Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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Wie ward mir aber, als ich Auroras Zimmer leer fand und ihr Bett unberührt! Ich schritt der Reihe nach durch alle Zimmer des Stockwerks, und die wohlbekannten Möbel und Bilder blickten mich an, wie lebendige Dinge. Indes ich wie ein Gespenst dort herumirrte, vernahm ich das Rollen eines Wagens auf der Straße. Ich stand gerade wieder auf dem Korridor, welcher auf eine Tür zulief, die gegen einen kleinen Gassenbalkon oder Vorbau führte. Diese Tür öffnend, trat ich hinaus und kam eben recht, als der Wagen vor der Gartenpforte hielt. Durch die kahlen Baumzweige hindurch konnte ich sehen, daß Aurora ausstieg. Ich erblickte aber noch jemand im Wagen, ein Gesicht erschien am Fenster, das ich wohl erkannte. Aurora blickte flüchtig am Haus empor, aber nicht dorthin, wo ich stand, sondern gegen die Seite, wo des Majors Zimmer war. Darauf beugte sie sich noch einmal in den Wagen, ich sah einen roten Handschuh auf ihrem Arm und ich hörte sie flüstern und lachen. Gott! ich hatte kaum mehr die Kraft zu stehen, ich spürte, daß mich die Blässe überströmte wie Sand. Treunitz! Treunitz! schrie es in mir, du hast verspielt.

      Aurora war inzwischen ins Haus gegangen, den Schlüssel hatte ich in ihrer Hand blinken gesehen, ihre Schuhe schlürften auf den Steinfliesen im untern Flur, dann knarrte eine Tür, dann wieder eine. Ich ging in den Flur, blieb aber in der Ecke stehen. Aurora kam mit den beiden Jagdhunden die Stiege herauf. Sie hielt die Tiere, die sich wie toll gebürdeten, fest an der Leine. Wahrscheinlich hatte das unaufhörliche Gebell Furcht in ihr erweckt, und sie hatte den Verschlag geöffnet, um die Hunde mitzunehmen. Sie gewahrte mich nicht, sie ging in ihr Zimmer. Ich hörte, wie sie mit beinahe wilden Lauten die Hunde zu bändigen suchte, was ihr jedoch nicht gelang. Ich kehrte unterdes zum Zimmer des Majors zurück, blieb aber auf der Schwelle stehen. Jetzt trat Aurora mit der Kerze auf den Flur, sie hatte noch den Hut auf, der lange Schleier hing zu beiden Seiten herunter wie zwei blaue Fahnen. Die Hunde, der Leine entledigt, stürzten an mir vorüber in das Zimmer des Majors. Sie blieben an der Leiche stehen und verbellten den toten Mann wie ein im Feuer verendetes Stück. Aber auf einmal wurden sie alle beide still und winselten nur noch. Aurora schaute mit kaltem Blick in den Raum, dann mit demselben kalten Blick auf mich und fragte mit dem seltsamsten Gleichmut: »Was hast du denn da gemacht?« Und als ich schwieg, fuhr sie mit genau derselben matten und unbewegten Stimme fort: »Er ist wohl tot?« Und als ich abermals schwieg, begann sie wieder: »Warum hast du denn das getan?«

      Im ersten Augenblick glaubte ich den Verstand verloren zu haben. Ich konnte kein Wort aus meiner Kehle pressen, meine Zähne rieben sich hörbar aufeinander, und ich mußte das unbegreifliche Weib nur immerfort anstarren. Sie blickte sich noch einmal um, etwa wie wenn man in einem Museum Bilder anschaut, dann pfiff sie den Hunden und ging. Die Hunde folgten nicht, sie hörten nicht auf zu winseln. Da entfernte sie sich allein. Sie ging in ihr Zimmer. Ich blieb wie versteinert auf meinem Platze, die beiden Tiere zu sehen und zu hören, war mir plötzlich das hellste Grauen. Ich fing an zu zittern und wußte nicht, woran ich denken sollte. Ich weiß nicht mehr, wieviel Zeit verflossen war, möglich eine halbe Stunde, möglich eine ganze, als ich mich entschloß, in Auroras Zimmer zu gehen. Die Türe war unversperrt. Aurora war im Bett, die brennende Kerze stand noch auf dem Nachttisch. Im Zimmer selbst war die größte Unordnung, Kleider und Wäschestücke lagen umher, eine kleine Reisetasche stand, wie zum Gepacktwerden, offen auf einem Stuhl. Ich blieb am untern Bettpfosten stehn und fragte Aurora, ob sie es denn nicht gewollt habe. Aus den Kissen heraus antwortete sie: »Laß mich jetzt schlafen.« »Um Gotteswillen!« flüsterte ich. Da erhob sie den Kopf und fragte kalt, ob ich das Billett nicht erhalten habe. »Was für ein Billett?« fragte ich. Sie sah mich unwillig an, lachte plötzlich und sagte fast verächtlich und als ob ich ihr völlig fremd sei: »Gehen Sie hinaus und lassen Sie mich schlafen. Es schickt sich nicht, daß Sie bei meinem Bette sind.« Mit diesen Worten blies sie die Kerze aus, und ich hörte sie wieder leise ins Kissen lachen.

