Im Thale des Todes. Karl May

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Im Thale des Todes - Karl May


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geschöpft, und nun war sie stets bereit, mit Jedwedem ein gelehrtes Tournier einzugehen. Wie es eigentlich um ihr Wissen stand, das ahnten Wenige; noch Wenigere wußten es; sie aber ahnte es selbst nicht einmal.

      Heute saß ihre sehr lange, sehr dürre, scharf und spitz gezeichnete Gestalt am Tische, eine große Klemmbrille auf der Nase, ein Buch vor sich, daneben rechts ein Stück Thon zum Modelliren und links die Zeichnung einer oberschlächtigen Oel- und Getreidemühle. Sie studirte. Das heißt, sie nickte halb im Traume vor sich hin und that zuweilen einen Schluck aus dem kleinen Fläschchen, welches in einer Höhlung des Modellirthons steckte.

      Sie war bisher allein gewesen; jetzt aber öffnete sich die Thür und ein junger, hübscher, muthwillig dreinblickender Bursche trat ein. Das war Petro, ihr Peon oder Reitknecht, der aber nebenbei auch alles Andere war. Und das war er, weil er sich ihre ganz besondere Zuneigung erworben hatte. Und diese hatte er erlangt, weil er alle ihre gelehrten und verblüffenden Fragen sofort, ja blitzschnell auf eine noch viel gelehrtere und verblüffendere Weise beantwortete. Er hatte sich da ihre ganz besondere Anerkennung erworben und – stand sich sehr wohl dabei. Sie merkte gar nicht, daß er sich nur lustig über sie machte.

      »Was befehlen Sennorita zum Abendessen?« fragte er.

      »Jetzt noch nichts, ich will erst abwarten, welche Temperatur wir am Abende haben. Die Temperatur steht nämlich in innigster Wechselbeziehung zu der menschlichen Bauchspeicheldrüse –«

      »Leberwürmern, schneidenden Winden und schleimigem Stuhlgange,« fiel er sofort mit der Sicherheit eines Professors der Pathologie ein.

      Sie blickte überrascht auf.

      »Das ist sehr richtig, besonders das von den Winden. Diese hängen ganz besonders von der Temperatur ab. Sie stehen in umgekehrtem Verhältnisse zur Außenwelt. Wind muß ja sein, ist draußen keiner, so geht er im Innern des Menschen. Wie viele Grade haben wir heute?«

.

      »Zwanzig nach Reaumur.«

      »Wieviel macht das nach Celsius?«

      »Fünfundzwanzig.«

      »Stimmt! Und nach Fahrenheit?«

      »Siebenundsiebzig.«

      »Stimmt wieder. Ich finde, daß Du eine sehr gute Lebensanschauung hast und Dir die Zahlen sehr gut merkst. Doch gehe jetzt. Dort kommt ein Gast, den ich noch nicht kenne. Ich muß ihn prüfen, ob er würdig ist, in meinem Hause eine Erquickung zu genießen.«

      Petro ging. Draußen schüttelte er lächelnd den Kopf und murmelte:

      »Jetzt hat sie die halbe Flasche leer und ist liebesselig. Wehe dem Gaste, welcher da kommt.«

      Der Betreffende schien keine Ahnung von dem Empfange zu haben, welcher seiner wartete. Er kam mit rüstigen Schritten herbei. Noch in jugendlichem Alter stehend, machte er einen sehr guten Eindruck. Kräftig gebaut, gab er seinen Bewegungen eine unbewußte Eleganz, welche in dieser Gegend wohl selten zu sehen war. Doch trug er ganz gewöhnliche Kleidung von dunkelblauem Tuche, Jacke, Hose und Weste, dazu bis an die Knie reichende Schaftstiefel und einen breitrandigen schwarzen Filzhut. Die Uhr, welche sich in der Weste befand, war an einer einfachen Gummischnur befestigt, was auf den einfachen Sinn des jungen Mannes schließen ließ, doch trug er an dem kleinen Finger der rechten Hand einen massiven Goldring mit einem höchst werthvollen Diamanten. Ein Kenner hätte es seinen Augen vielleicht angesehen, daß er gewohnt sei, eine Brille zu tragen. Die Stiefel waren beschmutzt und der Anzug sah staubig aus. Der Mann hatte wohl einen weiten Fußweg zurückgelegt.

