Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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ihn gleichzeitig die äußerste Ungeduld und suchte ihn zu bereden, daß die alte Leidenschaft wieder erstanden sei.

      Als er Johannas Lippen auf den seinen spürte, starrte er offenen Auges und stockenden Atems auf ihre bernsteingelben Lider, die sich tief herabgesenkt hatten wie in einem Schlaf der Liebe. Ihm war, als müsse er mit einem Messer die beiden zitternden Hautkugeln durchritzen, um Sonnenlicht durch diese Behälter der Finsternis zu gießen.

      Das große Gent gab dem Herzog zu Ehren ein Fest. Um Mitternacht, als Tanz und Lustbarkeit im besten Zuge waren, fühlte sich die Infantin sehr unwohl. Ehe man sie hinwegführen konnte, gebar sie im dichten Kreis ihrer Damen ein Kind. Es war ein Knabe und er wurde Carlos genannt. Die Herzogin Margarete nahm ihn in Obsorge. Diesmal kam der Entschluß, das Kind in der flandrischen Stadt zu lassen, von Philipp selbst.

      Als man das Schiff zur Rückkehr nach Burgos betrat, war die Infantin noch des Glaubens, ihr Knabe sei mit an Bord. Erst auf hohem Meer erfuhr sie, daß dem nicht so war. Mit einem langen Schrei stürzte sie aufs Verdeck, um sich in die Wellen zu werfen, um zurückzuschwimmen und das Kind zu holen. Ein Matrose packte sie noch am Arm. Bewußtlos fiel sie hin.

      Dieses Kind hatte sie mit dem Wissen einer Mutter im Schoß getragen. Die lange Trennung von Philipp hatte ihr Gefühl zur Tiefe gedrängt. Der höfisch gemessene Stil ihrer Briefe an ihn war die Schanze, hinter der sie die Zuckungen und Tränen ihrer einsamen Leidenschaft verbarg. Auf das unsichtbare, jedoch so nahe, ja mit ihr selbst verschmolzene Geschöpf bürdete sie die Schönheit und den Reichtum der Erde wie man das Bild der Muttergottes mit Rosen und Kostbarkeiten behängt. Sie hatte den Strahl seines Auges aus der Dämmerung des Nochnichtseins aufgefangen, sie hatte es schon im Besitz und es mit verzückten Armen über sich und über Philipp hinausgehoben, um es Gott näher zu bringen. Mit entzündeter Phantasie hatte sie seine Seele erschaffen. Sie hatte seinen Geist aus Träumen gemeißelt und ihre Liebe, bisher körperlos verschwebend, hatte ein Gefäß erhalten, atmende, zeugende Gegenwart.

      Durch den neuerlichen Raub sah sie sich ausgestoßen aus der Welt und aus sich selbst. In frierender Blöße war sie schamloser Neugier preisgegeben. Sie erschien sich entkräftet und zweigeteilt. Sie verlor die seltsam umschleierte Sicherheit von Rede, Schritt und Haltung, bewahrte aber doch ihre Ruhe. Wie ehemals formte sich alles zur geduldigen Erwartung, doch war es nicht mehr die Erwartung vor dem Anbruch des Tages, sondern diejenige vor dem Kommen der Nacht.

      Es träumte ihr, daß sie zwei Teller sah, die wie zwei gefallene Monde anzuschauen waren. Auf jedem der beiden Teller lag ein Herz, auf dem einen das ihre, auf dem andern Philipps Herz. Ihr Herz war scharlachfarben, von den Seiten rann Blut und quoll über die bläulich leuchtende Schale. Philipps Herz war blaß und schleimig; es erinnerte an jene Quallen, die das Meer bisweilen an den Strand spült. Da trat eine Gestalt heran, packte Johannas Herz und warf es empor. Es stieg aber kaum über Baumeshöhe und fiel schwer zurück. Dann schleuderte dieselbe Hand Philipps Herz empor, und dies flog leicht wie eine Rakete bis in die Wolken und kam nicht mehr zum Vorschein.

      Fürchterlich zu denken, daß sie die unreife Frucht gepflückt haben sollte und daß Süßes plötzlich bitter geworden war. »Öffne deine Hände!« gebot sie Philipp nach einer Gewitternacht, die sie zusammen auf der Burg bei Illescas verbracht hatten. Er öffnete seine Hände und sie gewahrte, daß es die kleinen Hände eines Pagen waren. Der eine Daumenballen war von einer Falkenkralle zerrissen. »Warum lächelst du?« fragte sie verwundert; sie erkannte, daß dies Lächeln sein Schild war, hinter dem sich niedrige Geheimnisse versteckten.

      Auf die Wand der Kapelle, in der sie zu beten pflegte, war eine Szene gemalt: ein schöner Jüngling, der vor der geisterhaften Erscheinung des heiligen Jago die Flucht ergreift. Wenn sie in Philipps dunkelgrüne Augen blickte, sah sie in unendlicher Verkleinerung das Bild des fliehenden Jünglings darin. Stets ergriff er die Flucht vor ihr. Sein geringstes Wort, seine zufälligste Bewegung ergriff die Flucht vor ihr. Wenn sie sprach, senkte er den Kopf und alles an ihm verstummte. Ging sie mit den Frauen über die Galerien und er stand mit seinen Freunden im Hofe, so hörte er auf zu scherzen und legte mit bekümmerter Miene den Arm über den Hals des Pferdes.

