Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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in Bewegung. Der Herr kam mir auf demselben Trottoir entgegen, und ich erkannte den Fabrikanten aus Berlin. Er trug einen Zylinder und rote Handschuhe. Sein fettes Gesicht hatte einen angestrengt überlegenden Ausdruck, und seine Lippen waren wie zum Pfeifen gespitzt. Niedergeschlagen, ohne recht zu wissen, weshalb, wandelte ich noch ziemlich lange Zeit auf den Straßen herum. Als ich dann wieder den Ballsaal betrat, erfuhr ich, daß Westermarks schon nach Hause gefahren seien. Dies beschwichtigte mich einigermaßen.

      Als ich am folgenden Nachmittag zu Aurora kam, fand ich , sie lesend. Sie hatte unter alten Sachen gekramt und ein Stammbuch aus ihrer Mädchenzeit entdeckt. Ich beugte mich über sie und sah, daß ihre Blicke auf einen Vers gerichtet waren, der in großväterischen Schriftzügen ein vergilbtes Blatt bedeckte. Er lautete:

      Mit einer Blume zu spielen, ist dir erlaubt,

       und sie zu pflücken.

       Mit einem Herzen, das du geraubt,

       sollst du nicht tücken.

       Vergiß nicht, o Mann, o Weib,

       Herz, das sich schenkt, ist Gottes Leib.

      »Ein hübscher Spruch«, sagte ich. Aurora schaute mich geistesabwesend an. Sie ergriff meine Hand und hielt sie fest. Ihre Finger waren heiß. Ihr Wesen war so gemsenhaft scheu und so bedrängt, daß ich den Augenblick sehnlich herbeiwünschte, wo ich ihr zurufen konnte: du bist erlöst. Sie hatte viel Gesichter und jeden Tag zeigte sich mir ein neues. Hätte sie nur ein einziges Gesicht besessen, so hätte ich vielleicht ergründen können, was in ihr vorging; aber von der hinschmelzenden Schwermut bis zur Trunkenheit des Vergnügens alle Verwandlungen mitzuerleben, hatte ich kein Talent. Ich hätte lernen müssen zu sehen, bevor ich sie liebte.

      Endlich brachte ich es über mich, sie zu fragen, wo sie gestern wählend des Balles gewesen sei. Ihr Gesicht verfinsterte sich erschreckend. »Bedeutet dies Mißtrauen?« flüsterte sie langsam. Ich schüttelte den Kopf. »Hast du denn gar keine Geheimnisse?« fragte sie in derselben düstern Weise. »Gar keine«, antwortete ich. »Aber ich,« fuhr sie fort, »ich habe Geheimnisse, und auch die sollst du lieben. Bin ich nicht mit meinem ganzen Dasein so und soviel tausend Zuschauern offenbar? Wenn ich kein Geheimnis hätte, müßte ich sterben. Übrigens magst du wissen,« fügte sie hinzu, »daß gegenwärtig ein ehemaliger Freund von mir in der Stadt weilt, ein Mensch, dem ich einst viel zu verdanken hatte, der aber meine Dankbarkeit jetzt ausbeutet. An Bedrückern hat es mir nie gefehlt. Aber von alledem sprechen wir ein andermal.« »Ein andermal?« versetzte ich mit stockender Stimme. »Ja, ein andermal«, bekräftigte sie mutig oder auch gedankenlos. Sie näherte sich mir, legte ihre Hände auf meine Wangen und flüsterte: »Ach, wir werden viel beieinander sein müssen, damit ich dir alles, alles sagen kann.« So verstand sie es, mich zu beunruhigen und mich sicher zu machen mit ein und derselben Rede.

      Als es zu dunkeln begann, gingen wir gegen den Fluß hinaus spazieren. Es war dies ein einsamer Weg, wo selten jemand zu sehen war. Da wir uns am folgenden Tag nicht sehen wollten, verabredeten wir alle Einzelheiten des mörderischen Vorhabens. Aurora gab mir den Schlüssel zur Gartenpforte. Der Hund, der während der Nacht im Garten frei war, brauchte keine Sorge für mich zu sein, denn das Tier kannte mich, die beiden Jagdhunde wurden nachts in den Verschlag neben den Keller gesperrt. Den Hausschlüssel könne sie mir nicht geben, sagte Aurora, es sei nur ein einziger vorhanden, und den habe ihr Mann. Sie wollte an der Rückseite der Villa das Flurfenster offen lassen, dort sollte ich einsteigen und mich der Stiefel entledigen, bevor ich ins Schlafzimmer des Majors ging, das er unversperrt zu lassen pflegte. Daß sie keinen Hausschlüssel besaß, war eine Lüge, davon konnte ich mich selbst überzeugen, ehe zweimal vierundzwanzig Stunden vergingen. Den Grund dieser Lüge vermag ich allerdings auch jetzt noch nicht einzusehen. Vielleicht wollte sie die Vorbereitungen abenteuerlicher machen, oder, was wahrscheinlicher ist, sich vor Überraschungen sicherstellen. Dies schlug fehl durch meine aufrichtige Entschlossenheit.

      Ich gestehe, daß mich schauderte. Aber ich war ja schon verdammt durch den Willen. Die Ausübung war nur noch eine mechanische Folge für mich. Aurora verwunderte mich dann und wann durch eine Miene des Staunens und eine mir unerklärliche, neugierige Spannung. Während des Rückwegs jedoch blieb sie bei einer Weide stehn, strich mit ihren Händen den Schnee von einem Ast und warf sich plötzlich, erst lachend, dann weinend an meine Schulter.

