Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
Читать онлайн книгу.du nicht zu, daß das ein Geschöpf ist, wie es so vollendet nur aus der Meisterhand Gottes hervorgehen kann?« Und als er nur mechanisch nickte, fügte ich hinzu: »Ich hoffe, daß du mich nicht mißdeutest, und daß du meine Worte so auslegst, daß wir uns auch weiterhin gerade in die Augen sehen können.«
»Mehr brauche ich nicht zu wissen«, entgegnete er ernst und anscheinend überrascht. Er besuchte von da an das Westermarksche Haus nicht mehr.
Warum ich die Art meines Verhältnisses zu Aurora vor dem Verdacht eines Freundes schützen zu müssen glaubte, weiß ich kaum. Ich hatte keinen Zweifel an ihrer Ehre und Reinheit. Aber das namen-und gesichtslose Hörensagen, unter dem ihr Ruf litt, war eine Qual sondergleichen für mich. Ich hätte mich gerne gestellt, aber wie durfte ich dies, wer hätte mir das Recht dazu eingeräumt? Ein Blick, ein zweideutiges Lächeln, ein Achselzucken, ein irrlichterndes Wort dann und wann, es überlief mich kalt, wenn ich dessen nur nachträglich gedachte; ich fand mich beleidigt und geschmäht, bald genug bekam ich zu spüren, daß das verleumderische Geschwätz auch schon meinen eigenen Namen bespritzte; aus dem Bewußtsein meiner Schuldlosigkeit, und, da Aurora sich mir gegenüber noch mit keinem Hauch etwas vergeben hatte, zog ich den Schluß, daß all die andern Anwürfe und Gerüchte ebenso trugvoll, lügnerisch und boshaft seien wie dieses. Traurigkeit und Ingrimm nahmen von mir Besitz, ich sonderte mich ab von den Kameraden wo es nur irgend anging, und hatte ich vorher schon für unliebenswürdig gegolten, so erklärte man mich jetzt für abstoßend hoffärtig, oder mildesten Falls für einen finstern Einsiedler. Ja, ich haßte sie, diese still beieinander hockenden Aufpasser, Schlimmredner und Giftkocher, diese gutangezogenen Megären und unbezahlten Spione, die ihrem Dünkel und ihrem Müßiggang kein unterhaltsameres Spiel wußten, als die nie wieder gutzumachende Besudelung eines schönen Herzens und edlen Charakters, denn so erschien mir Aurora.
Indessen wucherte das Grübeln über die furchtbaren Andeutungen, die sie mir in bezug auf ihr eheliches Leben getan, heimlich in mir fort. Ich wagte sie nicht mehr daran zu erinnern, ich wollte nicht mehr fragen, ich glaubte zartfühlend zu sein, doch meine Seelenruhe kam dabei schlecht weg. Tausend Vermutungen erwog ich, bis in die Träume hinein verfolgte mich das haltlose Denken, und so geschah es denn doch, daß ich einstmals, wir saßen im oberen Gesellschaftszimmer vor der Terrasse einander gegenüber, daß ich die Frage stellte, mitten in eine ruhende Minute hinein, in der mir zu Sinn war, als hörte ich das Ziehen der Wolken am herbstlichen Himmel. Aurora erschauerte; sie sah mich eine Weile zornig an, plötzlich stand sie auf, kehrte sich mit dem Gesicht gegen das Fenster, und ich gewahrte am Zucken ihrer Schultern, daß sie weinte. Während ich ratlos dasaß und meine Taktlosigkeit verwünschte, hörte ich die säbelrasselnden, plumpen Schritte des Majors auf der Flurtreppe. Aurora wandte sich um, mit erschrockenen Augen starrte sie gegen die Türe und flüsterte: »Ich kann ihn jetzt nicht sehen.« Damit verließ sie das Zimmer. Der Major trat ein und zeigte ein verwundertes Gesicht, als er mich allein sah. Er begrüßte mich mit zusammengekniffenen Augen und begann mit mir ruhig über dienstliche Angelegenheiten zu sprechen. Meine Nerven waren bis zur Unerträglichkeit gespannt, ich hörte kaum, was er sagte, und ich verfolgte seine Schritte und Bewegungen mit einem beunruhigten und haßähnlichen Gefühl. Plötzlich fragte er mich, wo seine Frau sei. Ich antwortete, sie sei vor wenigen Minuten hinausgegangen. Sein Gesicht verdüsterte sich: »Sie macht mir viel Kopfzerbrechen mit ihren Launen«, sagte er seufzend, indem er sich schwer in einen Sessel fallen ließ. »Ich sollte mich wirklich mehr um sie bekümmern,« fuhr er fort, »aber, lieber Treunitz, Sie haben keine Ahnung, was für Plackereien ich ausgesetzt bin; es kostet mich Überwindung genug, sie nichts merken zu lassen, aber wer kann immer heiter sein, wenn’s einem an den Kragen geht? So eine Frau will nichts als eitel Wonne um sich sehen; ich kann’s ihr nicht verdenken, sie ist jung. Mag sie sich nur amüsieren, ich lege ihr keine Balken über den Weg. Doch wie gesagt, die Launen, die Launen!«
Was er mit den Launen meinte, konnte ich mir nicht enträtseln. Es war mir eine Pein, ihn zu hören, andrerseits rührte mich sein Wesen, und er erschien mir durchaus nicht als böse. Ich wußte nur unbestimmte Redensarten zu erwidern. Meine Situation kam mir ebenso bedrückend wie die seine kläglich vor. Ich verabschiedete mich von ihm. Als ich über den Korridor schritt, stand Aurora neben der Treppe. Sie winkte mir, ihr zu folgen. Ich trat in ein kleines, boudoirähnliches Gemach. Aurora blickte mich forschend an. Etwas Trauriges, aber nicht bloß Trauriges, sondern auch Wildes, eine Art von Außersichsein in ihren Zügen brachte mich vollkommen um den Verstand. Plötzlich umschlangen mich ihre Arme, und ich fühlte ihre Lippen auf den meinen. »Geh, geh«, stieß sie dann durch die verpreßten Zähne hervor. Ich ging.
