Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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unter den Bäumen des finsteren Wäldchens. Die Stille war hier noch bedrückender, die Luft noch schwüler. »Herr Leutnant,« sagte Frank Aschenbrenner. – Der Offizier wandte sich um. »Nun?« – »Die Veni war mein Schatz.« – Der Leutnant begann zu zittern. Er wußte nicht zu antworten. Nach einer Weile befahl er mit heiserer Stimme: »Sie haben sich ruhig zu verhalten. Was wollen Sie?« – »Du bist ein Hund,« sagte Frank mit einer Bestimmtheit, die ihm selbst unerwartet erschien. »Du bist ein Hund,« wiederholte er, als der Leutnant schwieg. – »Gewehr und Seitengewehr ablegen!« schrie der Leutnant gleichsam mit einem letzten Kraftaufwand und ging entschlossen auf den Soldaten zu, der da stand ohne eine Hand zu rühren. Doch plötzlich sprang er wie ein wildes Tier auf seinen Offizier los.

      Der Morgen naht: auf die Fluren legt sich ein silberner Nebel und der Himmel erblaßt im Osten. Es ist die fahle Stirn des Tages, die langsam emportaucht; erschrocken ziehen weißliche Wolken eilig gegen Westen und weit in der Ferne ertönt das Kleingewehrfeuer der manövrierenden Brigaden. Frank Aschenbrenner sitzt an der Leiche des Offiziers, dem er den Waffenrock vom Leib gerissen hat und starrt fortwährend nieder in das vom Morgenschein immer bleicher werdende Gesicht des Toten. Jetzt, da er nicht mehr den bunten Rock mit den Epauletten am Körper des jungen Leutnants erblickte, war es auch nicht mehr der Vorgesetzte, den er getötet, sondern es war ein Mensch gleich ihm. Er hatte seine Ehre verteidigt und seine Pflicht erfüllt, indem er sich gerächt hatte. Er sitzt da und starrt und bereut nichts; er fühlt sich seltsam zufrieden durch das, was er gethan. Ob man ihn suchen würde? Es kümmert ihn nicht.

      Endlich erhebt er sich, – längst schon war das Signal zum Sammeln ertönt, – ordnet seinen Anzug, nimmt das Gewehr über und schreitet langsam über die Äcker, als ob nichts geschehen wäre. Leicht und heiter ist ihm zu Mut, mit glänzenden Augen schaut er in den heller werdenden Himmel und nie hat er das Leben so golden vor sich liegen gesehen als gerade jetzt, da er doch eigentlich mit dem Leben abgeschlossen haben sollte. Ja, er beginnt leise vor sich hinzusummen und gut gelaunt stößt er die Steine fort, die in seinem Weg liegen. Auf einmal bleibt er stehen. Er dachte daran, daß er arm sei, und daß er noch nie einen überflüssigen Pfennig besessen hatte. Ein Offizier hat doch immer viel Geld, dachte er, und es that ihm sehr leid, daß er nicht einmal die Kleider des toten Leutnants untersucht hatte. Dann wuchs die Vorstellung von dem Reichtum des Offiziers so sehr in seiner Phantasie, daß er umkehrte und mit hastigen Schritten den Schauplatz seiner nächtlichen That wieder aufsuchte. Bald stand er wieder unter den niedern Bäumen des Wäldchens. Er durchsuchte mit zitternden Händen alle Taschen, aber er fand nichts, als einen Geldbeutel mit einem Inhalt von wenig mehr als sieben Mark. Das machte ihn bestürzt und erschütterte ihn. Daß ein Leutnant arm sein sollte, ärmer als er selbst, konnte er nicht fassen und versetzte ihn in einen kindischen Schrecken.

      Und Frank Aschenbrenner steckte das gefundene Geld zu sich und ging. Sein Gesicht war bleich und auf einmal empfand er Furcht. Das Geld in seiner Tasche bedrückte ihn, es schien den ganzen Körper niederzuziehen in eine Schlucht oder in das Ackerfeld da neben ihm. Alle Heiterkeit und alle Befriedigung war mit einemmal fort und er stierte in die Ebene hinaus, ob man ihn nicht verfolge. Er glaubte Schreie zu hören, er glaubte, der Tote sei aufgewacht und springe hinter ihm her, und die Mutter des Todten sah er, die ihm zurief .... Er nahm das Geld und warf es weit von sich, aber da half nichts, die heiße Angst in seiner Seele wurde unerträglicher, und plötzlich sah er eine militärische Patrouille am Horizont auftauchen. Da warf er das Gewehr von sich und begann zu laufen, aber ein seltsamer Wahnsinn ließ ihn gerade auf die Patrouille zulaufen, – er stöhnte in seinem tollen Lauf, Geld, Geld rollte in hunderttausend Plättchen um ihn her und als die Sonne heraufstieg, war ihm, als sähe er ein großes glänzendes Geldstück vor sich, das langsam auf ihn zukam, um ihn zu zermalmen. Dann kamen mehrere; sie liefen viel schneller als er vermochte, stürzten sich über ihn, schienen seinen Körper zu durchschneiden wie Messer und wie ein unvertilgbarer Jammer kam die Erkenntnis über ihn, wodurch er unterlegen war und was jene Mächtigen dort über ihm so mächtig werden ließ: jenes gute Gesetz, das jeden ihrer Pfennige schützt und das höhnisch und unnahbar jedes verzweifelte Aufraffen der Schwachen und Reinen tötet.

