Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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kein Gegenlächeln, Scherze wußte sie nicht zu deuten oder sie schlüpften an ihren Ohren vorbei wie die Blicke an ihren Augen. Sie klagte nicht, somit schien sie mit ihrem Los einverstanden und jener Sorte von Geschöpfen anzugehören, die ohne den Anblick froher Dinge und ohne Freude mühselig-stumpf dahinweben.

      Dennoch hatte sie eine Eigentümlichkeit, durch die ihr Wesen immer wieder als etwas Besonderes, ja Verdächtiges von den Hausleuten empfunden wurde. Am Sonntag, wenn andere Geselligkeit suchten, spazieren gingen und die besten Gewänder umhingen, blieb Sara einsam zu Hause sitzen und starrte vor sich nieder mit einem Ausdruck des Besinnens, einem Ausdruck des gewaltsamen Nachdenkens, der stundenlang ihrem Gesicht die Unbeweglichkeit einer Maske gab. Ihre indigoblauen Augen verloren den Blick nach außen; ihre um die Kniee geschlungenen Arme zogen Kopf und Schultern nach vorwärts, und so saß sie, der Spott aller Wachen und die Beängstigung aller Frommen, die der Meinung zuneigten, daß Sara Malcolm ein Hexlein sei, das mit dem Bösen Umgang habe und am Tage des Herrn dafür zur Erstarrung verurteilt wurde.

      Es war der Traum, der Solches bewirkte, der vergessene Traum. Die einmal beglückt gewesene Seele wollte das verlorene Bild wiederhaben und fand es nicht. Sie erinnerte sich deutlich, wie etwas Herrliches aufgequollen war, damals aus der Finsternis des langen Schlafes; ein nie zuvor gespürtes Glück hatte ihr Herz zum Bersten voll gemacht und war emporgesproßt bis zum Munde und war als ein Lächeln um die Lippen erblüht. Dann war das Erwachen gekommen, – die Augen sahen nichts mehr, das Herz fühlte nichts mehr. Abergläubisch schaudernd dachte sie an diese Stunde, die ihr nichts zurückgelassen hatte als die Sehnsucht nach etwas rätselhaft Unbekanntem.

      Einmal kam Master Gehagan nach Hause und trat in den Hof, um zu den Fenstern John Kerrels hinauf zu pfeifen, und ihm zuzurufen, daß Francis Rhymer, der junge Freund beider Männer, noch diesen Abend zu seiner Hochzeit aus Schottland in London ankomme; ein Eilbote habe die Nachricht gebracht. Kerrel freute sich und erwiderte, es sei wohl das beste, ihn für die nächsten Tage hier im Haus zu beherbergen. Master Gehagan wollte den Hof wieder verlassen, da fiel sein Blick durch die beginnende Dämmerung auf Sara, die vor der offenen Stalltüre eine frisch geschlachtete Gans rupfte. Obwohl er sich sagte, daß es kaum der Mühe verlohne, hatte er Lust, das unscheinbare, sommersprossige Mädchen zu küssen. Er ging auf sie zu, ergriff wortlos mit beiden Händen ihren Kopf und spitzte seine Lippen; aber was er für leicht gehalten, zeigte sich unausführbar. Wild aufgerissene Augen starrten ihn an, und zwei Arme stemmten sich stählern gegen seine Brust. Da wuchs die Begierde; er packte sie bei den Schultern, schleppte sie in den Stall, wo über den leeren Krippen ein Lämpchen düster flammte, und warf sie aufs Stroh. Als er sich nun zu ihr niederbeugen wollte, prallte er mit einem erschrockenen Aufschrei zurück. Das ganze Gesicht Saras war mit Blut wie bestrichen, so daß es einen grauenhaften Anblick darbot; wohl erkannte er den natürlichen Grund: aus dem Hals des toten Tieres, das Sara nicht aus den erhobenen Händen gelassen, war das Blut noch einmal entflossen und hatte das Antlitz des Mädchens bedeckt; aber mit seiner Liebesgier war’s vorbei und er floh ängstlich und erregt.

      Als Sara allein war, ging sie zum Brunnentrog und wusch Gesicht und Arme, dann setzte sie sich auf den Rand des Brunnens und grübelte. Indessen wurde es Nacht und zwischen zwei steilen Mauern stieg am bläulichen Himmel der Mond herauf. Sie wünschte, daß das Gestirn zur goldenen Schale werde und ihr vor die Füße fallen möchte; sie wünschte, daß aus der Dämmerung ein edler Geist hervortrete, um ihr das Gefühl der drückenden Gegenwart zu nehmen. Aber da rief es schon wieder: Sara! Sara! Mistreß Duncomb begrüßte im Flur einen eben angekommenen Fremdling, der vor der Stiege stand und langsam Schritt um Schritt hinaufging. Vor dem Haus hielt die Karosse, in der er gereist war. John Gehagan half auf der Straße dem Diener, das Gepäck abladen. »Gib acht, daß nichts vergessen wird, John!« rief die Stimme des jungen Mannes; es war eine wohllautende Stimme ohne Schwere, der man es anhörte, daß sie zu scherzen liebte. Er kehrte noch einmal zurück und nahm mit fürsorglichem Wesen dem Bedienten einen Gegenstand ab. »Was ist es?« fragte Gehagan, »am Ende gar das Brautgeschenk?« Der andere nickte, und in einer Wallung der Freude oder des Übermuts öffnete er die Hülle und zeigte John Gehagan einen Pokal aus purem Golde und mit Edelsteinen verziert, die einen feurigen Kreis unterhalb des Mundrandes bildeten. Master Gehagan griff erstaunt danach und rief lachend aus: »Ein Ehepfand der Art wird man in England nicht mehr auftreiben. Eines solchen Kleinods kann sich nicht einmal des Königs Schatzkammer rühmen«. Und er folgte dem Freund und trug den Pokal selbst hinterdrein.

