Wachtmeister Studer. Friedrich C. Glauser

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Wachtmeister Studer - Friedrich C.  Glauser


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schön ge­we­sen sei, frag­te am nächs­ten Mor­gen um neun Uhr Fahn­der­kor­po­ral Mur­mann, der mit Stu­der das Büro teil­te. Der Wacht­meis­ter war noch im­mer schlech­ter Lau­ne; er grunz­te et­was Un­ver­ständ­li­ches und be­ar­bei­te­te wei­ter die Tas­ten sei­ner Schreib­ma­schi­ne. Im Rau­me roch es nach kal­tem Rauch, Staub und Bo­den­öl. Vor den Fens­tern pfiff die Bise, und der Dampf knack­te in den Heiz­kör­pern.

      Mur­mann setz­te sich sei­nem Freun­de Stu­der ge­gen­über, zog den »Bund« aus der Ta­sche und be­gann zu le­sen. Sei­ne mäch­ti­gen Arm­mus­keln hat­ten die Är­mel sei­ner Kut­te aus der Façon ge­bracht.

      »Köbu!«, rief er nach ei­ner Wei­le. »Los ei­nisch!«

      »Jaaa«, sag­te Stu­der un­ge­dul­dig. Er muss­te einen Rap­port über einen vor un­denk­li­chen Zei­ten pas­sier­ten Man­sar­den­dieb­stahl schrei­ben, den der Un­ter­su­chungs­rich­ter I mit viel Ge­schrei am Te­le­fon ver­langt hat­te.

      »In Ba­sel«, fuhr Mur­mann ge­müt­lich fort, »hat sich eine mit Gas ver­gif­tet…«

      Das wis­se er schon lan­ge, sag­te Stu­der ge­reizt.

      Mur­mann ließ sich nicht aus der Ruhe brin­gen.

      Selbst­mord mit Gas sei an­ste­ckend, mein­te er. Heut’ mor­gen habe man ihn um sechs Uhr in die Ge­rech­tig­keits­gas­se ge­holt, sie hät­ten ge­gen­wär­tig kei­ne Leu­te auf der Stadt­po­li­zei, al­les sei noch in den Fe­ri­en… Ja… Und in der Ge­rech­tig­keits­gas­se habe sich auch eine Frau mit Gas ver­gif­tet.

      »In der Ge­rech­tig­keits­gas­se? Wel­che Num­mer?«, frag­te Stu­der.

      »Vie­re­vier­zig«, mur­mel­te Mur­mann, kau­te an sei­nem Stum­pen, kratz­te sich den Na­cken, schüt­tel­te den »Bund« zu­recht und las den Leit­ar­ti­kel wei­ter.

      Plötz­lich schrak er auf, ein Stuhl war um­ge­fal­len. Stu­der beug­te sich über den Tisch, sein Atem ging schwer. – Wie die Frau hei­ße?… Sein sonst blei­ches Ge­sicht war ge­rötet.

      »Köbu«, mein­te Mur­mann ge­müt­lich, »hescht Stim­me?«

      Nein, Stu­der hat­te kei­ne Ge­hörs­hal­lu­zi­na­tio­nen, er ver­wahr­te sich mit hef­ti­gem Kopf­schüt­teln ge­gen der­ar­ti­ge Zu­mu­tun­gen, aber er woll­te den Na­men der To­ten wis­sen.

      »E G’schyd­ni, e Char­te­schlä­ge­re…«, sag­te Mur­mann. »Hor­nuss, Hor­nuss So­phie«, und be­ton­te den Vor­na­men auf der ers­ten Sil­be. Die Lei­che sei schon im Ge­richts­me­di­zi­ni­schen…

      »So«, sag­te Stu­der nur, klap­per­te noch einen Satz, riss den Bo­gen von der Wal­ze, mal­te sei­ne Un­ter­schrift, ging zum Klei­der­ha­ken, zog den Raglan an und schmet­ter­te die Türe hin­ter sich ins Schloss…

      »Ja, ja, der Köbu!«, nick­te Mur­mann und zün­de­te den Stum­pen wie­der an; dann las er schmun­zelnd den Leit­ar­ti­kel zu Ende, der vom An­wach­sen der ro­ten Ge­fahr han­del­te. Denn Mur­mann war frei­sin­nig und glaub­te an die­se Ge­fahr…

      Ge­rech­tig­keits­gas­se 44. Ne­ben der Haus­tür das Schild ei­ner Tanz­schu­le. Höl­zer­ne Stie­gen. Sehr sau­ber, nicht wie in je­nem an­de­ren Haus – am Spa­len­berg. Im drit­ten Stock, auf ei­ner gelb ge­stri­che­nen Tür, die of­fen­stand, eine Vi­si­ten­kar­te:

      So­phie Hor­nuss

      Die­se Frau war also nicht von Be­ruf Wit­we ge­we­sen! Stu­der trat ein.

      Auf dem Bo­den lag das Schloss, das beim Auf­spren­gen der Tür her­ab­ge­fal­len war.

