Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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ist es nicht, als ob er zu fliehen versuchte vor dem Anmarsch der Kolonne? Leiser Donner rollt über den Wald und der dicke Staub liegt über und zwischen den Reihen und der Wind erhebt sich und treibt ihn den Männern ins Gesicht, und alle sind sie so stumpf geworden, daß sie sich nicht einmal bemühen, ihn von den Augenlidern oder von den Lippen zu wischen. Und es geht durch ein Dorf, wo aus kleinen schmutzigen Fenstern neugierige oder mitleidige oder finstere Gesichter schauen und dralle Mägde stehen an den Scheunen und lachen ziemlich grundlos. Und dann kommt wieder die Ebene und die Landschaft wird trüber und der Donner zieht heran, langsam hallend, gleichsam Gehör fordernd. Eine bissige Bemerkung wird laut unter den Soldaten oder eine derbe Zote, dann ist es wieder lange Zeit hindurch still. Sie denken an die Nacht: da können sie schlafen; manche wünschen immer schlafen zu dürfen, bis die Jahre des Dienstes vorbei sind. Viele haben einen Schatz und sie denken an den Urlaub des letzten Sonntags und an das einsame Liebesbett in einem stillen Waldwinkel oder auf einem hohen Scheunenboden. Die meisten aber denken an gar nichts; wie eine Decke hängt es vor ihren Augen und ihre Füße sind schwer. Das Gewehr drückt die Schulter und der Tornister drückt den Rücken. Der Schweiß hat die Gewänder an den Leib festgeklebt und alle Sinne sind erschlafft und abgestorben. Sie sind keinem Eindruck mehr zugänglich außer dem gleichmäßigen Geräusch der Schritte; und es klingt wie ein schwerer Rhythmus in die Unermeßlichkeit hinein: eins zwei, eins zwei ...

      Der Wald kam näher und leichte Dünste hoben sich von ihm. Die ersten Regentropfen fielen, als die Spitze unter den Schutz der dichten Wipfel einzog. Jetzt geht’s der Heimat zu, dachte Frank Aschenbrenner und er allein lächelte in diesem großen Haufen müder und gleichgültiger Männer. Wenn auch der Schweiß in heißen Perlen von der Stirn und den roten Haaren troff, er hörte doch nicht auf, an Veni Escher zu denken. Eigentlich hieß sie Juvenia und es kam ihm so seltsam und der Bewunderung würdig vor, daß eine Bauerntochter Juvenia heißen konnte. Stets zwinkerte er so eigen vertraulich mit den Augen, wenn er an sie dachte, an ihre dicken Zöpfe, an die weißen, schönen Zähne, an die festen starken Arme, an ihren Trotz, an ihren Hochmut, an ihre Wildheit und an ihre guten Küsse. Und das ganze Dorf sah er im Innern, so wie es damals beim Abschied gewesen war: wie es still und feierlich am See ausgebreitet lag, ein wenig gehoben durch die sanfte Krümmung der Hügel; und in der Ferne flimmerte der Mondschein auf dem Wasser wie ein Schleier, der leise flattert im leisen Wind. Und ein wohlthuender Frieden war allenthalben und in manchem Häuschen war noch ein Fenster rot und dann kamen lange Wolken und legten den Mond gleichsam in ein Grab, und die Wellen plätscherten ans Ufer, daß die Kieselsteine klirrten wie geschwätzige Gnomen, und es war auch wie eine Klage, wenn die Äste knisterten und sich furchtsam niederbogen vor dem schwellenden Nachtwind. Oder wenn er an den Morgen dachte! Wie frisch erschien das ganze Dorf, gleichsam gebadet! Am Anger blökten die Schafe und am Haus der Veni roch es so angenehm nach neugebackenem Brot (denn ihr Vater war der Bäcker des Orts), und da kam sie oft unters Thor und lachte aller Welt keck ins Gesicht.

      Fort mit den Träumen –: er erhielt von hinten einen Stoß mit dem Gewehrkolben, weil er den Schritt verloren hatte. Auf allen Seiten rief es: Tritt fassen! Tritt fassen! Es war, als wolle sich die Ordnung des Marsches im Nu auflösen vor der Macht des Gewitters. Donnerschlag auf Donnerschlag durchdröhnte den Wald und die Luft zitterte; es war mühselig und beängstigend, taktmäßig weiter zu marschieren. Manche bittere Anspielung wurde laut, von den Unteroffizieren geflissentlich überhört; mancher Fluch drängte sich durch zusammengepreßte Zähne. Aber selbst dazu waren sie zu müd, mit ihren Gedanken bei ihrem Groll zu bleiben; vielmehr wurde die krankhaft erregte Phantasie beschäftigt von den Bildern der Rast, von den Bildern des Schlummers und einem Strohsack, von einem fetten Glas Milch und einem saftigen Stück Fleisch bei den Bauern des Quartiers. Aber der Wald wurde immer dichter und die Dämmerung nahm zu und der Regen strömte herab und rann von den Helmen auf die Riemen des Tornisters, und rauschte und trommelte in den Kronen und die Blitze erleuchteten die Tiefen des Forstes, daß es aussah, als ob eine gespenstige Rotte hinter fernen Stämmen vorbeiraste.

