Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
Читать онлайн книгу.Augen verleihen willst, dachte ich mir. Aber die üblen Gerüchte waren hartnäckiger als meine Gleichgültigkeit. Ich traf eines Tages einen Freund in der Stadt, einen jungen Ingenieur, der irgendwo in der Nähe den Bau einer Eisenbahnbrücke leitete. Wir waren als Gymnasiasten ein paar Jahre lang unzertrennlich gewesen, und es bereitete mir lebhaftes Vergnügen, ihn wiederzusehen. Wir kamen oft zusammen, bald in einer Weinstube, bald in seiner oder meiner Wohnung; und wie es schon so geht, einmal gerieten wir beim Gespräch auch auf Aurora Westermark und die über sie umlaufenden Gerüchte. Mein Freund kannte sie nur flüchtig, aber er war einer jener Menschen von instinktivem Scharfblick, die in andern Seelen lesen zu können scheinen, und deren Urteil sich daher von selber Vertrauen erzwingt.
Deutlich steht mir noch jene Stunde vor Augen und genau ist mir noch jedes seiner Worte gegenwärtig, die ich nur mit innerem Unwillen anzuhören vermochte. »Diese Frau hat die Gabe, unschuldig zu scheinen und Leidenschaften einzuflößen«, sagte er ungefähr. »Wie sie den schwer zugänglichen Major umgarnt hat, das ist gewiß ein Kunststück gewesen. Ich weiß nicht, ob dir die Umstände bekannt sind; es war während der großen Manöver vor zwei Jahren; umschwärmt von den Offizieren eines ganzen Stabes, hatte sie sich’s offenbar in den Kopf gesetzt, den sprödesten und verstocktesten zu gewinnen, denjenigen, für den eine Weltdame etwas war wie ein seltenes Schmuckstück, das er sich verschafft ohne Freude und Verständnis, nur weil er gerade bei Geld und guter Laune ist und weil es von andern gerühmt und begehrt wird. Sie hatte den schlechtesten Ruf. Man sagt, daß sie Liebe verkauft hatte, unumwunden und unter Vorwänden, um einer Perlenkette willen, um eines Ränkespiels willen, um nichts ungenossen vorübergehen zu lassen von den Lockungen der Jugend, aus Gefallsucht, aus Sinnlichkeit, aus Langerweile, aus Schwäche, aus Lust an der Selbsterniedrigung, aus Vergnügen an einer doppelten Existenz in zwei Sphären der bürgerlichen Welt, von denen die eine nicht weiß, was in der andern geschieht, so daß die Geschicklichkeit, der einen die Kunde aus der andern vorzuenthalten, etwas von der Spannung eines Revolverdramas mit sich bringt und die sonst leeren Tage mit dem Tumult verschwiegener Betätigung erfüllt. Ich bin gewiß,« fuhr mein Freund fort, gegen den ich in diesem Augenblick eine nicht zu überwindende Empfindung des Hasses, ja des Abscheus hegte, »ich bin gewiß, daß sie’s gegenwärtig nicht viel besser treibt. Ich glaube nicht, daß sie je von Liebe erfahren hat, sondern nur von Aufregungen, Sorgen, abwägenden Interessen, Kränkungen des Stolzes, Gefahren der Enthüllung und die Überzeugung von der Nichtswürdigkeit der Männer, so wie eben solchen Frauen die Männer sich zeigen müssen.«
»Aber was wäre denn das für ein Leben!« rief ich kopfschüttelnd. »Welche Einsamkeit setzt das voraus, welche Kraft, alle diese Dinge in der Stille mit sich selber abzumachen!«
Mein Freund zuckte die Achsel. »Es ist das Leben eines Menschen, der auf glühenden Kohlen tanzt und sich stellen muß, als ging’s über einen harmlosen Teppich«, antwortete er. »Wir haben eine Menge solcher Equilibristen in der Gesellschaft, und das vertrackte und verlogene Dasein, das wir führen, fordert die unruhigen Köpfe geradewegs dazu heraus.«
»Gibt es denn irgendwelche faktischen Delikte?« fragte ich.
