Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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tyrannischen Handlungen ihres Gatten klagte, beobachtete sie mit Angst, bisweilen mit einem Gemisch von Freude und hungriger Erwartung die geringste meiner Gebärden. Mein Geständnis, daß mich ihre Berichte unsinnig folterten, schien sie oft beinahe fröhlich zu stimmen, und es bestürzte mich, wenn sie unmittelbar nach einem der unheilvollen Gespräche mit dem Vergnügen eines kleinen Mädchens einen Hut probieren konnte und sich selber in den Spiegel hinein entzückt anlächelte. Ich habe während der ganzen Monate Dezember und Januar in keiner Nacht mehr als zwei Stunden Schlaf genossen, und am Ende sah ich aus wie ein Schwindsüchtiger.

      Dazu die gestohlenen Liebesstunden, in denen meine Leidenschaft nur durch versprechungsvolle Küsse Genüge fand. Was Genüge! Ein verzweifeltes Aufflackern war es immer wieder, das den Körper ruinierte und mir alle Klarheit des Gemüts und Geistes raubte. Aurora gab sich mir nicht hin; sie erklärte, das schände sie, sie wolle sich nicht noch mit Lug und Trug beladen, sie wolle ihr Gewissen fleckenlos bewahren. Ich ehrte diese Gründe, ich konnte nicht wissen, daß es ihr bloß darum zu tun war, mein Gefühl ins Maßlose zu steigern. Denn sie, sie hatte ja genossen! Sie wollte sich einnisten in der Anbetung eines vertrauensseligen Mannes, das verlieh ihr einen Halt, eine letzte Würde und weckte vielleicht ihr abgestumpftes Herz zu einer Regung von Zärtlichkeit. Das war es, das war das Ganze, und ich Tropf lief in die überdeckte Falle und stürzte so tief, daß keine Faser an meinem Leibe heil blieb.

      Eines Abends um sieben Uhr kam Aurora in meine Wohnung, dicht verschleiert. Sie war still und finster, wie ich sie nie gesehen. Sie entblößte ihre Brust und zeigte mir einen blutigen Striemen. Ich stotterte eine Frage. »Dies ist von ihm«, sagte sie dumpf. Da schlug ich besinnungslos mit der Faust um mich und zertrümmerte das Fenster. Mit meiner von Glassplittern verwundeten Hand wollte ich sie an mich ziehen, aber sie, auf das Blut starrend, wich sehr erschrocken zurück. »Du weißt, ich kann kein Blut sehen«, hauchte sie. »Und doch sollst du bald Blut sehen«, antwortete ich. »Nein sehen nicht«, versetzte sie abermals hauchend. »Ach, wenn das wäre«, fügte sie hinzu und schaute mich glühend an, »wenn du das vollbringen könntest, dann könnte ich sterben aus Liebe zu dir.«

      Daß sie gewagt hatte, zu mir zu kommen, erschütterte mich, da ich in dieser Verwegenheit nur eine Handlung des Vertrauens und der Zuneigung erblickte. Besorgt um ihren Ruf, holte ich selber einen Wagen; ich begleitete sie, und während der Fahrt setzten wir Tag und Stunde der Tat fest. Ich sagte »morgen«. Aurora antwortete, morgen sei der große Ball im Kasino, da wolle sie noch einmal tanzen. Dieses »noch einmal« zerstreute eine unangenehme Verwunderung, die mir der Einwand zunächst erregt hatte. Ich sagte also: übermorgen. Sie wünschte auch dieses nicht. Sie sagte, am Sonntag sei in Weidenberg Jahrmarkt, ihre Mädchen und der Bursche des Majors hätten für den Nachmittag und die Nacht Urlaub erbeten, und so könne ich ins Haus kommen ohne Gefahr, einen Unberufenen zu wecken. Ich fügte mich, obwohl mir jeder Tag und besonders jede Nacht bis dahin zur Ewigkeit werden mußte. An das, was nachher kam, dachte ich nicht im geringsten. Vermutlich spürte ich schon, daß ich auf eine Zukunft nicht mehr zu rechnen hatte.

      Als ich am nächsten Mittag in Gesellschaft des Regimentsadjutanten über den Domplatz ging, gewahrten wir einen sehr fetten und auffallend elegant gekleideten jungen Menschen, der offenbar fremd in der Stadt war. In der Provinz wird der Fremdling, und gar der Großstädter durch ein Etwas in Miene und Schritt sofort erkennbar. Ich hatte nur einen Blick auf ihn geworfen und fühlte gleich den äußersten Widerwillen gegen dies abgelebte, hochmütige und bornierte Gesicht. Der Regimentsadjutant zwinkerte mit den Augen und bemerkte spöttisch: »Aha, da ist ja der Fabrikant Dotterwachs aus Berlin.«

      Mich durchfuhr eine unklare Erinnerung von nicht sympathischer Art, aber erst hernach fiel mir ein, daß das vielleicht jene Person sein könne, von der mein Freund, der Ingenieur, gesprochen. Als ich am Nachmittag in die Westermarksche Villa kam, wurde mir gesagt, die gnädige Frau sei nicht zu Hause. In meiner Wohnung angelangt, übergab mir mein Bursche einen Brief. Es war ein anonymes Schreiben folgenden Inhalts: »Wenn Sie das geheime Absteigequartier der Majorin Westermark kennen lernen wollen, so verfügen Sie sich in den dritten Stock des Hauses Nummer 15, Schönlandstraße. Eine frühere Kammerjungfer und jetzige Vertraute der Majorin ist Kupplerin und Mieterin dortselbst.«

