Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
Читать онлайн книгу.es schien mir zugleich wohnlich und warm drinnen, und als ich auf der Straße war, empfand ich eine Begierde nach diesem Gemach wie nach einem verbotenen, verzauberten Garten.
Die kurze Szene, kaum der Rede wert für einen Unbeteiligten, hatte trotzdem tiefen Eindruck auf mich gemacht. Zu Hause fand ich Bianca Spinola, welche zum Essen blieb und den ganzen Abend bei uns verbrachte; meine Mutter war bei trefflicher Laune; ich blieb schweigsam und nachdenklich. Ich mußte fortwährend an das junge Fräulein denken, und das nicht vielleicht mit den Gedanken von Mann zu Weib. Es war so, daß sie vor meinem inneren Auge nicht entwich und ich mich quälte, zu ergründen, was mir an ihr, seltsam genug, ein für alle mal unergründlich schien. Noch jetzt, wenn ich die Augen schließe, sehe ich ihren graziösen, müden Gang. (Sie ging, als ob sie wüßte: so wie ich muß man gehen, aber wer wird darauf achten?) Ihre Verachtung der Welt schien groß, aber kindlich. Sie hatte etwas Bemitleidenswertes und zugleich Damenhaftes, etwas Wiegendes und Achtloses. Ihre Augen, voll Trauer und Ironie, zeigten zwei reine Augensterne wie schöne braune Perlen in gefrorener Milch.
So schwebt sie mir vor, und was ich weiterhin erfuhr, erhorchte und herausspionierte, will ich hier gleich sagen. Nicht nur als neugieriger Tor wollte ich wissen, sondern was meinen Vater anging, ich nahm es immer stärker wahr, betraf mich tief. Um seiner würdig zu werden, hatte ich mich in den letzten Monaten mit einem bunten Studieren abgegeben. Auf eigne Faust lernte ich fremde Sprachen, trieb allerlei Wissenschaft, ohne Plan und Kraft, aber mit mehr Erfolg, als man bei einem Menschen wie mir vermuten sollte. Doch die größte Ausdauer zeigte ich bei der Erforschung des Verhältnisses zwischen meinem Vater und Henriette, eben jenem Mädchen, das ich bei ihm und vorher schon im Korridor gesehen hatte. Den leisen Andeutungen entnahm ich Wissenswertes; Ohr und Auge waren geschärft und einmal, gleichsam als Belohnung kam es zwischen mir und meinem Vater zu einer wirklichen Plauderstunde. Er hatte Zutrauen zu mir gefaßt; das wußte ich, oder ich weiß es jetzt; denn damals gab ich mir nicht Rechenschaft über die Dinge, sondern nahm sie nur mit Glut in mich auf.
Eine flüchtige Leidenschaft hatte die Ehe meines Vaters geknüpft. Den damals schon Sechsundfünfzigjährigen hatte eine kühle und elegante Dame rasch entflammt. Doch bald bröckelte aller Schmuck von jener Frau ab wie von einer schlecht getünchten Wand. Sie war zäh in ihrem Dünkel und besaß eine unverwüstliche Einfalt. Ein bösartiges Schaf und doch wollte sie herrschen, sagte mein Vater unverhohlen von ihr. Er selbst war für die Ehe wie Feuer für Stroh; nach drei Jahren führten die Unverträglichkeiten zum Bruch, und die Frau ergab sich den Pfaffen. Mein Vater führte sein Leben weiter, ungestümer noch, als ob ihn der Ehekampf erregt hätte, aber eines war, das ihn sogar der Frau verpflichtete: Henriette. Er liebte diese Tochter mit der ganzen unbeschreiblichen Gewalt seines Temperamentes, und wenn ich es recht bedenke, war es etwa so, daß man sein Gefühl für Henriette und das für seine übrigen Kinder in die zwei Schalen einer Wage legen konnte, und jenes einzige wäre schwerer gewesen als die andern alle. Auch mich liebte der Alte, auch den blonden Ingenieur, den ich kannte, auch die drei Töchter aus Prag, wie er sie hieß, auch den überseeischen Kapitän oder den hübschen lebhaften Studenten, der einer Frühlingsliebe am Meer entstammte, aber wir alle waren gegen Henriette wie blasse Sterne gegen den Mond. Wie wunderlich, daß aus der einzigen Verbindung, die sich in Alltäglichkeit und Haß verlor, sein Liebstes kam.
Da er ihre Erziehung nur bis zum dritten Lebensjahr überwachen konnte und das Kind der Frau verbleiben mußte, hatte in der ersten Trennungszeit seine väterliche Sorge alle andern Interessen vertilgt. Er konnte nicht täglich das Haus einer Verabscheuten betreten, welche ihrerseits das nicht sehr geliebte Kind dem Wüstling, wie sie seinen Vater nannte, entfremden wollte. Der Vater bestach die Dienstboten, ja er wußte es durchzusetzen, daß eine ihm ergebene Person das Mädchen völlig in ihre Obhut bekam. Diese würdige Frau Jakobea führte Tag für Tag Henriette in die Wohnung ihres Vaters.
