Theodor Storm: Novellen, Märchen, Gedichte & Briefe (Über 400 Titel in einem Band). Theodor Storm
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Amtssekretär, ohne aufzustehen, nahm seine goldene Brille herunter und polierte die Gläser mit einem gelben Glacehandschuh, der neben ihm auf dem Sofa lag. »Das hättest du Sonntag bequemer haben können!« sagte er lächelnd, »die alte Exzellenz, unsere grand’mere, träufte nur so von Gnade und Leutseligkeit. Wo stecktest du denn! Du warst doch auch befohlen!«
»Ich, Justizrat?« und der Doktor rieb sich mit seiner runden Hand das unrasierte Kinn, »du weißt, die Wahrheit zu sagen, ich bin nicht gern geniert.«
»So?« sagte der andere trocken und ließ einen scharfen Blick auf seinen Freund hinübergleiten. »Aber im Schifferhause war Pickenick; unser Schreiber erzählte mir davon. Er war ja auch wohl dort?«
Der Doktor schlug seine kleinen ehrlichen Augen gegen ihn auf. »Laß das Pulsfühlen, Eduard!« sagte er und reichte ihm die Hand über den Tisch hinüber.
Der Justizrat drückte sie flüchtig, indem er zugleich die Brille wieder aufsetzte und die goldenen Stäbchen an seinen Schläfen zurechtrückte. »Nun, Doktor! Aber meine Schwester und die kleine Bürgermeistertochter hatten auf deine Flöte gerechnet. – Du verstehst dich nicht auf derlei Dinge; aber« – und er richtete sich ein wenig in seiner Sofaecke auf – »du hättest sie sehen sollen, wie sie beim Singen ihr feines Näschen emporhob, und wie im Affekt die schlanken Finger so eigensinnig in der Luft spielten!« Und der Justizrat drückte hinter seinen Brillengläsern die Augen zusammen, und blickte vor sich hin, als sähe er dort alles leibhaftig vor sich stehen.
Der Doktor legte die Hand, in der er seinen Rohrstock hielt, auf den Rücken und begann plötzlich im Zimmer auf und ab zu wandeln. »Justizrat«, sagte er endlich, »du hast Geschmack, du bist mit solchen Sachen aufgewachsen.«
Der Amtssekretär zog die Schöße seines Schlafrocks noch dichter um seine etwas hagere Gestalt. »Nur weiter, Doktor!« sagte er.
Der Doktor war wieder einigemal auf und ab gegangen. »Es ist nämlich, Justizrat; du kennst doch das alte Zimmer oben in meinem Hause?«
»Freilich, Doktor; wir haben ja neulich deinen Geburtstagskommers darin gefeiert!«
Der Doktor räusperte sich ein paarmal und blieb dann vor seinem Freunde stehen: »Du mußt mir helfen das Geräte zu bestellen!« sagte er mit einem kleinen resoluten Schwingen seines Rohrstocks. »Die Mittel sind nun beisammen, daß ich es endlich kann instand setzen lassen.«
»Ernstlich, Christoph?« fragte der Justizrat, während er dem andern mit unverkennbarer Verwunderung ins Gesicht blickte.
Der Doktor nickte. »Ernstlich, Eduard!« Dann setzte er sich lächelnd in einen vor dem Tische stehenden Lehnstuhl und wartete geduldig, bis der Justizrat sich erhoben und mit gewohnter Sorgfalt seinen Anzug vollendet hatte.
Nach einiger Zeit traten beide in die Werkstatt eines ihnen bekannten Tischlermeisters. – Ein Sofagestelle, für lose Polster und Lehnkissen bestimmt, war eben in Arbeit und wurde sofort erhandelt. Der Meister legte ihnen mehrere Einsatzstücke von Buchsbaum vor, aus denen der Justizrat zwei schwebende Gestalten, diese mit einer Blumen-, jene mit einer Obstgirlande, für die vorderen Flächen der Seitenlehnen auswählte; überdies ein Täfelchen mit einer Hirschjagd für die Mitte der Rücklehne. Die Furnierung des Ganzen sollte von Mahagoni sein. – Aus der Werkstatt gingen sie in das dahinterliegende Magazin, wo sie die meisten zur Ausstattung eines Zimmers erforderlichen Stücke bereits fertig und in entsprechender Arbeit vorfanden. Ein Postament mit eingelegten Stäbchen für eine Tafeluhr wurde noch bestellt; außerdem zwei Lehnsessel, von denen je einer in den tiefen Fensternischen des Zimmers seinen Platz finden sollte.
