Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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zeigte die Figur eines Jünglings, offenbar eines Narzissos, der in lässig schöner Art auf einem Felsblock saß, zwei lange Stäbe im rechten Arm und in kaum angedeutetem, nur mit wenigen Strichen graviertem Wasser die Umrisse seines Bildes beschaute. Tief am Rand war in griechischen Lettern das Wort Leäna eingeritzt, welches der Name der Hetäre sein mochte, die einst den Spiegel als Eigentum besessen hatte. Das ganze Kunstwerk war ungefähr zwei Handlängen hoch.

      Cajetan erhob sich, trat zu Hadwiger und legte den Arm mit jovialer Geberde auf dessen Schulter. »Die weibliche Figur steht unvergleichlich da«, sagte er. »Sie trägt wirklich; jeder einzelne Muskel ihres Körpers trägt. Finden Sie nicht, Heinrich? Dabei ist doch Leichtigkeit in der Bewegung, wie man etwas hält, dessen Besitz die Kräfte erhöht.«

      »Es ist eine edle Form«, bestätigte Lamberg, »und um zu ermessen, wie die Alten solche Dinge gearbeitet haben, muß man nur die Schildkröte ansehn. Welche Feinheit! Da fehlt kein Zug der Natur und doch gibt sie vor allem die Idee eines Postaments.«

      »Man ist überzeugt, daß die Last für diesen Panzer gar nicht wiegt«, versetzte Cajetan.

      »Mich dünkt bisweilen«, warf Borsati ein, »daß sich das Gesicht der Aphrodite durch einen fahleren Glanz von der Färbung des übrigen Gusses abhebt.«

      Lamberg erwiderte, er habe es auch schon beobachtet. »Nur weiß ich eben nicht, was daran die Zeit verschuldet hat«, fuhr er fort. »Bekannt ist jedenfalls, daß der Bildhauer Silanion Silber in das Erz mischte, aus dem das Antlitz der Jokaste bestand, um durch die bleichere Schattierung den Tod anzudeuten. Und um die Raserei des Athanas auszudrücken, tat Aristonidas Eisen in die Masse, wodurch er eine charakteristische Rostfarbe erzeugte. Sieht es nicht aus, als ob die Züge der Venus von einem imaginären Mond bestrahlt seien?«

      Hadwiger, der für diese Erörterungen wenig Interesse bewies, sah nach der Uhr. Lamberg fing den Blick auf und lächelte. »Warum lächeln Sie?« fragte ihn Hadwiger stirnrunzelnd. – »Wo ich Ungeduld bemerke, muß ich stets lächeln«, antwortete Lamberg mit herzlichem Ton. – »Und Sie empfinden keine? Sie erwarten nichts?« Lamberg schüttelte den Kopf. – »Und ihr erwartet auch nichts?« wandte sich Hadwiger schüchtern und erstaunt an die andern beiden. »Ich habe Franziskas Wunsch schon damals für eine Laune gehalten«, bekannte Cajetan. – »Warum sind Sie dann gekommen?« fragte Hadwiger fast schroff. – »Erstens, weil ich mit Vergnügen hier bin, zweitens, weil ich durch mein gegebenes Wort genötigt war, die Laune ernst zu nehmen«, war die Erwiderung. – »Und Sie auch, Rudolf?« – »Ich glaube nie an Programme und bin mißtrauisch gegen Verabredungen, weil sie fesseln und meist einseitig verpflichten«, sagte Borsati.

      Cajetan brachte das Gespräch auf Riccardo Troyer. Er war dem berüchtigten Ausländer mehrmals in der Gesellschaft begegnet und rühmte ihn als einen Mann von großer Welt, der einer souveränen Macht über die Menschen in jedem Fall und bis zur Frivolität sicher sei und, ob er nun geächtet oder bewundert werde, Merkmale einer dämonischen Besonderheit so deutlich an sich trage, daß man sich seinem Einfluß nicht entziehen könne. Borsati tadelte das Wort von der dämonischen Besonderheit als einen jugendlichen Galimathias; nach seiner Erfahrung seien die sogenannten dämonischen Menschen unverschämte Komödianten, sonst nichts. Aber Cajetan fuhr unbeirrt fort und sagte, er habe das Wesen nicht begriffen, das um Franziskas letzte Liaison gemacht worden, zumal die Ehe mit dem alten Armansperg keineswegs zu gutem Ende hätte führen können.

      »Aber nie zuvor hat sie sich weggeworfen«, rief Hadwiger aus.

      »Sie hat es auch in diesem Fall nicht getan«, antwortete Cajetan ernst und bestimmt. »Eine Frau wie sie folgt untrüglichen Instinkten, und selbst wenn sie den Weg ins Verderben wählt, liegt mehr Schicksal darin als wir ahnen. Sie hat sich niemals weggeworfen, das ist wahr. Wer sich hingibt, kann sich nicht wegwerfen, und es existiert eine Treue gegen das Gefühl, die von höherem Rang ist als die Treue gegen die Person.«

