Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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Duldung in den Augen, und so hingeschmolzen vor meinem Wort und schlechten Trost, daß ein Tier weich geworden wäre. Kann man das noch Verstellung oder Heuchelei nennen? Ist dies nicht vielmehr eine böse zauberische Kraft, für die es noch keinen Namen gibt?

      Ich will es nicht versuchen, meinen jammervollen Zustand zu schildern. Ich wandelte herum wie ein Vergifteter, auch schmeckte mir kein Bissen mehr. Daß ich liebte, war kein Glück mehr für mich, daß ich geliebt wurde, spürte ich nur wie im Traum. Wie ich es fertigbrachte, mich täglich anzukleiden, zu waschen, zu frühstücken und den Obliegenheiten meines Berufs zu genügen, ist mir heute noch ein Rätsel. Offenbar gibt es irgendeine Maschine in unserm Innern, welche die alltäglichen Pflichten gewohnheitsmäßig erfüllt. Eines Tages war ich bei meiner Mutter zu Tisch, und da ich alle Speisen unberührt ließ, stellte sie mich plötzlich in ernstem Ton zur Rede. Sie sagte, sie wisse alles; sie beschwor mich, von Aurora zu lassen und nannte sie eine gefährliche Kokette. Ich packte ihre Hände, wie man die Fäuste eines Gegners packt, der zum Schlag ausholt. »Auch du,« rief ich, außer mir vor Wut und Enttäuschung, »auch du gehst zu den Verleumdern. Du weißt ja nichts von ihr. Ach, wenn du wüßtest, wenn du wüßtest, es soll sich mir nur einer stellen! nur einmal Aug’ in Auge! Mich dürstet ja danach, sie vor die Pistole zu bekommen, die feigen Hunde!« Meine Mutter war erschrocken, sie umarmte mich schluchzend und sagte: »Daß du den Appetit verloren hast, mein Junge, ist für mich das beste Zeichen, daß deine Leidenschaft verderblich und unnatürlich ist.«

      So zeigt sich einem jeden die Welt anders; dem einen von der Herzensseite, dem andern von der Magenseite. Aber meine Mutter hatte Recht. Dennoch vermied ich es in der Folge, sie zu besuchen, und vom November bis zum Februar sah ich sie nur zweimal. Auch mit andern Menschen sprach ich nicht mehr als das Notdürftigste; ich gab jeden Verkehr auf und stellte Aurora meine freie Zeit völlig zur Verfügung. Nachdem ich mich lange in einem Zustand der Zerschmetterung befunden hatte, begann ich die Unhaltbarkeit der Lage zu spüren, um so mehr, als meine finstere Apathie in Aurora sichtlich eine gewisse Ungeduld erweckte. Ich sagte zu ihr, ich müsse mich mit dem Major schlagen. Sie erwiderte mit der ihr eigenen brennenden und faszinierenden Ruhe: »Wie? Du willst dein Leben gegen das seine in die Wagschale werfen? Ein Zufall, und er bleibt Sieger, und ich, verlassener als je, bin nicht nur auf seine Gnade angewiesen, sondern habe auch noch dich verloren. Bevor du mir das antust, schieß’ ich mir selber eine Kugel in den Kopf, das sollst du wissen.«

      Ihre Beredsamkeit war groß. Es ist von jeher meine Schwäche gewesen, daß ich gegen beredsame Naturen schnell unterlag. Ich faßte den Plan einer Flucht. »Fliehen wir!« schlug ich ihr vor, »ich bin reich, laß uns übers Meer fahren und ein neues Leben anfangen.«

      Sie schüttelte den Kopf. »Fliehen heißt, mich in den Augen der Welt für schuldig und ungetreu bekennen,« sagte sie. »Heutzutage ist die Welt zu klein für solche Wagnisse. Wer kann mich zwingen oder mir es als nützlich einreden, daß ich wie ein Dieb in der Nacht ein Haus verlassen soll, in dem man mit Füßen auf mich getreten ist, in dem man mich bespien und besudelt hat? Nein, Treunitz, das kann ein stolzer Mann nicht von mir wollen.«

      Da stand ich wie ein Schüler. »Was wollen wir also tun?« fragte ich.

      »So geben wir uns doch auf!« rief sie trotzig und wie ermüdet. Ich schwieg, muß jedoch sehr blaß geworden sein, denn sie sah mich an, erst besorgt, dann nachdenklich, düster und kalt. An jenem Tag verstand ich den Blick noch nicht. Der nächste Tag war Allerseelen. Ich war gegen Abend gekommen, und Aurora bat mich dringend, zu Tisch zu bleiben. Ich konnte es ihr nicht verweigern, obwohl mir vor dem Beisammensein mit dem Major graute. Ich hatte dienstlich mit ihm nichts zu schaffen; in der Stadt sah ich ihn fast nie, von den Veranstaltungen der Offiziere hielt ich mich fern; daß ich dennoch sein Haus betrat, dennoch an seiner Tafel speiste, fähig war, ihn zu begrüßen, ihm zuzuhören und zu antworten, dies alles müßte mich als einen hinterhältigen und niedrigen Charakter denunzieren, wenn es nicht durch die Macht, die Aurora über mich ausübte, einigermaßen erklärt würde. Ihre Worte hatten eine solche Gewalt über mich, daß in meinem Kopf gar keine Überlegung mehr war, wenn sie einmal gesprochen hatte. Da ich sie selber dulden sah, glaubte ich es unserer Liebe schuldig zu sein, mich ebenfalls zu beherrschen und alles zu versuchen, um ihr Los zu erleichtern. Was für Kämpfe und Leiden mich dies kostete, davon will ich nicht reden.