Tag für Tag also, seit zwölf Jahren, hatte mein Vater eine paradiesische Stunde in dem kleinen Gemach, das nur für ihn und Henriette war, und welches gemütlich und heimlich auszustatten er nicht müde wurde. Kein Kunstgegenstand war ihm zu teuer, um dieses oder jenes Eck zu schmücken, und mit Geschmack und Phantasie begabt, gestaltete er diesen Raum zu einem Werk gleich einem Künstler, der aus Sehnsucht nach Vollkommenheit seine letzte Arbeit bis ans Grab schleppt. In den Kinderjahren Henriettes spielte der alte Mann mit ihr und vergaß Zeit, Arbeit und Vergnügen darüber. Das frühkluge Mädchen fand selbst dem Spiel gegenüber eine Überlegenheit, welche komisch und reizvoll wirkte. Wenn auch nichts Starkes in ihr war, so doch etwas Sanftes, im Sanften Tüchtiges (da sie doch wußte, wie angenehm es war, sanft zu sein). Indem sie das Spiel beiseite schob, spielte sie, aber schon frühe wußte sie aus Klugheit für Ernstes ernst zu bleiben. Ihr Vater wollte sie aus den Reihen des Geschlechts erheben, wollte sie gleichsam mit Weisheit und Voraussicht kränzen, eben mehr zu Schmuck als zu Nutzen. Er selbst, in allen Künsten der Verführung Meister, wollte sie vielleicht auch gegen einen jüngeren Hilperich schützen. Ich erfuhr späterhin, daß er schon in ihrem zehnten Jahr den Storch aus ihrer Phantasie vertrieb, daß er ihr langsam, mit Nachdruck und Würde das Menschlichste nahe brachte. Nichts Verschleiertes also gab es mehr; er gedachte sie zu ehren durch Vertrauen und zu beruhigen durch Wissen. Schon mit dreizehn Jahren kam Henriette allein, und schwer ist es zu sagen, was sie im tiefen Grund des Herzens zum Vater trieb. Er saß stets lange vor ihrem Kommen im Henriettenzimmer und wartete wie auf eine Geliebte. Sie kam, erregt durch die Heimlichkeit ihres Besuches (ach, das hatte mein Vater nicht ermessen!), lächelte, plauderte, fragte und urteilte, war plötzlich müde und verstimmt, kopfhängerisch und von entzückendem Pessimismus. So wuchs sie heran und teilte sich zwischen dem Haus des Vaters und der Mutter. Ihr ganzes Wesen wurde so entzwei geschnitten.
Das Ende des Jahres nahte heran. Zu Weihnachten schenkte mir mein Vater einen wundervollen spanischen Mantel, den er einst in Sevilla gekauft. Er war mit roter Seide gefüttert und aus dem kostbarsten schwarzen Tuch gefertigt, das ich je gesehen; wenn man ihn auf die Erde breitete, war er so groß wie ein Zeltdach. Als ich mit diesem Geschenk freudestrahlend durch das Vorzimmer ging, stürzte Mittelmann auf mich los, der noch immer irgendwo da herumlungerte. Mit kreideweißem Gesicht stellte er atemlose Fragen an mich, ob er etwas geschenkt bekomme, was es sei und wie es aussehe. Ich war sehr unfreundlich gegen ihn,aber ich hätte es vielleicht nicht sein sollen. Der arme Mensch war immer hungrig und machte der alten Bedienerin den Hof, um ein paar Bissen zu ergattern. Dabei ging er mit seinen Sohnesansprüchen an Hilperich umher wie mit einem sicheren Kapital, und was ihn in seinem Glauben so befestigte,war nur das Gewäsch eines Anverwandten, der einst im Hilperichschen Hause Aufwärter gewesen war.
Mein Vater ging in diesen Tagen mit einer festlichen geheimnisvollen Miene herum. Er diktierte mir einen Aufsatz, der den merkwürdigen Titel führte: »Die Erziehung zur Liebe«, und von dem ich nicht das mindeste verstand. Zwei Tage vor Neujahr wurden wir fertig. Es war schon dunkel, mein Vater stand lange Zeit am Fenster und blickte auf die schneeblaue Straße. Plötzlich wandte er sich heftig um und fragte scharf: Na, willst du kommen? Ich wußte nicht, was er meinte, und blieb still. Er stampfte zornig auf den Boden, lachte verächtlich, doch bald wurde er sanft und streichelte mir die Wangen. Ich hatte dabei meist ein schüchternes, fast furchtsames Gefühl; denn wenn er liebevoll tat, war er oft gefährlich. Doch erklärte er mir kichernd, daß es am Sylvesterabend »etwas gäbe«, und damit mußte ich zufrieden sein.
Am folgenden Abend zog ich meine besten Kleider an und war voll Erwartung. Jedenfalls ist Henriette da, dachte ich mir; denn ich wußte, daß ihre Mutter sich seit Wochen in einem Kloster aufhielt und das junge Mädchen die ohnehin gewohnte Freiheit so in noch höherem Maße genoß. Ich sah in Henriette durchaus keine Schwester, eher eine ganz Fremde, aber liebe Fremde. Als ich hinkam, war Henriette schon da, auch eine alte, vornehme Dame mit glatten, silberweißen Haaren, die in einem Lehnstuhl saß und mich spöttisch anlächelte. Mein Vater schalt mich, weil ich zu spät gekommen. Ich schämte mich, denn ich hatte es für sehr vornehm gehalten. Stolz und vornehm war ich mit meinem spanischen Mantel durch die Straßen geschritten.
Wir saßen im Henriettenzimmer, und ich wagte mich kaum zu bewegen, so sehr gefiel mir alles, was ich erblickte. Herrliche Teller und Gläser schmückten den weißen Tisch; von der Decke hing ein zwölfarmiger Leuchter herab, ganz von Gold, wenigstens schien es mir so. Die Fenster waren mit dunkelblauem Stoff verhängt, und an den Wänden hingen die schönsten Bilder. Henriette trug