Während in einiger Entfernung von ihm der Justizrat mit dem Meister über einen großen Wandspiegel unterhandelte, war der Doktor vor einem zierlichen Nähtischchen stehengeblieben. Er hatte die Platte aufgeklappt, er bückte sich und tastete an den Rollen und Sternchen umher, die in den schmalen Seitenfächern angebracht waren, und betrachtete dann wieder mit augenscheinlichem Wohlbehagen das unter dem Tischkasten hängende grünseidene Arbeitssäckchen. Als er jedoch plötzlich das lächelnde Gesicht des Justizrats vor sich sah, und daneben den Meister, der ihm den Preis des Stückes nannte und die Vorzüge der Arbeit auseinanderzusetzen begann, klappte er hastig die Platte wieder zu und erkundigte sich angelegentlich nach dem Preise eines in der Nähe stehenden Pfeifenhalters. Der Justizrat klopfte ihm auf die Schulter. »Ich seh es schon«, sagte er, »die Pfeife tut’s nicht mehr allein.«
In der Tapetenhandlung, welche sie hierauf besuchten, bestand der Doktor auf einer Landschaftstapete, zu der Bernardins einst so beliebte Erzählung die Staffage geliefert hatte. Das Buch selbst kannte er nicht; aber als Knabe, da er für seinen Vater noch die fertigen Kleidungsstücke auszubringen pflegte, hatte er in dem Wohnzimmer eines reichen Kaufherrn oft eine Reihe kolorierter Kupferstiche angestaunt, in welchen die Hauptszenen dieser rührenden Geschichte dargestellt waren. Die Gestalten des etwas schmächtigen jungen Liebespaares, des alten Negers, wie er in Begleitung des großen Hundes den im Walde Verirrten mit vorgestreckten Armen entgegeneilt, waren ihm seitdem von der Vorstellung eines behaglich eingerichteten Wohngemachs unzertrennlich geblieben. Er äußerte freilich hiervon nichts; aber er ließ sich auch durch keine Einwendungen seines Freundes von der einmal getroffenen Wahl zurückbringen.
Auf ihrem Heimwege lag die Wohnung eines bei den jungen Herren der Stadt beliebten Schneidermeisters. Der Justizrat blieb stehen. »Was meinst du, Doktor«, sagte er, indem er mit seinem Fischbeinstöckchen über dessen abgetragene und übelgehaltene Kleidung hinstrich, »wir sind einmal beim Tapezieren!«
Der Doktor, wie er in bedenklichen Fällen zu tun pflegte, faßte mit der Hand in seine Lastinghalsbinde und stieß ein kurzes Husten aus. Bald aber begann er nicht ohne eine kleine Begehrlichkeit eine kaffeebraune Sammetweste zu betrachten, die nebst andern fertigen Arbeiten vor dem Fenster hing, und erkundigte sich bei seinem Freunde nach dem Preise und der Dauerhaftigkeit eines solchen Kleidungsstückes.
Der Justizrat, nachdem er die verlangte Auskunft erteilt hatte, glaubte eine solche anscheinend günstige Stimmung benutzen zu müssen. »Und wenn du«, setzte er wie beiläufig hinzu, »meinem Friseur noch eine Kleinigkeit zuwenden möchtest – der Laden ist hier nebenan.«
Aber er war schon zu weit gegangen; der Doktor hatte sich schon besonnen, er sah plötzlich den ganzen überlegten Plan des andern vor sich. »Wir wollen’s nur dabei bewenden lassen, Justizrat!« sagte er und sah seinen Freund mit einem Ausdruck der überlegensten Heiterkeit aus seinen kleinen Augen an.
Nun wurden für eine Zeitlang Tischler und Maler in dem obern Stockwerk des schmalen Hauses geschäftig, und der Doktor stieg oft die dunkle Treppe hinauf und betrachtete den Fortgang der Arbeiten. – Wieder einige Wochen später, nachdem an Fenstern und Paneelen der rötlich graue Anstrich getrocknet, nachdem die Tapeten aufgezogen und endlich noch der Fußboden mit einem einfachen Teppich belegt war, langten nacheinander auch die von dem Tischler gefertigten Geräte an. Die Mutter des Doktors stand, während sie ins Haus getragen wurden, neben ihrem Sohn im Zuge der offenen Haustür, strich sich dann und wann die grauen Härchen unter ihre Haube und betrachtete kopfschüttelnd die zierlichen Dinge. Schon ein paarmal, wenn wieder ein neues Stück angelangt war, hatte sie den Mund zum Reden geöffnet; aber ebensooft die schon halbbegonnenen Worte wieder hinabgeschluckt. Endlich, als auch der große, aus einem Stück bestehende Wandspiegel gebracht wurde, schien sie es länger nicht verschweigen zu können. »Kind, Doktor«, sagte sie, »was machst du dir für Unkosten; so was gehört ja alles doch zur Aussteuer!« Aber der Sohn wollte ihr heute nicht standhalten; er stieg schon, als hätte er nichts gehört, hinter den Trägern die Treppe hinauf und stellte sich zu ihnen, um das Aufhängen des Spiegels zu beaufsichtigen. – In den folgenden Tagen, nachdem alle Dinge an ihren Ort gestellt waren, saß in der neben dem Hinterzimmer befindlichen Schlafkammer der Mutter eine Näherin, um die neuen Vorhänge anzufertigen; und die alte Frau, da es denn doch einmal sein sollte, ließ es sich nicht nehmen, sie selbst an die dazu bestimmten Brettchen anzustecken.
So war nun in dem Zimmer oben alles fertig und die Mittagssonne, die jetzt schon warm durch die Fenster schien, beleuchtete an den Wänden eine fremde aber liebliche Welt. Die Kokospalmen ragten so still in den blauen Himmel, die Papageien