»Es heißt, daß sie mit jedem hübschen Offizier abenteuert; daß sie sich jedem Laffen hingibt, der sich der Mühe der Werbung unterzieht und den Preis nicht zu hoch findet, den Preis des Verrats nämlich. Auch sagt man, daß sie seit Jahren eine dauernde Beziehung zu einem Berliner Fabrikanten unterhält, der außerdem günstige Börsengeschäfte für sie vermitteln soll, den sie irgendwie draußen oder in der Stadt trifft und der eine unerklärliche Gewalt über sie ausübt, vielleicht die Gewalt bedenkenloser Brutalität. Daß der Major darüber in vollständiger Ahnungslosigkeit verbleibt, gehört zu unsern sonderbaren, aber nicht ungewöhnlichen sozialen Geheimnissen. Alle wissen, er nicht; alle raunen, er ist taub. Man schont ihn wahrscheinlich, man schont seine Stellung, seine Häuslichkeit, und sie hinwiederum profitiert von der Achtung, deren ihr Gatte genießt. Auch macht ihr Auftreten, ihre Schönheit, ihre vollendete Haltung die Argwöhnischen vorsichtig, und den Mut der Übelredner zunichte. Sie hat ja eine Art zu gehen, zu stehen, zu reiten, zu lachen, zu tanzen, die blendend ist, das muß man zugeben. Was tut’s, wenn bisweilen an den Grenzen des Bezirks ein Flämmchen aufzischt und einen Schritt der heimlichen Pfade beleuchtet? Oft sehen Augen, denen keine Zunge dient, die zu reden weiß, und ein anderes Mal schwatzen Mäuler, wo Augen nichts gesehen haben.«
Ich bekenne, daß mich dieses Gespräch bis in die Nieren erkältete. Dies »es heißt« und »man sagt« erfüllte mich mit Mißtrauen gegen den Freund, mit einer Art Furcht vor ihm; ich ging ihm von da an für lange Zeit aus dem Wege. Seine Ehrlichkeit erschien mir durchaus böswilliger Natur; ich bildete mir ein, daß ich einer ritterlichen Pflicht gehorchte, indem ich mich in meinem Innern auf die Seite einer wehrlosen Geschmähten schlug: Kleinstädtischer Klatsch, sagte ich mir, läßt den reinlich Denkenden eher zum Anwalt des Besudelten werden, als daß er die Partei von Feinden nimmt, die sich verbergen. Es war ein Selbstbetrug, dem ich mich hingab. Die Frau hatte ganz einfach mein Gefallen erweckt, und das wollte ich mir verhehlen. Ich traute ihr Schlimmes nicht zu, ich sah ein Kind in ihr, verführerisch, am Ende mißleitet, aber nicht verworfen. Ich sträubte mich nicht gegen die Freundlichkeit, die der Major alsbald in auffälliger Weise gegen mich an den Tag legte. Ich besuchte oft sein Haus, und es schien sich ganz von selbst zu geben, daß ich manche Stunden mit Aurora allein verbrachte.
Sie gestand mir, daß sie von Anfang an aufs innigste gewünscht habe, meine Bekanntschaft zu machen, denn sie habe beim ersten Blick gefühlt, daß ich ihr mit Wohlwollen gegenüber getreten sei. Dies mußte ich bestätigen, ihre schmeichelhaften Worte über meine Vergangenheit, meine Taten, meinen Ruhm usw. lehnte ich höflich ab. Die nichtigen Dinge, von denen sie mit mir plauderte, gewannen einen Reiz von Scherzhaftigkeit, dann wieder von anmutiger Melancholie. Vertrauen schien sie als selbstverständlich zu betrachten und war nicht einmal bedachtsam in ihrem Tadel über die Lebensführung anderer. Sie sprach mit einer unvergleichlich musikalischen Stimme, weich im Ton, klagend in der Färbung, hie und da mit einer Bemerkung voll Witz und Geist. Ihr Zuhören war sympathisch durch den Blick eines wißbegierigen Schülers. Sonst war sie nicht selten gequält, beunruhigt, verschüchtert, also gar nicht mehr Dame. Sie eroberte unbedingt, ich hätte ihr alles geglaubt, und ich glaubte auch alles, selbst das Unwahrscheinlichste, wennschon mir ihr Wesen manchmal wie Dünensand vorkam; erst denkt man etwas Festes zu halten, und wenn man zupackt, verrinnt und verrieselt alles zwischen den Fingern.
Im Verkehr mit ihrem Mann sah ich sie von gemessener Liebenswürdigkeit, Nachsicht mehr gewährend als beanspruchend, gegen launenhafte Bärbeißigkeit sich mit ironischer Duldermine wappnend, wobei ein forschender und spöttisch-kühner Blick den Beobachter zum Mitverschworenen machte. Der Major erweckte den Eindruck eines gutmütigen Mannes; er war untersetzt und korpulent und trotz seiner Jahre nur mäßig ergraut; doch pflegte er den Schnurrbart mit einer Pomade zu behandeln, die diesem das Ansehen eines frisch lackierten Gegenstandes gab. Sein Blick war flackernd wie der eines viel und fruchtlos arbeitenden Menschen; in der Tat verhinderte er nur durch einen fast überstürzten Eifer im Dienst seine langgefürchtete Kaltstellung. Er gehörte zu jenen Offizieren vom alten Schlag, die durch Rauheit und martialisches Auftreten an verjährte Verdienste erinnern und den Mangel an gegenwärtigen verdecken wollen. Er liebte die Jagd, schöne Pferde und Hunde; doch mit diesen Leidenschaften verbarg er nur den Groll gegen ein Regime, das ihn zur schimpflichen Rolle eines Mitläufers und stummen Bittstellers verurteilte, und er erfüllte seine Obliegenheiten wie mit zusammengebissenen Zähnen, war immer in Hast und Angst, und, wie alle unsicheren Beamten, von übertriebener Strenge gegen Untergebene und übertriebener Devotion gegen Vorgesetzte.
Ich glaube, mit solchem Urteil kein Unrecht an dem Major zu begehen; alle diese Umstände waren ja mehr oder weniger öffentliches Geheimnis. Ich habe beschlossen wahr zu sein, und so muß auch dieses gesagt werden. Es trifft nicht zu, daß ich dem Major ohne Achtung begegnet bin; ich hatte anfangs sogar Gefallen an ihm, wie er an mir, erst im Verlauf der Begebenheiten wandelte sich meine Gesinnung auf so verderbliche Art.
Ich begleitete Aurora ins Theater, auf die Promenade, ich kam zu ihren Teestunden, und so vergingen Wochen, ohne daß ich ein Arg gegen mich selber faßte. Wenn ich Gäste bei ihr traf, zeigte sie mir unmißverstehlich, daß ihr Gäste zur Last waren und daß ich allein es nicht war. Ein solcher Beweis von Freundschaft heischte