Mir brannte Hirn und Herz. Nie mehr über diese Schwelle, rief es in mir. Ich scheute mich, den Menschen in die Augen zu blicken. Und doch war ich glücklich; ich hatte ihre Schultern gespürt, ihre Arme, ihren Mund. Ich begab mich nach Hause, lief wie toll in meinem Zimmer auf und ab, ging wieder fort und stand in der Nacht, ich weiß nicht wie lange, vor der Villa des Majors, zu den schwarzen Fenstern emporstarrend. Die Stunden bis zum andern Nachmittag schlichen qualvoll hin. Als ich zu Aurora kam, waren Gäste da. Sie scherzte und plauderte wie gewöhnlich. Dies war mir unbegreiflich. Erst um sechs Uhr waren wir allein. Mit rauher Stimme bat ich sie um Aufklärung. Ich sagte, daß ich den Zustand des Zweifels und der schlimmen Befürchtungen nicht mehr ertragen könne.
»Was wollen Sie von mir?« entgegnete sie hart. Ich blickte sie erstaunt an, aber sie senkte nicht die Augen und flammte mich drohend an. Da packte ich ihre Hand und bedeckte sie mit Küssen. Sie ließ mich ruhig gewähren, indes sie den Kopf in die andere Hand stützte. »Wenn ich alles sagen wollte, wer könnte mir glauben«, murmelte sie vor sich hin, und ihr Körper schrumpfte zusammen wie unter der Gewalt eines physischen Schmerzes. »Gehen wir ein wenig ins Freie«, schlug sie vor. Wir gingen in den Garten. Dort erzählte sie mir alles; während wir über die dunklen Wege schritten, schilderte sie mir ihre Ehe. Sie schilderte mir diese Ehe als ein Martyrium, das ohne Beispiel war. Sie schilderte den Major als einen argwöhnischen, neidischen, boshaften, ohnmächtigen, lügenhaften, und gewalttätigen Greis. Sie sagte mir, daß er sie schlüge. (O Gott, der Speichel im Munde wurde mir bitter wie Galle.) An ihr räche er die Unbill und Zurücksetzung, die er überall zu erleiden wähne. Wo er ihre Wünsche erfülle, sei es zum Schein; wenn er sich freundlich stelle, sei es zum Schein. Er behandle sie schlimmer als einen Hund. Seit sechzehn Monaten lebe sie wie in einem Starrkrampf, und was sie lache und rede, wisse sie nicht. Zuerst habe sie geschwiegen aus Furcht vor ihm, dann aus Furcht vor der Welt, denn noch einmal als geschiedene Frau bodenlos und heimatlos dastehn, das zu ertragen, sei sie nicht fähig, lieber wähle sie den langsamen Tod aus Kummer, Zorn und Angst.
Ich glaubte. Man denke nach, ob es für mich eine andere Möglichkeit gab, als zu glauben. Es gibt im Ungeheuerlichen einen Punkt, wo der Zweifel erstickt, anstatt genährt wird. Man kann der Raserei mißtrauen, man kann der Wut oder dem Haß mißtrauen, aber der sanften, schwermütigen und verzweifelten Ruhe, mit der mich Aurora zum Mitwisser ihres Geheimnisses machte, ist schwer zu mißtrauen. Ich wußte zu wenig von Leidenschaft, zu wenig von dieser schrecklichen Narkose des Gemüts. Die Gewohnheit kalter Sinnenlust und bezahlter Vergnügungen hatte mich einem Sträfling ähnlich gemacht, der die Kette nicht mehr spürt, aber vor Freude verrückt wird, wenn man ihm die Freiheit schenkt.
Wie hätte ich ahnen sollen, was in diesem Weibergehirn vor sich ging? ahnen sollen, daß Neugier sie zur Verderberin und Verbrecherin machen konnte? Neugier, wie weit sie mich zu treiben imstande war! Sie glaubte nicht an Männer, sie glaubte nicht an mich. Daß ich in der Schlacht gewesen, daß ich Feindesblut und eigenes Blut vergossen hatte, das verlockte sie, und sie wollte mich erproben. Sie wollte ihre Macht an mir erproben. Sie hatte die unbestimmte Sehnsucht, Urheberin einer Tat zu werden, aber sie glaubte nicht an diese Tat, so wenig wie sie an Worte, Schwüre, Vorsätze und Empfindungen glaubte. Die unergründliche, unermeßliche Leere ihrer Brust verzerrte ihr alles ernste Bestreben, Wissen, Wollen, Denken und Vollbringen zu spottwürdigen Schemen. Und so wurde meine Ergebenheit zu einem Piedestal für ihren lasterhaften Willen, und es war eine unheimliche Begierde in ihr, mich zu entfalten, mich gleichsam auseinanderzureißen, um zu sehen, – was in mir drinnen sei. Dieses und sonst nichts.
Das weiß ich jetzt; ich habe es erfahren müssen in einer Stunde, die mich aus dem Himmel in die Hölle stürzte, einer Stunde, wie sie vielleicht nur wenige Menschen je erlebt haben, und die ich auch