      Ich begriff es nicht. Ich hätte begriffen, wenn sie zornig, wenn sie wütend, wenn sie verzweifelt gewesen wäre, ich hätte alles begriffen, aber dies begriff ich nicht. Mir war es, als ob aus einer schönen Verkleidung ein Unhold hervorgetreten wäre, ein bestialisches Gebilde, ein grinsendes Affenwesen, wie es dermaßen furchtbar die Welt noch nicht erblickt. Ich tastete mich hinaus, das Entsetzen lag mir in allen Gliedern. Auf dieselbe Weise, wie ich gekommen war, mußte ich auch das Haus verlassen. Nachdem ich das Gartentür aufgesperrt und hinter mir zugeklappt hatte, warf ich den Schlüssel über den Zaun zurück. Es war ein Uhr, als ich nach Hause kam. Auf dem Tisch lag Auroras Brief. Ich öffnete ihn nicht. Es war mir alles zum Ekel und alles rätselhaft. Ich legte mich erschöpft aufs Bett und schlief bis sieben Uhr. Als mein Bursche kam, beauftragte ich ihn, eine Droschke zu holen, und zog unterdes die Uniform an. Ich fuhr in die Kaserne und wartete in der Kanzlei auf den Obersten. Er erschien erst gegen neun Uhr; er war bleich und fragte mich, ob ich schon wisse. Die Ermordung des Majors war bereits in der Stadt bekannt. Ich bat ihn um ein Wort unter vier Augen. Mein Geständnis machte seinem wohlwollenden und gegen mich stets vertraulichen Wesen ein schnelles Ende. Ich mußte den Degen abliefern und wurde sogleich inhaftiert. Dies alles war von keinem Belang mehr für mich. Ich wurde gefragt, ob ein Zweikampf beabsichtigt gewesen sei. Ich verneinte, weiß aber kaum, warum. Ich hätte meine Verteidigung darauf bauen können, ich tat es nicht. Ich hätte ja dem Major eine zweite Waffe in die Hand drücken können, bevor ich das Haus verließ. Ich tat es nicht, weil es mir gleichgültig war. Ich erfuhr von der Verhaftung Auroras, von dem Erstaunen und dem Schrecken, den meine Tat überall erregte, und auch dieses war mir gleichgültig. Am andern Morgen besuchte mich der Oberst, fragte, ob ich vor dem Transport ins Militärgefängnis noch etwas zu ordnen hätte, legte ein Terzerol auf den Tisch und stellte sich ans Fenster. Ich tat nicht, was er erwartete. Er entfernte sich ohne Gruß. Die, Kameraden glaubten, daß ich aus Feigheit unterlassen habe, ein Ende zu machen, aber dem ist nicht so. Ich habe nichts vom Feigling in mir. Ich war bloß regungslos in meinem Innern. Ich war ganz wie aus Blei. Ich grübelte beständig ins Finstere hinein. Erst mit dem Verlauf vieler Tage kam ich wieder zur Besinnung. Ich fing an, meine Beichte dem Papier anzuvertrauen. Ich hinterlasse sie der geringen Zahl meiner Freunde. Es ist mir nun klar, daß mich die Menschen für schuldig halten und daß ich zu sterben die Pflicht habe. Ich selbst, ich kann nicht sagen, ob ich mich schuldig fühle oder nicht. Ich kann es nicht sagen. Aurora hat es ja gewollt. Um meiner Mutter willen bitte ich um ein anständiges Begräbnis. Und nun geschehe, was geschehen muß.

      Hilperich

       Inhaltsverzeichnis

      Ein Schiffer fährt den dunklen Strom

       Hinunter ohn Bedacht.

       Die Lüfte ruhn, das Wasser schweigt,

       Und mählig wird es Nacht.

      Kanzlist Johann Querschneider zu Nürnberg, ein seltsamer Kauz, ein Hungerleider doch nach Diogenes’ Art, erzählt: Vierundzwanzig Jahre sind seit meines Vaters Tod verflossen. Ich bin ein uneheliches Kind und führe den Namen meiner Mutter. Bis zu meinem zweiundzwanzigsten Jahr wußte ich von meinem Vater nichts, nicht einmal ob er lebte. Ich hatte mich nicht sonderlich dafür interessiert; Gott weiß aus welchem Grund ich stets darüber hinweg dachte. Meine Mutter verfuhr in diesem Punkt sehr kategorisch. Wenn ich fragte, so lachte sie mir ins Gesicht. Ich zerbrach mir nicht den Kopf, sondern lebte so hin, nicht schlechter und nicht besser als andere; Geld hatten wir wenig, litten aber keinen Mangel. Meine Mutter bezog irgendwoher eine kleine Pension, besorgte Nähereien für einige Bürgersfrauen im Bezirk, und ich selbst war beim Amtsgericht als Schreiber angestellt.

      Ich lebte also und beschäftigte mich nach meiner Art. Bis zu meinem zweiundzwanzigsten Jahr wie gesagt. Da ereignete es sich eines Morgens im Frühling, ich ging gerade zum Amt, daß ich im düsteren Korridor unseres uralten Gerichtsgebäudes ein junges Mädchen stehen sah, welches forschend und unruhig den langen Gang bald hinauf, bald hinunter blickte. Ich trat zu ihr hin und fragte unverhohlen nach ihrem Begehren. Sie antwortete etwas in italienischer Sprache, und da ich sie nicht verstand, schüttelte ich den Kopf und ging langsam meiner Wege. Das ist ein teuflisches Frauenzimmer, sagte ich mir, denn ich hatte im Leben Schöneres nicht gesehen. Voller Gedanken kam ich in die Amtsstube und setzte mich an meinen Tisch. Drei Personen von den Parteien waren schon anwesend. Der Diener schrie in den Flur hinaus: »Bianca Spinola!« und das schöne Mädchen trat ein.

      Die Verhandlung betraf


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