      Sara mußte Wein aus dem Keller holen. Ihre Ohren vernahmen den Befehl, aber in ihrem Sinn ging anderes vor. Während sie sich mit dem Wachslicht die Kellertreppe hinuntertastete, sah sie im Dunkel vor sich immerfort den schönen Becher. Ihr deuchte, daß alles Glück des Lebens mit seinem Besitz verbunden sein müsse, und wenn sie ihn auch nicht haben, nicht Eigentum nennen konnte, einmal wollte sie ihn in der Hand halten, ganz zwischen den Händen, ihn mit den Fingern umfangen wie etwas, das man mit aller Kraft des Herzens begehrt hat. Während ihr aus dem niedrigen Gewölbe die kühlfeuchte Luft in Wellen ins Gesicht schlug, nahm das unerklärliche Verlangen so überhand, daß eine glühende Bangigkeit ihr die Brust verschnürte. Was war es nur? Nicht das Gold, nicht das Edelgestein lockte so, nicht die Vorstellung vom hohen Wert des Bechers und daß etwas anderes, gleich Wertvolles dafür zu erkaufen sei; nein, es erschien ihr wie ein Talisman, begabt, das dunkle, enge Leben irgendwie in die Helle und Weite zu zaubern und mit einem Trank, den man aus ihm trinke, den dürftigen Leib zu stärken und zu beseligen. Nie hatte sie etwas mit gleicher Inbrunst begehrt. Wenn sie mit Mary Tracy und den beiden Brüdern Alexander nächtlicherweile, gehorsam durch Zwang, auf Diebstahl ausgezogen war, hatte sie das Erbeutete mit Verachtung und Leid angesehen und ihren Anteil nicht selten verschenkt.

      Zitternd kam sie in die Küche, und von den Flaschen, die sie brachte, entfiel eine ihrer Hand und zerbrach auf den Steinfliesen. Die Köchin nahm ein brennendes Scheit vom Herdfeuer und wollte es im Zorn nach Sara schleudern, die mit blanken Füßen im fließenden roten Wein stand. Sie deckte die Hände über das Gesicht und lief stumm davon. Die Arbeit ging nicht mehr von statten, Arme und Beine schienen aus Blei, Lippen und Zunge brannten. Vom unwiderstehlichen Trieb geplagt, schlich sie die Stiegen hinauf bis vor das Zimmer, in das der junge Mann eingezogen war. Das Schlüsselloch war durch den Schlüsselbart verdeckt; unten aus der Spalte schimmerte Licht. Während sie ihr Ohr an das Holz legte, hörte sie ihn mit seiner leichten Stimme singen; sie verstand auch die Worte:

      Mißraten Herz, was schreist du nach dem Golde,

       Halt es nur fest, auf daß es nicht entgleite,

       Die wilde Braut, die alles haben wollte,

       Trägt ein Gewand aus himmelblauer Seide.

       Und hast du nichts und kannst du ihr nichts geben,

       So fordert sie dein junges Blut und Leben.

      Im oberen Stock wurde John Kerrels Tür mit großem Lärm aufgemacht und seine Baßstimme dröhnte durch das Haus. Sara schlich wieder hinab, die wütende Unrast ihres Innern konnte sie nicht mehr dämpfen. Allmählich kam Nachtstille und die Stunde, wo selbst Saras Füße ruhen durften. Das Tor ward zugetan, der Wächter schrie seine Zeiten ab. Auf ihrem harten Lager warf sich Sara von einer Seite auf die andere. Kaum schloß sie die Augen, so erblickte sie den goldenen Pokal, und ihr wurde kalt und heiß. Nach Mitternacht erhob sie sich leise, zog Rock und Kittel an, ging unsicheren Schritts auf den Gang und schlich langsam, auf jeder Stufe innehaltend und lauschend, die Treppe zu Francis Rhymers Zimmer empor. Es war nicht völlig finster; durch das runde Fensterchen oberhalb des Haustors schien der Mond herein und bemalte das breite Stiegengeländer mit einem grünen Streifen. Bald stand sie wieder vor der Tür und horchte. Es war alles still, nur das eigene Herz schlug wild und laut. Sie legte die Hand auf die metallene Klinke, und spürte eisigen Schrecken, als die Tür sich wie von selber auftat und das Zimmer in wunderlicher Doppelbeleuchtung vor ihr lag. Durch die Fenster strahlte der helle Mond, und auf einer Konsole am Bett brannte die Öllampe. Der junge Fremde schlief, noch halb in seinen Kleidern, und ein Buch, in dem er gelesen, war der herabhängenden Hand entglitten und auf den Boden gefallen; dies, wie das unverriegelte Türschloß waren Anzeichen, daß er den Schlaf noch nicht gesucht hatte, sondern daß er von ihm überwältigt worden war. Wenn Sara in ihrem verblendeten Sinn eine günstige Schickung darin hätte erblicken wollen, so mußte der höhere Wille in ihren Augen unbezweifelbar werden, als


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