      Mit dem Augenblick, wo der Major das Zimmer betrat, pochte mir das Herz vor Haß, Ingrimm und Verachtung bis in den Schlund hinauf. Ich gewahrte ihn nur wie durch Schleier, jede seiner Bewegungen erregte mir Ekel, bei jedem seiner Worte zuckte ich zusammen; meine Stimme klang heiser, und wer weiß, wozu es gekommen wäre, wenn ich nicht Auroras Blick wie einen geisterhaften Bann beständig auf mir ruhen gefühlt hätte. Mitten in einem belanglosen Gespräch unterbrach sich der Major, stocherte mit der Gabel im Salat, führte ein Blättchen an die Lippen, indem er daran leckte, und warf dann Besteck und Serviette mit einem Fluch auf den Tisch. »Kreuzmillionenschwerenot,« schrie er, »wie oft soll ich denn noch sagen, daß ich den Salat mit Zitrone und nicht mit Essig angemacht will! Was haben denn die gottverdammten Frauenzimmer sonst zu denken? Bin ich denn der Niemand im Hause, daß man Schindluder mit mir treibt? Wahrhaftig, eine Lammsgeduld gehört dazu.«

      In diesem rüden Feldwebelton, ging’s noch eine Weile weiter, bis er aufsprang, die Tür hinter sich zudonnerte und hinausstürzte.

      Ich war vollkommen perplex. Das Blut stieg mir langsam zu Kopf, und ich blickte Aurora schweigend an. Sie saß da und lächelte wie eine Frau, die es endlich zur Augenscheinlichkeit gebracht hat, was sie sonst nur insgeheim erleidet. »Dies ist ein Affront,« murmelte ich, »ich werde ihn zur Rechenschaft ziehen.« Aurora lachte. »Zur Rechenschaft ziehen? Einen Unzurechnungsfähigen? Was fällt dir ein!« erwiderte sie herrisch. »Abrechnen mit einem Vieh!«

      Ich zitterte vor innerem Frost an allen Gliedern. Und wie mich nun Aurora so anschaute, mit blitzendem Blick, mit geschlossenen Lidern und mit einer unbeweglichen Stirn, da war es mir, als ob mein Herz in siedendes Wasser getaucht würde, und, Gott möge mir verzeihen, ich fing an, jenen Blick zu verstehen, er ging auf in meiner Brust wie das Saatkorn in gedüngtem Boden. Es war mir klar, es war ein unabwendbarer Beschluß, daß der Major von meiner Hand sterben müsse. Aurora zu retten, war mein einziger wütender Drang, ich fühlte meine Liebe zu ihr so ungeheuer, daß ich die wenigen Worte, die alles entschieden, trotz des Flüsterns mit einer Festigkeit hervorbrachte, als ob dieses Fürchterliche eine alltägliche Angelegenheit sei. Aurora, der aus weitoffenen Augen die Tränen über das Gesicht liefen, hörte plötzlich zu weinen auf, ihre linke Hand bebte mir entgegen, ich ergriff die Hand und bedeckte mein Gesicht damit.

      Der Major kam nach einer Viertelstunde zurück und bat, anscheinend sehr betreten, um Entschuldigung, die ich meinerseits kalt quittierte. »Aurora,« rief er gezwungen scherzend, »komm einmal zu mir.« Sie erhob sich sogleich und trat eilig vor ihn hin. Diese Bewegung sklavischer Unterwürfigkeit und Angst rührte mich tief. Daß sie wahrscheinlich nur für mich berechnet war, ahnte ich ja nicht. Wie Napoleon, wenn er einen seiner Günstlinge wieder versöhnen wollte, zupfte der Major seine Gattin am Ohrläppchen und lachte. Unter irgendeinem Vorwand verabschiedete ich mich alsbald.

      Ich war jetzt bei ziemlich kaltem Blut, und während der ganzen Nacht überlegte ich meinen Plan. Am nächsten Vormittag um elf Uhr traf ich Aurora, wie oft bei schönem Wetter, im Stadtpark. Ich vermochte, mit ihr davon zu sprechen. Es fiel mir auf, daß sie dabei fortwährend mit niedergeschlagenen Augen lächelte. Dies dünkte mich sehr kurios. Ich wußte nicht, war es Unglaube, Befriedigung, Gedankenlosigkeit oder irgendeine Träumerei. Der Ausdruck ihrer Züge rief eine dunkle Erinnerung in mir hervor. Erst viel später entsann ich mich, daß vor Jahren, als ich in Basel war, das Bild der Herzogin vom sogenannten Basler Totentanz eine lange nicht verwischbare, fast unheimliche Wirkung auf mich ausgeübt hatte. Es war genau dieses süß-friedsame Gesicht, in dem etwas Wildes und Kindisches war, eine zerstreute und lustige Grausamkeit und ein Lächeln, als ob der Tod nur ein Schreckmittel für Schwachköpfe sei.

      Nun, was half’s; ich war darum nicht weniger verstrickt, der Gedanke wurde uns vertraut. Er erweckte kein Schaudern mehr in mir. Er nahm Gestalt an, und ich war von ihm besessen. Gleichwohl quälte mich Auroras Verhalten. Wenn wir eine Zeitlang ernst über das Vorhaben gesprochen hatten, klatschte sie plötzlich in die Hände und lachte, als ob es sich um ein Märchen


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