      Es war elf Uhr geworden, und die drei Hotelbewohner verabschiedeten sich von Lamberg. Dieser stand auf dem Balkon und lauschte noch lange ihren in der Nacht verhallenden Stimmen. Weit drunten auf der Landstraße rasselte ein Wagen. Georg Vinzenz trat ins Freie, befühlte das Gras und, da er es trocken fand, prophezeite er im stillen für den morgigen Tag schlechtes Wetter. Er ging dann in das obere Stockwerk des Hauses, öffnete die Tür zu einer dunklen Kammer und rief: »Quäcola!« Das war der Name, den er dem Schimpansen gegeben hatte. Das Tier ließ einen freudigen kleinen Schrei hören. Lamberg riegelte den Käfig auf, und der Affe folgte ihm aus dem Gemach, die Treppe hinab, in das beleuchtete Speisezimmer. Er setzte sich mit schlau betonter Bravheit und blickte lüstern nach einer mit Früchten gefüllten Schale, die auf dem Tische stand. Lamberg nickte und der Affe langte zu, ergriff eine Pflaume und biß hinein. Indessen hatte sich das Rollen jenes fernen Wagens genähert, Georg Vinzenz lauschte, eilte ans Fenster, hierauf vor die Türe, die Kutsche hielt, und Franziskas bleiches Gesicht sah aus dem Schlag. Georg Vinzenz begrüßte sie voll stummer Überraschung, und, nachdem er den Diener gerufen, damit er das Gepäck versorge, führte er sie ins Haus. »Du bist pünktlich wie ein Mitternachtsgespenst«, sagte er lächelnd und forschte in ihren Zügen, ob sie zu einem so scherzhaften Gesprächsbeginn aufgelegt sei. Sie erwiderte, an dem Gespensterhaften trüge nur die Eisenbahn schuld, und da sie eine weite Reise hinter sich habe, sei es unvermeidlich gewesen, daß sie erst in der Nacht ans Ziel gelangt sei. »Aber warum hast du mich nicht benachrichtigt?« fragte er, und als sie verwundert schien, fügte er rasch hinzu: »Ich hätte dich sonst am Bahnhof erwartet.«

      Sie trug ein dunkles Gewand. Ihre Sprache war leiser geworden, die Hand, die sie beim ersten Gruß in die seine gelegt, schmaler, kälter und schwerer. Der Mund sah wie von vielen vergeblichen Worten ermüdet aus, und unter den übermäßig strahlenden Augen befanden sich zwei fahle Schatten. Lamberg schaute sie immer aufmerksamer an, sie wich unter seinem Blick, sie erkundigte sich, ob sie einige Tage in seinem Hause bleiben könne, und nachdem er eifrig bejaht hatte, ergriff sie mit beiden Händen seine Rechte und stammelte bittend: »Aber frag’ mich nicht! Nur nicht fragen!«

      Er merkte selbst, wie wichtig es sei, nicht zu fragen. Das war nicht mehr Franziska; nicht mehr die schalkhafte, sprühende Franziska, die lebenshungrige. Es war eine Satte, eine Sieche, eine Hinfällige, eine mit letzten Kräften sich aufrecht Haltende, und ihr war eine Rast notwendig. Wie sie auf das Sopha hinfiel, den Kopf in die Arme wühlte und schluchzte! So hätte die unverwandelte Franziska niemals geweint; nicht durch Tränen, höchstens durch Lachen hätte sie Quäcola, den Schimpansen, zu einer bestürzten Flucht in den Winkel des Zimmers veranlaßt.

      Lamberg ging umher und dachte: hinter diesem Jammer liegen dunkle Wirklichkeiten. Aber er fragte mit keinem Blick seines Auges. Es wird die Stunde kommen, wo es ihr Herz zersprengt, wenn sie schweigt, sagte er sich. Seinem sanften Zuspruch gelang es, sie zu beruhigen.

      Sie saßen noch lange beisammen in dieser Nacht. Der Heuduft von den Wiesen, die Harzgerüche aus dem Wald, das weitheraufklingende Rauschen der Traun, all das trug dazu bei, daß sie sich sammeln und besinnen konnte, denn sie glich einem Menschen, der aus schweren Träumen erwacht ist.

      Lamberg teilte ihr mit, daß die andern Freunde hier seien, daß sie den Abend bei ihm zugebracht. Franziska hatte den goldenen Spiegel von seinem Gestell gehoben und blickte zerstreut auf das matte Metall der Scheibe. Plötzlich trat eine erschrockene Spannung auf ihre Züge, und sie flüsterte beengt: »Werden sie mich nicht fragen?« Lamberg, der zum offenen Fenster gegangen war, entgegnete, ohne sich umzukehren: »Nein, Franzi, sie werden nicht fragen.«

      Franziska seufzte und ließ den Kopf sinken. So blieben sie eine Weile, die Frau mit dem goldenen Spiegel, der junge Mann, in den Mond schauend, und der Affe in taktvoll beflissener Aufmerksamkeit zwischen ihnen beiden.

      Am folgenden Morgen ging Lamberg zu den Freunden ins Hotel, um sie von der Ankunft Franziskas zu benachrichtigen und was er an Aufklärung für geboten hielt, mit der ihm eigenen Mischung von Bestimmtheit und Diskretion zu äußern. Es wurde vereinbart, daß die Freunde erst am Abend kommen sollten, damit Franziska den Tag über ruhen könne. Daß man sie zu begrüßen hatte, als wenn nichts geschehen wäre, ohne fordernde Neugier mit ihr sprechen müsse, war selbstverständlich und die Art und Weise dem Takt jedes Einzelnen überlassen.

      Mittags


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