      Er grüßte Petro kurz aber leutselig und blieb dann vor dem Eingange stehen, um für einige Augenblicke das sonderbare Schild zu studiren. Dann trat er in die Gaststube.

      » Buenos dias – guten Tag!« grüßte er.

      Emeria saß wieder auf ihrem Stuhle. Sie that, als ob sie den Eintretenden weder bemerkt, noch gehört habe.

      » Buenos dias!« wiederholte er.

      Auch jetzt antwortete sie nicht. Er setzte sich an einen Tisch. Da er glauben mochte, daß sie schwer höre, so sagte er zum dritten Male und zwar mit sehr erhobener Stimme:

      » Buenos dias, Sennora!«

      Da erhob sie sich langsam, drehte sich ebenso langsam nach ihm um, rückte ihre Klemmbrille zurecht, betrachtete den jungen Mann eine ganze Weile und sagte dann in verweisendem Tone:

      »Ihr wißt wohl nicht, in welcher Weise man zu grüßen hat, Sennor?«

      Er lächelte leise und antwortete ruhig:

      »Bisher habe ich geglaubt, es zu wissen.«

      »Nein, Ihr wißt es nicht!«

      »So werde ich Euch sehr dankbar sein, wenn Ihr die Güte haben wolltet, es mich zu lehren.«

      »Warum laßt Ihr meinen Titel weg?«

      »Ach so! Verzeiht! Aber als ich zum dritten Male grüßte, habe ich es wieder gut gemacht, indem ich den Titel hinzufügte:

      »Er war falsch.«

      »Das sollte mir leid thun.«

      »Ich bin nicht Sennora, sondern Sennorita.«

      »Da seht Ihr mich ganz trostlos. Aber ich konnte wirklich nicht wissen, daß Ihr nicht Frau, sondern noch Jungfrau seid.«

      »Ihr konntet Euch erkundigen!«

      »Da habt Ihr Recht und ich bitte abermals um Entschuldigung.«

      »Ich kann es nicht anhören, wenn das starke Geschlecht um Verzeihung und Entschuldigung bittet. Es ist das so unmännlich.«

      »Ich glaube nicht, daß unsere Stärke darin bestehen soll, rücksichtslos und grob zu sein!«

      »Und doch seid Ihr Beides selbst jetzt noch!«

      »Wieso?«

      Er hatte bisher freundlich und heiter gesprochen, jetzt aber zeigte sich auf seiner Stirn eine kleine Falte.

      »Ihr sprecht mit einer Dame und bleibt doch auf Eurem Stuhle sitzen, obgleich Ihr seht, daß ich, die Dame, vor Euch aufgestanden bin!«

      »Aber erst, nachdem ich dreimal gegrüßt hatte!«

      »Ihr hattet falsch gegrüßt; da mußte ich sitzen bleiben, um Euch zu strafen.«

      Jetzt stand er langsam auf und griff wieder nach seinem Hute.

      »Mich zu strafen?« sagte er. »Sennorita, Ihr scheint Eure Stellung ganz zu mißverstehen. Ihr seid in keiner Weise meine Vorgesetzte; auch komme ich nicht, um Euch zu begrüßen, sondern um Euch eine Erquickung abzukaufen, die ich genießen will und bezahlen werde.«

      »Das ist ganz gut, aber wer mir nicht gefällt, der bekommt nichts.«

      »Nun, ich muß annehmen, daß ich Euch nicht gefallen habe und also nichts bekommen werde. Adios, Sennorita!«

      Er wendete sich nach der Thür; aber bereits in demselben Augenblicke stand sie zwischen derselben und ihm. Sie streckte ihm abwehrend alle ihre langen, weit auseinandergespreizten Finger entgegen und gebot ihm:

      »Halt! Ihr habt zu bleiben! Noch habe ich Euch nicht entlassen. Erst muß ich erfahren, ob Ihr würdig seid, eine Erquickung von mir einzunehmen.«

      »Wie wollt Ihr das erfahren?«

      »Indem ich Euch examinire.«

      »Und Ihr meint, daß ich mir dies gefallen lasse?«

      »Ja, Ihr müßt! Seht her!«

      Sie drehte den Schlüssel um und zog ihn ab, so daß er durch das offene Fenster hätte springen müssen. Dann stemmte sie die eine Hand auf den Tisch, die andere in die Seite und fragte ohne alle Einleitung:

      »Wie kann


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