      Ich zerriß den Fetzen und heftete nicht zwei Gedanken daran, schon, weil mir die Sache zu albern erschien. Leider hatte ich Aurora versprochen, auf den Kasinoball zu kommen, wenn auch HI nur, um sie zu sehen. Ich überwand meine Abneigung, die mir in der jetzigen Stimmung derlei Festlichkeiten hassenswert machte, schob aber die Stunde möglichst hinaus, und so war es bereits recht spät, als ich den Saal betrat. Aurora war von einem Kreis junger Leutnants umgeben. Sie war hinreißend schön; die Haut von Busen, Hals und Antlitz glänzte wie Silber, darunter floß fischhaft das dunkelgrüne Spitzenkleid; sie war heiter, allzu heiter; und ich, ich war finster. Ich war einer Ohnmacht nahe, so schrecklich empfand ich in diesem Augenblick meine leidenschaftliche Liebe. Frau von Rütten, an der ich nicht grußlos vorübergehen konnte, saß mit einigen andern Leuten in einer Säulennische. Alle diese Leute sahen mich mit seltsamen Blicken an, wenigstens schien es mir so. Ich bemerkte darunter auch das siebzehnjährige Kind, mit dem man mich hatte verheiraten wollen. Ich glaubte die Augen dieses Mädchens mit einem richtenden Gefühl auf mich gerichtet. Ich wandte mich hastig ab und hatte gerade noch Zeit, dem Major Westermark aus dem Weg zu gehen, der auf mich zukam, lachend und winkend, als ob ich sein bester Freund wäre. Es überrieselte mich eiskalt.

      Ich stellte mich nun an das untere Ende des Saales und starrte in das lichtübergossene Geflimmer der Uniformen und Roben. Die Walzermusik stimmte mich traurig, und ich weiß nicht, wie es zuging, aber ich mußte beständig an den Mann denken, den ich mittags gesehen, und dessen fleischige und gemeine Züge nicht aus meiner Vorstellung schwinden wollten. Ich sah ihn essen, ich sah ihn Bier trinken, ich sah ihn widerlich lachen und prahlen, und voll Bitterkeit dachte ich mir: das ist also der jetzige Deutsche, ein solcher Mann darf den Namen eines Deutschen führen; Emporkömmling; dickfelliger, ohrenloser, aufgeblasener, herzloser Geselle, dem alles gehört und der nichts respektiert; und so sind sie alle, sie haben das Zittern verlernt und brauchen wieder einmal die Peitsche des Schicksals. Dabei kannte ich den Mann doch gar nicht und verband nur einen Eindruck mit dem Groll über eine allgemeine Kalamität, denn ich war in diesen Dingen schon zum Schwarzseher geworden und war deshalb auch nicht mehr mit innerer Freude Soldat.

      Nach dem Kotillon gelang es mir, Aurora für ein kurzes Alleinsein zu erobern. In ihrem Wesen war etwas Schmachtendes, das ich nicht lediglich der Wirkung des Tanzes zuschreiben mochte. Die Luft zitterte zwischen unsern Mündern und unsre Blicke bohrten sich fest ineinander. Trotzdem Leute um uns herumstanden, hatte sie die Verwegenheit, mich zu fragen, ob es beim Sonntag abend verbleibe, und als ich schweigend und bestürzt nickte, lächelte sie mit entblößten Zähnen. Noch lange nachher, als sie sich schon von mir entfernt hatte, beobachtete ich, daß ihre Augen bisweilen forschend, ja ängstlich auf mir ruhten. Plötzlich ging sie zu ihrem Mann, sagte ihm ein paar Worte und verließ den Saal. Der Major, der bei Frau von Rütten saß, erhob sich, um ihr zu folgen. Sie kehrte noch einmal um, und sie redeten wieder eine Weile miteinander, dann ging Aurora. Der Major schien unschlüssig und zeigte ein nachdenkliches Gesicht. Da Aurora nicht zurückkam, entschloß ich mich, Frau von Rütten zu fragen, ob sie wisse, was geschehen sei. Sie antwortete mir kalt, die Majorin habe sich nicht wohl gefühlt und sei nach Hause gefahren; sie habe nicht gewünscht, daß der Major sie begleite, weil sie bestimmt wiederkommen wollte. Ich wunderte mich und wurde besorgt. Ehe eine Viertelstunde verflossen war, hatte ich mich in aller 115 Stille aus dem Saal entfernt, nahm außen meinen Mantel und eilte nach der Westermarkschen Villa. Daß meine Abwesenheit unter der Ballgesellschaft bemerkt und auffällig gefunden werden könne, darüber machte ich mir keine Gedanken. Da ich im Souterrain der Villa noch Licht sah, läutete ich am Gartentor. Eine Mädchenstimme fragte vom Fenster aus, wer da sei. Ich erkundigte mich, ob sich die gnädige Frau noch oben befinde; weil der Wagen nicht da war, mußte ich annehmen, daß sie schon zurückgekehrt wäre. Das Mädchen erwiderte mir, die gnädige Frau sei auf dem Ball. Sie sei aber doch vor kurzem nach Hause gefahren, versetzte ich. Dies wurde verneint.

      Ich spazierte auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf und ab und wartete, bis die Glocke zwölf schlug. Darauf machte ich mich wieder auf den Weg und dachte, sie habe am Ende das Kasino gar nicht verlassen. Als ich in die Wilhelmstraße einbog, rasselte eine Droschke


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