Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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Herz geschmiegt. Johanna hatte vieles gesehen, was den Schlummer ihrer Jugend zerrissen hatte, und es war Zwang von außen, der ihr das Schicksal an den Lauf der Sterne zu knüpfen befahl. Auch war es eine Zeit, vor der der Nachdenkliche in Bangnis geraten konnte: der Ozean gebar neue Länder, Ost und West gaben unerhörte Mysterien preis, das Wort Christi starb hin, als wäre es nie gewesen, über das Firmament schauerte wie ein Fieber der Gedanke der Unendlichkeit.

      Sie träumte von einem Antlitz, das im Schmerz die Züge großer Liebe annahm wie der glühende Stahl sich unter dem Hammer biegt; von einem Auge, nicht getrübt, sondern verklärt durch das Verlangen; von einer Gebärde, vertrauenswürdiger als Eide; von einem Laut aus dem innersten Innern des Herzens; von einer Gewalt, die sie ergriff und trug, Niedriges zerstampfte, Häßliches unsichtbar machte. Ihre Sinne waren geschärft für den Schmerz, den die Gelegenheit erzeugt, und für den, der das Dasein verdunkelt; für die aus Qual und Lust geborenen Versprechungen, welche die Züge der Redlichkeit heucheln, und für diejenigen, die von Gott selbst geheiligt werden und wie ewige Säulen den Bau der Seele tragen.

      Oft war ihr, als risse sie eine ungeheure Faust vom Boden empor und hielte sie so zwischen Himmel und Erde, daß sie nicht fallen konnte, jedoch fortwährend zu fallen fürchten mußte. Sie schien hoch über allen zu schweben und verging vor Angst, tief unter alle hinab zu fallen. Es kam vor, daß sie nächtelang auf den Knieen lag und für Philipp betete; aber nicht wie das Weib für den Gatten betet; Philipp stand schattenblaß vor ihrem innern Auge, fast wie ein Gespenst, noch ohne feste Gestalt, wie etwas aus weiten Fernen, was auf einer schwanken Brücke ging oder auf lautlosem Wasser glitt. Sie wünschte, daß Philipp kommen, daß er werden, daß er leben möge.

      Sie hatte soviel Finsternis in sich, daß ihr die Nacht bisweilen wie ein leuchtender Nebel erschien. Dann schoben sich alle Dinge auf einfachste Linien zusammen, alles wurde Gesicht, Steine atmeten, tote Räume redeten. Wie unfaßlich und überwältigend war es dann, auf dieses Wesen zu warten, das da wurde, aus dem Wirrsal der Kreaturen emporstieg, zugleich kristall-und pflanzenhaft. Sie selbst spürte sich wie eine Blume, ihr Menschenleib löste sich ab, und sie schaute in ihr eigenes Antlitz, das welk und schlafend schien.

      Es liegt den geringen Naturen nahe, daß sie, an das Los einer größeren gekettet, nicht an Schicksalsvollzug glauben wollen, sondern die Flucht ergreifen und zu den niedrigen Neigungen eilen, die ihnen die Herrschaft in ihrem Eigenkreise sichern.

      So auch Philipp. Den Spott seiner Leute fürchtend, bemühte er sich, der Alte zu sein, sich selbst zu überbieten, und gab acht, daß die Sache, die insgeheim seine Ehre benagte, nicht durch die Mäuler geschleift werde. Wurde nach und nach seine Hoffnung geringer, die Infantin zur Vernunft zu bringen, so verbarg er doch so gut als möglich die wachsende Ungeduld. Er dachte an Gewalt; dies hatte gute Weile, es brachte zuviel Lärm mit sich, außerdem durfte er die Meinung des Volkes nicht mißachten, dem er noch ein Fremdling war.

      Zuviel Kopfzerbrechen. Diesem Jüngling war es nicht gegeben, am Menschen Schwierigkeiten zu entdecken. Er suchte Zerstreuungen und trieb es unverhohlen mit der hübschen Anna Sterel, der Gattin eines schwäbischen Edelmannes. Seine Phantasie malte ihm das Bild einer eifersüchtigen Infantin, die sich so, schlau erdacht, in den eignen Stricken fing. Nächtlicherweise ging er mit dem Freund, dem Pfalzgrafen Friedrich, auf Abenteuer. Sie verkleideten sich und trieben allerhand Unfug.

      Der Pfalzgraf war ein Held, eine Leuchte des Rittertums, deutscher Herr, aber ganz nach dem neuen spanischen Schnitt, voller Galanterien, voller Schulden. Er war auch musikalisch und schlug den Herrn von Moncada, der behauptet hatte, die Musik mache weibisch, beim Turnier so darnieder, daß er taub wurde. Als Reiter hatte er nicht seines gleichen; es war sprichwörtlich zu sagen: er reitet wie der Pfalzgraf. Dieser Bramarbas brach in ein höllisches Gelächter aus, als ihm Herr Hughes von Melun, der die Kunde von Frau Molembais besaß, vorsichtig zuflüsterte, wie es um Philipp und Johanna stand. Er rasselte von Kopf bis zu den Füßen, er rasselte mit Kette, Schwert und Augen, als er erwiderte: »Gemach, gemach! der Herzog wird wohl wissen, wie man ein störrisches Frauenzimmer traktiert. Es ist nicht lange her, daß der muntere Philipp zu jedem Nachtessen ein warmes Weiberherz verspeist hat.«

      Nun mußte der Pfalzgraf im Frühjahre nach Deutschland zurückkehren. Philipp war traurig wie einer, der beim Wein sitzt und dem plötzlich der Wind Becher und Flasche davonträgt. Er verlor die Sicherheit und begann mißtrauisch und mit verhaltener Wut auf das Wispern zu horchen, in dem sich Herren und Diener gefielen, wenn er vorüberging.