      Frank Aschenbrenner, erregt von dem Bild der Heimat, vergaß die Vorgänge der Umgebung und wie ein Schlummernder, dessen Schlaf unterbrochen wurde, alsbald von neuem die Augen schließt, versank er beinahe hilflos und ganz selbstvergessen in eine Folge von phantastischen Vorstellungen, von wunderbaren Zufällen und Ereignissen, die von den Wünschen und von der Erwartung in uns geweckt werden. Warum empfand er im Innern seines Herzens ein bitteres Gefühl, einen Zweifel, wenn er an Veni dachte? Und gerade dies trieb ihn dazu, Luftschlösser zu bauen, die seiner bäuerischen Natur sonst ganz fremd waren.

      Die Kompagnie sollte in Sankt Heinrich übernachten und den nächsten Tag, der ein Rasttag war, dort verbringen. Der Hauptmann und drei Offiziere ritten mehrere Kilometer hinter der Abteilung und dem Leutnant Baron Gerlach war die Führung während des Marsches anvertraut worden. Er war ein hübscher und sympathischer junger Mann, der es wohl zu meinen glaubte mit der Mannschaft, und der sich jene von den Vorgesetzten so wohlgelittene Schneidigkeit angeeignet hatte, die den Untergebenen gleichsam in Atem hält. Er stammte aus einer alten und angesehenen Familie, war jedoch ganz arm und besaß keine Garantien für die Zukunft als seinen Degen und seinen Ehrgeiz. Etwas von einem Träumer war in ihm. Still und in sich gekehrt, schien er mit einer wachsenden Verachtung des Lebens zu kämpfen und die Unerfüllbarkeit seiner Wünsche schien er nicht länger zu bezweifeln. Der Wald lichtete sich und die erschöpfte Kompagnie sah das Dorf vor sich liegen, eingehüllt in einen zarten, grauen Regenschleier, mit regenglänzenden Ziegeldächern, mit plumpen Schlöten, aus denen sich bläulicher Rauch langsam in die reine, kühle Luft erhob; und dahinter lag der See, matt schimmernd wie eine Eisenplatte. Alles war voll Frieden in dieser Weltabgeschiedenheit, und die Soldaten atmeten freier, und manche wurden wieder froher Laune in der Hoffnung auf ein Stück Fleisch und auf einen Tag der Ruhe. Denn bei den Bauern hatten sie es immer am besten, wenn sie nicht durch die boshafte Parteiischkeit des Quartiermachers gleich dutzendweise in den Stadel eines armen oder eines geizigen Mannes geworfen wurden.

      Frank Aschenbrenner wohnte mit zwei Kameraden bei seinen Eltern. Die beiden alten Leute standen unterm Thor und ihre Gesichter leuchteten vor Stolz. Es gab keine Redensarten und keine langen Erzählungen; nachdem die drei Soldaten sich ihres Gepäcks entledigt hatten, nahmen sie auf der Bank hinter dem riesigen Tisch Platz und der Bauer brachte Brot und sauren Rahm. Dann setzte er sich den erschöpften Männern gegenüber und sah mit breitem Lächeln zu, wie es ihnen schmeckte. Und bald fiel der Abend nieder über das Dorf. Frank, der noch nicht gewagt hatte, nach Veni zu fragen, weil ihn eine seltsame Angst daran hinderte, zog, als es schon ziemlich spät war, den frischgewaschenen Drillichrock an, setzte die Mütze auf und ging lässigen Schritts die Dorfstraße entlang. Er spähte scheu nach den Mädchen, die am Brunnen standen, doch er fand die nicht, die er suchte. Vor manchem Thor blieb er stehen und begrüßte die Freunde und die Bekannten, und oft ließ man ihn kaum weitergehen; man wollte sich etwas von ihm erzählen lassen, man sagte ihm Komplimente und alle waren stolz darauf, daß ein so schmucker Soldat ein Sohn des Dorfes war. Doch seine Sehnsucht trieb ihn gebieterisch zum Ziel, und schnell schritt er zum Haus des Bäckers Escher. Entschlossen wollte er hineingehen, da sah er sie träumerisch im Flur stehen und vor sich hinstarren. Sie blickte überrascht auf, als er ihre Hand nahm; erst schien sie nicht zu wissen, wer es sei, dann wurde sie feuerrot und stotterte eine verlegene Begrüßung. Wie verändert ist sie, dachte Frank, und er vergaß, daß er sie stürmisch in die Arme hatte schließen wollen. Da standen sie nun schweigend beisammen und wußten sich nicht ein einziges Wort zu sagen. »Bist du mir denn bös?« fragte endlich der junge Soldat. Sie schüttelte den Kopf und wollte unbefangen lächeln. Aber selbst in der Dunkelheit gewahrte er wohl, daß ihr Lächeln gezwungen war, und er fühlte, daß sie ein beklommenes Herz hatte. »Geh fort,« sagte das Mädchen plötzlich eindringlich und voll Hast, »der Leutnant kommt gleich wieder. Er braucht dich doch da nicht zu sehen; morgen wollen wir uns treffen, ich geh morgen nach Dürnbach, da wollen wir mitsammen gehn, – aber jetzt geh fort, hörst?« – »Der Leutnant?« murmelte Frank und sah bestürzt vor sich hin; er konnte noch nicht begreifen, was vorging, er wollte Veni umarmen und wollte sie zwingen, daß sie ihn küsse, aber sie entwand sich seinem Arm und huschte im dunkeln Flur lautlos dahin.

      Der junge Mensch dachte nicht ans Heimgehen, obgleich kein Soldat nach zehn Uhr mehr auf der Straße sein durfte. Noch immer hatte er nichts begriffen, und er schlich ums Haus herum, die Hände in den Taschen und die Blicke an den Boden


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