      Bald hatte ihn eine militärische Eskorte aufgegriffen.

      Mit Zintara und Bumtara marschiert die Brigade ins Quartier. Ein bißchen Blechmusik und die Kraft der erschöpften Armeen belebt sich wieder. Aller Groll ist vergessen, die Gewehre und die Degen der Offiziere blitzen im Sonnenschein. Nichts erinnert an die Qualen des nächtlichen Marsches; der Geist der Ordnung und der Disciplin ist wieder eingekehrt, und als die Musik schweigt, erschallt das kecke Soldatenlied von tausend Kehlen:

      Der Feind, der kommt von Frankreich her, Zu Fuß und auch zu Pferd.

      Ruth

       Inhaltsverzeichnis

      Abgespannt und unbeweglich saß Formes, der Student in seiner Kammer und starrte mit verglasten Blicken zu Boden. Ein Leben der Eintönigkeit und der Demütigungen, wie er es führte, ein Leben des Nichtsthuns und der Jagd nach schalen Genüssen hat freilich seine Augenblicke der Zerknirschung, in denen man jene guten Vorsätze faßt, welche später zertrümmert und zerschellt sich wiederfinden, gleichwie die Fetzen eines vom Packeis zerrissenen Kahnes. Lange Zeit saß der hagere Student so, dem schmerzlichen Anschauen eines leeren Daseins hingegeben, und der Regen fiel vom Himmel und benetzte die Scheiben und klatschte auf den Pflastersteinen der Gasse mit seltsamer Geschwätzigkeit, und nebenan lärmten die Kinder und eines sang ein Lied und das andere knallte mit einer Peitsche und ein drittes blies in ein Trompetchen, so daß es schrill und durchdringend in alle Ecken des Hauses scholl. Die Bälge verbittern mir auch noch das Leben, dachte Formes und blickte finster in den grauen Himmel hinein. Wie traurig, daß die Mutter auf die Verpflegung fremder Kinder angewiesen ist. Und wie kläglich ist der Gewinn daraus! Meist waren es Bauernkinder aus den umliegenden Ortschaften, die in der Stadt die Schule besuchten und nur am Sonnabend zu ihren Eltern gingen, um den Feiertag zu Hause zuzubringen. Und als die Dämmerung hereinbrach, erhob sich Formes, froh, von seinen Grübeleien abgelenkt zu sein, und betrat das Zimmer, wo die sechs Kinder wie sechs Vögelchen in heiterem und lautem Spiel umhertollten. Sie haschten einander mit Jauchzen und Händeklatschen; ihre Augen leuchteten und ihre Wangen waren frisch gerötet. Eine düster brennende Lampe stand auf dem Tisch; um die Lampe herum lagen in krausem Wirrsal Schiefertafeln und Fibeln und Griffel, und die kleinen, braunen Rechenbüchelchen von Heuner.

      In dem Augenblick, wo Formes den Raum betrat, wurde es mäuschenstill unter dem kleinen Völkchen. Jedes der Kinder blieb an seinem Platz wie angewurzelt stehen und jedes schaute zu Boden, so, als ob es genascht hätte und dabei ertappt worden wäre. Manche blinzelten scheu von unten herauf an dem »Mann« empor, und zwei lächelten sich sogar verstohlen zu.

      Mit den Händen in den Hosentaschen blieb Formes an der Thüre stehen und versuchte, kindlich unbefangen zu lächeln. Aber er fühlte selbst, wie schlecht ihm das gelang, und aus Ärger darüber, wohl auch aus Ärger, daß er sich bei Kindern mit einem Lächeln einschmeicheln wollte, klapperte er heftig mit den Schlüsseln in seiner Tasche. Und er forderte die Kleinen mit rauher Stimme auf, weiter zu spielen, und dazu nickte er jovial und zwinkerte mit den Augen. Die Kinder begannen sich wieder zu bewegen; sie gingen umher, plauderten miteinander, aber es lastete gleichsam wie ein Druck auf ihren Herzen. Kein frohes Spiel wollte sich mehr gestalten, und Formes gewahrte mit einem Zorn, der ihn selbst betroffen machte, wie sie immer stiller und scheuer wurden, wie sie sich schließlich um den Tisch gruppierten, um mit etwas trotziger und herausfordernder Geschäftigkeit ihre Schulaufgaben zu vollenden. Formes runzelte die Stirn und blies den Atem durch die gespitzten Lippen. Er fühlte sich überflüssig und beschämt und wußte durchaus nicht weshalb. Er errötete (wie lange schon war er nicht mehr errötet!), und auch hiervon wurde ihm der Grund nicht klar. Er versuchte, kindlich mit den Kindern zu reden, aber was er sagte, war nur kindisch, so daß die vier Mädchen leise darüber kicherten und sich viel verständiger dünkten als er.

      Da gewahrte er in einer Ecke, dicht an die bunte Gardine geschmiegt, ein Kind, das ihm gänzlich fremd war. Und er war bestürzt durch den Anblick, der sich ihm bot. Ein bleiches Gesichtchen sah in süßen Ovallinien aus einer Flut glänzend schwarzer Haare hervor. Die gelbliche Blässe dieses


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