Theodor Storm: Novellen, Märchen, Gedichte & Briefe (Über 400 Titel in einem Band). Theodor Storm

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Theodor Storm: Novellen, Märchen, Gedichte & Briefe (Über 400 Titel in einem Band) - Theodor Storm


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sich gelacht hatte. Ein paarmal, wenn die schönen Mädchenaugen so frisch gegen ihn herausschauten, versuchte er auch einen ernsten Ton anzustimmen; aber er plagte sich umsonst, es schlug ihm immer wieder alles in Spaß und Gelächter aus.

      Das Mädchen, deren Hände auf ihrem sauberen Morgenkleide ruhten, musterte währenddessen die kleine untersetzte Gestalt des ihr gegenübersitzenden Mannes. Es entging ihr nichts; weder die Bänder des bescheidenen Vorhemdchens, die über den Rockkragen hervorsahen, noch der ungepflegte Zustand des Haupthaares, von dem unzählige Spitzen wie Flammen in die Höhe ragten. Zuletzt blieben ihre Augen an zwei kleinen Daunen haften, die, je nachdem der Doktor den Kopf bewegte, entweder wie aufstrebende Räupchen in der Luft gaukelten oder in das allgemeine Wirrsal wieder hinabtauchten. Mamsell Sophie strich sich unwillkürlich mit den Fingern über ihren seidenen Scheitel, und in ihrem Gesichtchen zuckte es wieder wie vorhin, da sie vor dem Branntweinfäßchen kniete.

      Der Doktor bemerkte nicht dergleichen. Als er aber die blauen Augen so unablässig auf sich gerichtet sah, warf er den Kopf zurück und schaute über sich und fuhr sich ein paarmal mit der Hand durch die Haare; und da er hier nichts Ungewohntes zu entdecken vermochte, so verstummte er plötzlich und schaute fest und fragend in das Angesicht des Mädchens. Allein er bekam keine Antwort. Wie ein ertapptes Kind wandte sie den Kopf; und der Doktor sah nur noch, wie es ihr blutrot bis an die krausen Stirnhärchen ins Gesicht stieg. Er wußte nicht mehr, wie er das zu deuten habe; sein Scharfsinn begann seltsame Wege zu wandeln, und eine Reihe lieblicher erschreckender Gedanken tauchten in ihm auf. Er schlug seine kleinen tapferen Augen nicht zu Boden; er wollte abwarten, daß sich das blonde Köpfchen wieder zu ihm wende.

      Der alte Friedeberg sah indes von seinem Kissen, was der Doktor nicht zu sehen vermochte. Aber auch er wußte nicht, weshalb die Augen seines Lieblings und mit solchem Ausdruck von Schelmerei auf die nackte Wand gerichtet waren und weshalb sie sich mit den Zähnen den lachenden Mund festhielt. Und bevor er noch zu fragen vermochte, stand sie schon an der Stubentür, die Klinke in der Hand. »Ich muß nach deiner Suppe sehen, Vater Friedeberg!« und mit einer leichten Verbeugung gegen den Doktor war sie zum Zimmer hinaus.

      Der Doktor stand vor dem Bette seines Patienten, knöpfte seinen blauen Frack zu und ließ sich noch einmal die halbgeleerte Medizinflasche zeigen; dann nahm er Hut und Stock und empfahl sich. Kaum hörte er noch das »servus, servus«, das ihm der kleine Greis mit einer verbindlichen Handbewegung nachrief.

      Vor dem Rathause begegnete ihm der Herr Bürgermeister, der mit seinem Portefeuille unter dem Arm soeben aus der Ratssitzung kam. Es war eine stattliche Gestalt; er trug den starken Kopf aufrecht und trat so fest einher, daß ihm bei jedem Schritt die wohlgenährten Wangen schütterten. – Nachdem er den jungen Arzt nicht ohne eine gewisse Herablassung gegrüßt hatte, erkundigte er sich eingehend nach dem Befinden seines alten Handlungsdieners, und so schritten beide im Gespräche miteinander über den Markt. Der Doktor aber wußte nicht, weshalb es ihm heute unbehaglich war, sich diesen huldreich zu ihm redenden Herrn als den Vater jenes hübschen Mädchens zu denken; immer wieder, bis vor der Tür des großen Giebelhauses, zu der er ihn zurückbegleitete, stand es vor seiner Seele, wie unbequem es sein müsse, diesem gewichtigen Mann eine Bitte vorzutragen oder im geheimen Zwiegespräch gegenüberzustehen.

      An diesem Tage war der Doktor nicht, wie er sonst zu tun pflegte, nach dem Abendessen wieder ausgegangen; er hatte sich ein Gläschen Grog im Hause präparieren lassen und saß nun, seine Pfeife rauchend, der Mutter gegenüber an dem kleinen Wachstuchtische. Die alte Frau hatte ihr wollenes Strickzeug mit den hölzernen Nadeln neben sich gelegt und las in ihrer Bibel, im ersten Buch Mose, von der Erschaffung des Weibes: »Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei.’« Mitunter seufzte sie und sah nach ihrem Sohn hinüber. – »Hast du den alten Friedeberg denn bald wieder auf dem Schick?« fragte sie unter dem Lesen.