      Stil­le…

      Das Vor­zim­mer ge­räu­mig und dun­kel. Links ging eine Gla­stü­re in die Kü­che. Stu­der schnup­per­te: auch hier wie­der der Gas­ge­ruch. Das Kü­chen­fens­ter stand of­fen, die Lam­pe, die von der De­cke hing, trug über dem Por­zel­lan­schirm ein Stück qua­dra­ti­schen Sei­den­stof­fes von vio­let­ter Far­be, an des­sen Ecken brau­ne Holz­ku­geln hin­gen. Sie pen­del­te hin und her.

      Nahe dem Fens­ter ein so­li­der Gas­herd mit vier Bren­nern, Back­röh­re, Grill. Und ne­ben dem Gas­herd ein be­que­mer le­der­ner Klub­ses­sel, der sich merk­wür­dig ge­nug in der Kü­che aus­nahm. Wer hat­te ihn aus dem Wohn­zim­mer in die Kü­che ge­schleppt? Die alte Frau?

      Auf dem mit Wachs­tuch über­zo­ge­nen Kü­chen­tisch la­gen Spiel­kar­ten, vier Rei­hen zu acht Kar­ten. Die ers­te Kar­te der obers­ten Rei­he war der Schau­fel­bau­er, der Pi­que-Bube.

      Stu­der hat­te die Hän­de auf den Rücken ge­legt und ging in der Kü­che auf und ab, öff­ne­te den Schaft, schloss ihn wie­der, nahm eine Pfan­ne von der Wand, lupf­te einen De­ckel…

      Im Schütt­stein stand eine Tas­se mit schwar­zem Satz auf dem Grun­de… Stu­der roch dar­an: ein schwa­cher Anis­ge­ruch. Er kos­te­te.

      Der bit­te­re Nach­ge­schmack, der lan­ge an der Zun­ge haf­te­te… Der Ge­ruch! – Es war ein Zu­fall, dass Stu­der bei­des kann­te. Vor zwei Jah­ren hat­te ihm der Arzt ge­gen Schlaf­lo­sig­keit Som­ni­fen ver­schrie­ben.

      Som­ni­fen!… Der gal­len­bit­te­re Ge­schmack, der Anis­ge­ruch… Hat­te die alte Frau auch an Schlaf­lo­sig­keit ge­lit­ten?

      Aber warum, zum Tüü­fu, hat­te sie ein Schlaf­mit­tel ge­nom­men, her­nach einen Klub­fau­teuil in die Kü­che ge­schleppt und schließ­lich die Häh­ne des Gas­her­des auf­ge­dreht? Wa­rum?

      Eine tote Frau in Ba­sel, eine tote Frau in Bern… Als Ver­bin­dungs­glied zwi­schen den bei­den der Mann: Cle­man Alois Vic­tor, Geo­lo­ge und Schwei­zer, ge­stor­ben im Mi­li­tär­hos­pi­tal zu Fez wäh­rend des Welt­krie­ges. Wa­rum be­gin­gen die bei­den Frau­en des Man­nes Cle­man fünf­zehn Jah­re spä­ter Selbst­mord? Die eine heu­te, die an­de­re ges­tern? Be­gin­gen Selbst­mord auf eine, ge­lin­de ge­sagt, merk­wür­di­ge Ma­nier?

      War dies viel­leicht der »Gro­ße Fall«, von dem je­der Kri­mi­na­list träumt, auch wenn er nur ein ein­fa­cher Fahn­der ist?

      »Ein­fach!«… Das Wort pass­te ei­gent­lich nicht auf den Wacht­meis­ter. Wäre Stu­der »ein­fach« ge­we­sen, so hät­ten sei­ne Kol­le­gen, vom Po­li­zei­haupt­mann bis zum sim­plen Ge­frei­ten, nicht be­haup­tet, er »spin­ne män­gisch«.

      An die­ser Be­haup­tung war zum Teil die große Bank­ge­schich­te schuld, die ihm das Ge­nick ge­bro­chen hat­te, da­mals, als er wohl­be­stall­ter Kom­mis­sär bei der Stadt­po­li­zei ge­we­sen war. Er hat­te den Ab­schied neh­men und bei der Kan­tons­po­li­zei als ein­fa­cher Fahn­der wie­der an­fan­gen müs­sen. In kur­z­er Zeit war er zum Wacht­meis­ter auf­ge­stie­gen; denn er sprach flie­ßend drei Spra­chen: Fran­zö­sisch, Ita­lie­nisch, Deutsch. Er las Eng­lisch. Er hat­te bei Groß in Graz und bei Lo­card in Lyon ge­ar­bei­tet. Er be­saß gute Be­kann­te in Ber­lin, Lon­don, Wien – vor al­lem in Pa­ris. An kri­mi­no­lo­gi­sche Kon­gres­se wur­de ge­wöhn­lich er de­le­giert. Wenn sei­ne Kol­le­gen be­haup­te­ten, er spin­ne, so mein­ten sie viel­leicht da­mit, dass er für einen Ber­ner all­zu viel Fan­ta­sie be­saß. Aber auch dies stimm­te nicht ganz. Er sah viel­leicht nur et­was wei­ter als sei­ne Nase, die lang, spitz und dünn aus sei­nem ha­ge­ren Ge­sicht stach und so gar nicht zu sei­nem mas­si­ven Kör­per pas­sen woll­te.

      Stu­der


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