sahen an dem alten Turm empor, der mit seiner dunkeln Spitze in den Sternenhimmel hinaufragte. Hoch überhin steuerte ein Zug von Wildgänsen durch die Luft; ihr gellender Schrei und der Klang ihrer Flügel fuhr weithin über die schlafende Stadt.

      Der Doktor ließ sein Bambusrohr auf der Steinplatte klingen. »Kommen Sie, Mamsell Sophie«, sagte er, »es wird Frühling! Wir müssen dem alten Friedeberg helfen.«

      Und nun gingen sie, das Mädchen immer einen Schritt voraus. Er aber in dem Ungewissen Sternenschimmer sah zum erstenmal auf sie und wie fest und jugendlich sie daherging.

       Jene Nacht war längst dahin. Der Doktor war seitdem fast noch einmal so alt geworden; aber die Leute sagten, er habe dazumal nicht anders ausgesehen, nur sein Haar sei etwas grau, und der blaue Frack ein paarmal neu und dann wiederum alt geworden. Auch im Hause in dem großen Hinterzimmer war es ebenso geblieben; derselbe alte Tisch mit den geschweiften Beinen und dem bunten Wachstuchbezug; dasselbe Tassenschränkchen und der weiße Sand auf dem Fußboden. Freilich in dem Polsterstuhl am Ofen saß jetzt nicht mehr wie sonst die alte strickende Frau, sondern ein kleiner schwarzer Hund, den der Doktor nach ihrem Tode sich herangezogen hatte.

      Auch in diesem Augenblick behauptete der kleine Hausgenosse seinen ererbten Platz. Er hatte sich schlafen gelegt und schien noch von den Schmeißfliegen zu träumen, die draußen an der Wehle ihn umschwärmt hatten; denn er kläffte und schnappte ein paarmal um sich her in die leere Luft. Der Doktor ging auf ihn zu und streichelte ihn: »Laß doch, Pankraz; laß doch!« sagte er, »du träumst ja nur.« Der Hund sah mit trüben Augen zu ihm auf, leckte einen Augenblick die liebkosende Hand seines Herrn und schob dann die Schnauze wieder zum Schlaf unter seinen Schenkel.

      Der Doktor trat wieder an seinen Schreibtisch, und nachdem er das vorhin aufgeschlagene Buch zugemacht und an seinen Platz getan hatte, holte er aus dem hintersten Fache einer Schublade das Bruchstück


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