      »Den alten Friedeberg? – Freilich, Mutter; er hat ja gute Pflege.«

      »War denn die junge Mamsell heut wieder da?«

      Der Doktor setzte plötzlich das Glas, das er eben an seine Lippen führen wollte, wieder auf den Tisch. Denn er sah sie vor sich, die junge Mamsell, wie sie vor dem Branntweinfäßchen kniete, wie sie das Hähnchen drehte, wie sie schauderte.

      Die Alte hatte währenddes ihr Leseglas auf die Bibel gelegt; ihre Gedanken waren schon wieder um einige Schritte vorwärts. »Die würde eine alte Frau auch nicht verkommen lassen!« sagte sie seufzend und stützte den Kopf in ihre Hand.

      »Ich hoffe nicht, Mutter, daß sie sich so etwas würde zu Schulden kommen lassen«, erwiderte der Doktor.

      Die Alte blickte auf, als wolle sie sich versichern, wie das gemeint sei.

      Der Doktor hielt ihr anfangs sein ehrlichstes Gesicht entgegen; bald aber mühte er sich vergebens, ein leises Zucken um seinen Mund zu unterdrücken; es war nicht mehr zu halten, es stieg ihm über die Wangen, in die Augen; und als er endlich das Gesicht der alten Frau von derselben Unruhe ergriffen sah, da brach es hervor sein volles herzliches Lachen, dem weder seine Mutter noch einer seiner Freunde widerstehen konnte.

      So lachten sie beide eine ganze Weile miteinander, und die Alte schüttelte den Kopf und wischte sich mit der Schürze die Tränen aus den Augen. »Kind, Kind! Doktor!« rief sie, »was lachst du denn so gefährlich?«

      Ihr Sohn war aufgesprungen, er nahm den Kopf der Mutter zwischen beide Hände und drückte ihn gegen seine Brust. »Mutter«, sagte er, indem er ihr auf die Wangen klatschte, »du bist eine kluge Frau! So welche gibt es heutzutage doch nicht mehr!«

      »Ei was!« rief sie und suchte ihn mit beiden Armen von sich abzuwehren, »ich laß mich nicht dumm machen! Ihr habt ja doch zusammen getanzt; warum redst du nicht? Wie dann, wenn dein Vater selig auch den Mund nicht aufgetan hätte? Was treibt ihr denn, wenn ihr beisammen seid?«

      Der Doktor schmunzelte. – »Geh!« rief sie, »es ist mit dir kein Fertigwerden; das kommt davon, wenn simple Leute studierte Kinder haben wollen!« –

      Er ließ noch einen Augenblick die zärtlichen Augen seiner Mutter in den seinen ruhen; dann trat er an sein Bücherbrett und stöberte zwischen den bestaubten Bänden. Er suchte nach einer alten Ausgabe von Bürgers Gedichten, des einzigen deutschen Dichters, der jemals in seinem Besitz gewesen war. Da er indes den Bürger nicht zu finden vermochte, so begnügte er sich mit einer kleinen Elzevirausgabe des Horaz, die ihm aus seinen Primanerjahren zurückgeblieben war. Nachdem er den Deckel an seinem Schlafrock abgestäubt hatte, setzte er sich wieder an seinen Platz. Er begann in dem Büchlein zu blättern, bis er endlich eine der Oden aufschlug und sich ganz darin vertiefte. »Lalagen amabo!« Er murmelte die Worte halblaut vor sich hin. »Ich liebe Lalagen! Wie lächelt sie und, o, wie plaudert sie so süß!« – Und während des Lesens langte seine Hand unwillkürlich nach dem vor ihm stehenden Glase, und er las und trank, und trank und las, bis die Ode zu Ende und das Glas geleert war.

      Das Blechkästchen, worin der Doktor die Ersparnisse seiner Praxis aufgespeichert hatte, stand in dem untersten wohlverschlossenen Schubfache seines Schreibtisches. Am andern Vormittage, als er von seinen Berufsgängen heimgekehrt war und während die Mutter draußen in der Küche hantierte, wurde es behutsam hervorgenommen. Er löste die Bindfäden, mit denen die Wertpapiere zusammengebunden waren, schüttelte aus einem leinenen Beutel ein Häufchen Dukaten und andere Goldmünzen auf den Tisch und notierte die einzelnen Beträge auf ein Papierblättchen. Dann, nachdem er noch eine Weile gerechnet und hierauf alles wieder an seinen Ort verschlossen hatte, ging er durch den schmalen hinter dem Hause befindlichen Garten und von dort durch die noch unbelaubte Lindenallee nach dem alten Schlosse, welches derzeit dem Herrn Kammerherrn und Amtmann zur Wohnung und zum Geschäftslokale eingeräumt war.

      Der Doktor wollte den Justizrat besuchen, einen jungen Juristen, der es bislang freilich nur noch zum Amtssekretär gebracht hatte, der aber in seiner goldenen Brille und in seinem wohltoupierten Haar die später erlangte Würde so deutlich vorgezeichnet trug, daß seine Freunde ihn schon jetzt damit belehnt hatten. – Als der Doktor in das hohe düstere Wohnzimmer trat, fand er den Justizrat, in seinen türkischen Schlafrock gewickelt, mit einem Aktenstück beschäftigt, in der Sofaecke sitzen. Von oben durch die Zimmerdecke, über welcher sich die Gesellschaftsräume


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