      Fünfundzwanzig Tage des Monats war er fort vom Schlosse. Die Bringer von wichtigen Nachrichten mußten warten. Wo ist Don Philipp? fragten die Räte. Geantwortet wurde: er jagt mit dem Grafen Balduin; oder er zecht mit dem Ritter Kastilalt; oder er ist zum Winzerfest nach Saragossa geritten. Es gab auch Auskünfte, die man nur heimlich zu raunen wagte; denn nicht selten spielten die schönen Maurinnen eine Rolle bei den Zerstreuungen des Herrn.

      Wenn Philipp, wie es selten geschah, zur Nachtzeit das Gemach Johannas betrat, war er fast jedesmal trunken. Seine Liebkosungen rochen nach Wein, seine Leidenschaft war geräuschvoll und prahlerisch. Sein Gemüt war im Rausch der Lüge wie sein Blut im Rausch des Weines. Er merkte nicht, wie dann alles an Johanna lautlos schluchzte und ihr Kuß ein Krampf der Reue wurde. Er hatte noch immer nicht gelernt, in Menschengesichtern zu lesen; er hatte den Geist eines Pagen. Wenn er auf dem Pferde saß und den Kopf stolz zur Seite drehte, dann mochte er als ein Wesen für sich erscheinen. Aber seine Zunge war von Gott versiegelt, und er wußte nichts von dem Schmerz um sich selbst.

      Wie die Tage sich ausspannen zu Wochen und die Monate sich zu Jahren dehnten, empfand Johanna kaum. Sie brachte ein drittes Kind zur Welt, ein viertes, ein fünftes. Sie trug sie unter einem verödeten Herzen und gebar sie – hoffnungslos. Alle wurden ihr genommen wie jenes Kind der Liebe; ihr war, als setze sie Gespenster ins Leben, Dinge, die zu Luft verrannen, wenn ihr sehnsüchtiger Arm nach ihnen griff. In ihre tiefe Verlassenheit blickten aus weiter Ferne, von hyperboreischer Meeresküste her die lebendigen Augen ihres Sohnes Karl. Sie wußte nicht mehr von ihm, als man von den Sagenfiguren aus der Vorzeit erfährt.

      Ihr vernichtetes und gescheuchtes Herz grub sich weiter in die Nacht. In fremdartiger Hitze rollte ihr Blut. Beim Anblick der Sterne konnte sie vor Ungeduld zittern und die Hand auf die zum Aufschrei geöffneten Lippen pressen. Des Schlafes bedurfte sie kaum. Was sie sprach, klang feindselig und verworren. Einmal nahm sie Petrarcas Sonette zur Hand und las; plötzlich schleuderte sie das Buch, von Wut, Gram und Haß überwältigt, weit weg, hob es wieder auf, riß es in Fetzen und zerstampfte, was davon übrig war, mit den Füßen. Ihre Ruhelosigkeit erregte den Schrecken aller Bewohner des Palastes; selbst ihr Beichtvater hatte Angst vor den lodernden Augen. Wenn alles schlief, ging sie mit der Kerze langsam durch ihr Zimmer, doch schritt sie nie durch die Mitte des Raumes, sondern an den Wänden entlang. Und ihr bloßer Hals leuchtete über dem dunklen Kleid wie der Stengel einer Blume, die sich vor dem Sturme senkt.

      Es ereignete sich nun, daß eine schöne Portugiesin an den Hof zu Burgos kam, deren Name Benigna von Latiloe war. Sie wohnte im Hause Don Inigos de Stuniga, dort sah sie auch den Herzog zum ersten Mal und sie geriet in solche Liebe zu ihm, daß alle, die zugegen waren, es sogleich merkten. Philipp jedoch verhielt sich kühl, trotzdem die Dame von bezaubernder Anmut war und auch einigen Geist besaß. Bei späteren Begegnungen wich er um so weniger von seinem höflichen, aber gemessenen Betragen ab, als ihm der Eifer Donna Benignas lästig zu werden begann und ihre Nachstellung den Stoff des öffentlichen Geredes bildete. Wäre sie geschickt und kokett genug gewesen, seine Eroberungslust zu reizen, so wäre sie vielleicht Gunstfräulein geworden, denn andere, die sich nicht solcher Gaben rühmen konnten wie sie, wurden dieses Vorzugs leicht zuteil; ihr schlug es fehl. Die Aufrichtigkeit ihrer Leidenschaft war zu groß.

      Das Unheil wollte es, daß der Ritter Franz von Kastilalt, der noch immer der unzertrennliche Begleiter Don Philipps war, sich mit ebensolcher Heftigkeit in die schöne Portugiesin verliebte, wie diese in den Herzog. Er fand aber kein Gehör, und seine ungestümen Bemühungen machten ihn bloß zum Gegenstand des Abscheus für das Fräulein. Als er sah, daß ein Glück, welches Philipp gleichgültig verschmähte, ihm verwehrt sein sollte, wurde er von tödlichem Haß erfüllt, nicht nur gegen Donna Benigna, sondern auch gegen seinen Herrn, und seiner tückischen Gemütsart entsprechend, sann er darauf, an beiden sich zu rächen. Häufig war er Helfer und Anstifter bei den Liebesabenteuern Philipps gewesen. Er wußte, daß dieser mit ängstlicher Sorgsamkeit darüber wachte, sein Treiben vor Donna Johanna geheim zu halten und nur auf Schleichwegen den leichtsinnigen Neigungen fröhnte. Wie alle war auch Ritter Kastilalt davon überzeugt, daß die Infantin mit unsichtbaren Mächten im Bündnis sei, und


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