      Das Gerede war nicht mehr zu dämmen. Ein Hoffräulein hatte das Geheimnis dem Granvella anvertraut, der hinterbrachte es dem König nach Madrid. Der König war außer sich und schickte seinen Kanzler zu Philipp, die Königin ihre erste Dame zu Johanna. Scheidung und Kerker wurden der Infantin in Aussicht gestellt; wo heilige Satzungen verletzt würden, dürfe der König das eigene Geschlecht nicht schonen. Im August mußte Don Philipp nach Italien ziehen, und der König befahl der Infantin, sich nach Medina del Campo zu begeben. Sie wurde dort gleich einer Gefangenen gehalten, ein fanatischer Dominikaner, durch ihre Ruhe getäuscht, glaubte mit wilden Predigten ihr Gewissen schrecken zu sollen und krächzte ihr wie ein böser Rabe dreimal täglich das Register der höllischen Strafen vor.

      Nach seiner Heimkehr ließ Philipp die Infantin zu sich kommen und versprach ihr aus freien Stücken, sie vor allen Verfolgungen zu schützen. Einige meinten, Furcht vor ihren Zauberkünsten hätten ihn dazu bewogen. Andere sagten, ihre Schönheit habe plötzlich seine Begierde erregt, und aus List habe er sie bestimmt, sich vorerst zum Schein zu fügen.

      Indes brachten giftige Zungen sein Blut in Aufruhr, und ihn wurmte der düstere Spott in allen Gesichtern. Dem versteckten Spaniertum war seine aufrichtige Jugend nicht gewachsen. Wie eitel ihre Blicke, wie verräterisch ihr Händedruck, und der Ton ihrer Rede so süß, daß man Honig auf der Zunge zu spüren glaubte. Eingesponnen von wirbelnd-schwüler Luft, des öftern schlaflos liegend, von Gier und Groll gewürgt, ließ sich Philipp von seinem ungelenkten Trieb zu einer Handlung niederträchtiger Art hinreißen.

      Er verabredete sich mit den beiden Kämmerlingen, Herrn von Fyennes und Herrn Florys von Ysselstein. An einem Abend drangen sie zu später Stunde durch einen geheimen Gang und, indem sie eine verschlossene Tür erbrachen, in das Schlafgemach Johannas. Mit dem gezückten Schwert stellte sich der Herzog vor das Bett und forderte die Infantin auf, sein rechtmäßig leibliches Weib zu werden; sträube sie sich aber, so müsse sie den Tod erleiden.

      Die schöngeflächten Wangen von fahlem Glanz übergossen, richtete sich die Infantin auf und bedeutete den beiden Edelleuten, das Zimmer zu verlassen. Diese dachten nicht anders, als ihrem Herrn geschehe der Willen, und gehorchten. Darauf entkleidete sich Johanna, band ein schwarzes Tuch über die Augen und sagte: »So könnt ihr mich nehmen, sehend nicht, so könnt ihr euren Wunsch befriedigen und zugleich eure Drohung wahr machen. Gott sei mir gnädig.«

      Philipp, eben noch toll und heiß, stand eine Weile nachdenklich. Dann fing er an zu zittern und zitternd, mit scheu gesenkten Blicken, verließ er den Raum. Von Stund an war er verwandelt. Im Palast verbreitete sich Sorge und Befremden. Nur für Johanna begann sich sein Körper langsam aus dem Chaos der Ungestalten zu lösen.

      Anfangs lag er noch der Jagd und dem Ballspiel ob, erschien auch noch regelmäßig bei der Tafel. Dann schloß er sich ab. Seine Hautfarbe ward grau, sein Auge trüb und krank, sein Gang gebückt. Don Diego Gotor, der Leibarzt, sagte, daß ein Fieber in seinen Knochen wühle. Es schien, als wäre er nicht mehr imstande, ein vernünftiges Gespräch zu führen; jede Aufmunterung nahm er ohne Anteil hin.

      Er gab die notwendigen Befehle schriftlich und sprach nur mit Donna Gregoria, Johannas einziger Vertrauten, die täglich zu ihm kam.

      Es ist Zauberei, sagten die Hofleute. Wenn Diego Gotor aus dem Zimmer des Herzogs trat, umringten sie ihn neugierig. Das Greisengesicht Don Diegos, das durch ein dauerndes Wechselspiel von tausend Falten und Fältchen Ähnlichkeit mit einem stürmischen Wolkenhimmel hatte, war traurig und ratlos. In einem Leben von siebzig Jahren hatte Diego Gotor das Gemüt der Menschen mit derselben Begierde erforscht, mit welcher der unscheinbare Wurm das Innere der Erde durchhöhlt.

      Er sagte: »Im Morgenland erfuhr ich, daß Jünglinge, denen der Gegenstand ihrer Liebe sich entzog, in ein


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