      In welcher Verfassung ich den nächsten und den übernächsten Tag verbrachte, ist zu beschreiben unmöglich. Wozu sollte ich auch dabei verweilen. Erst im Gefängnis habe ich erfahren, daß der Major gerade an jenem Sonntag sein Geburtsfest feierte und daß ihn Aurora mit einer neuen Jagdflinte, einem neuen Portefeuille und einem Paar von ihr selbst gestickter Pantoffeln beschenkte. Gleichfalls habe ich erfahren, daß sie ihm, wie das Stubenmädchen aussagte, schon am Morgen die Erlaubnis abschmeichelte, den Abend außer Haus verbringen zu dürfen, bei einer Freundin, die aus Stettin gekommen sei. Um zwei Uhr nachmittags schickte sie den Burschen des Majors mit einem Brief in meine Wohnung. In diesem Brief standen nur die Worte: »Aufschieben. Gründe mündlich.« Ich bekam aber den Brief nicht mehr in die Hand, und das war ein Unglück. Ich war um zwölf Uhr zum letztenmal in meinem Zimmer gewesen, hatte Zivilkleider angelegt, den Revolver zu mir gesteckt und war über Land gegangen. Ich hatte mir vorgenommen, nicht mehr nach Hause zurückzukehren, denn mir graute vor den vier Wänden. Dies war, wie gesagt, ein Unglück. Die schrecklichste Unruhe trieb mich draußen über Landstraßen, durch Wiesen, Äcker und Wälder. Ich war todmüde, als ich spät abends in die Stadt zurückkam, aber mein Kopf war klar. Um dreiviertel zwölf stand ich vor dem Gartentor der Villa. Im Zimmer des Majors brannte kein Licht mehr. Ich wußte, daß er sich täglich um elf Uhr zur Ruhe begab, denn des Morgens war er der erste Offizier in der Kaserne. Ich sperrte die Gartentür auf, und als ich nach der Rückseite des Hauses ging, folgte mir der große Bernhardinerhund mit freundlichem Wedeln seines Schweifes. Als ich das bezeichnete Fenster, entgegen der mit Aurora getroffenen Verabredung, fest zugeschlossen fand, stutzte ich. Eine Weile war ich ratlos. Ich zog aus dem Umstand nicht den vernünftigen Schluß, den ich hätte ziehen sollen. Ich beschloß zu tun, was die Diebe und Einbrecher tun. Mit der pelzbehandschuhten Hand preßte ich so lange an das Glas, bis es sprang. Die Jagdhunde im Verschlag fingen an zu bellen, da sich aber sonst nichts regte, entfernte ich mit Bedachtsamkeit die Scherben, öffnete den Innenriegel und stieg ein. Ich hatte Gummisohlen an den Stiefeln und stieg unter dem fortwährenden Gekläff der Hunde die Treppe hinan bis zum Schlafzimmer des Majors, in das ich ohne zu zögern eintrat. Es war eine ziemlich stürmische Mondscheinnacht, und obgleich der Mond häufig durch Wolken verdeckt wurde, fiel doch durch das unverhängte Fenster Licht genug, daß ich den Major sehen konnte. Er hatte eine Mütze auf dem Kopf und schnarchte laut. Er erschien mir sehr dick. Dicke Menschen waren mir von jeher zuwider, und in diesem Augenblick empfand ich nur die rein tierische Abneigung gegen den Mann. Als ich neben das Bett trat, gewahrte ich auf dem Nachtkästchen ein Buch, und ich konnte im Mondlicht ohne Mühe den Titel auf dem bunten Umschlag lesen. Es waren »Lederstrumpfs Erzählungen«. Einfältig und lächerlich kam es mir vor, daß ein Soldat in den Jahren des Majors solches Zeug zur Abendlektüre wählte; aber diese Betrachtung ließ mich nur um so mehr spüren, wie schändlich es sei, einen Mann im Schlafe zu töten. Einer derartigen Regung fühlte ich mich nicht gewachsen, ich legte meine linke Hand auf die Schulter des Majors, in der rechten hielt ich den Revolver. Der Major wachte sofort auf und sah mich stier an. »Nehmen Sie einen Revolver,« sagte ich kalt, »wir müssen uns auf der Stelle schießen.« Seine Augen rollten furchtsam im Kreis, und es war, als verstehe er mich nicht. Ich wiederholte meine Worte. Er fing an zu murmeln; ich schnitt ihm die Rede ab und wiederholte meine Worte. Er schüttelte sich ein wenig und sprach jetzt deutlich, ich hörte nichts und wiederholte abermals meine Worte. Plötzlich sprang er auf, die andere Seite des Bettes war ebenfalls wandlos, er taumelte aus dem Bett und schrie mit heiserer Stimme um Hilfe.

      Da schoß ich. Ich schoß zweimal. Er streckte gleich darauf die Arme in die Luft und stürzte zu Boden. Ich näherte mich ihm und sah, daß er tot war. Es rann mir eisig durch alle Glieder. Ich verließ das Zimmer und ging über den Korridor hinüber zu Auroras Schlafgemach. Sie mußte die Schüsse gehört haben. Was jetzt? fuhr es mir durch den Kopf; das beständige Geheul der Hunde machte mich rasend. Ich hatte mir das Nachher ganz und gar nicht vorgestellt, aber daß ich mich nun gemütsruhig entfernte, um zu warten, bis am Morgen die Untat, als von einem Unbekannten verübt,


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