Gesammelte Werke. George Sand

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Gesammelte Werke - George Sand


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ha­ben, so glau­ben Sie fest, dass die­ses eine Lüge ist vor Gott und Men­schen. Es ist wahr, dass Ein­zel­hass und Ehr­geiz die großen Ta­ten un­se­rer Vä­ter be­fleckt ha­ben, aber nur die alte Herrsch­sucht und Hab­gier, wel­che im­mer an den Her­zen der Ad­li­gen und Rei­chen nag­ten. Sie al­lein ge­fähr­de­ten und ver­rie­ten tau­send­mal die hei­li­ge Sa­che.

      Das Volk, roh, aber auf­rich­tig, fa­na­tisch aber voll Be­geist­rung ver­leib­lich­te sich in Sek­ten, de­ren schwung­haf­te Na­men Ih­nen schon be­kannt sind. Die Ta­bo­ri­ten, die Ore­bi­ten, die Wai­sen, die Brü­der der Ge­mein­schaft – dies war die Schar, die das Mar­tyr­tum für ih­ren Glau­ben litt, sich flüch­tend in die Schluch­ten des Ge­bir­ges, streng hal­tend an dem Ge­set­ze der un­be­ding­ten Gleich­heit und Gü­ter­ge­mein­schaft, an ein ewi­ges Le­ben der See­len in den Be­woh­nern der ir­di­schen Welt glau­bend, die Wie­der­kunft und Ver­herr­li­chung Jesu Chris­ti er­war­tend und die Wie­der­kunft des Jo­hann Huß, Jo­hann Zis­ka, Pro­co­pi­us Na­sus und al­ler der un­be­zwing­li­chen Häup­ter, wel­che die Frei­heit ver­kün­digt und ihr ge­dient hat­ten.

      Die­ser Glau­be ist kei­ne Täu­schung, mei­ner Mei­nung nach, Con­sue­lo! Un­se­re Rol­le aus Er­den ist nicht so schnell aus­ge­spielt, wie es ge­mein­lich an­ge­nom­men wird und un­se­re Pf­lich­ten rei­chen über das Grab hin­aus. We­gen der in­ni­gen und kin­di­schen An­häng­lich­keit an For­men und For­meln des Hus­si­tis­mus, wel­che es dem Ka­plan und viel­leicht auch mei­nen gu­ten, schwa­chen An­ver­wand­ten ge­fällt mir bei­zu­le­gen, müs­sen Sie, auch wenn ich viel­leicht in Ta­gen der Auf­re­gung und des Fie­bers Zei­chen mit Sa­che, Bild mit Ge­dan­ken ver­wech­sel­te, mich nicht zu sehr ge­ring ach­ten, Con­sue­lo!

      Im Grun­de mei­nes We­sens habe ich nie dar­an ge­dacht, die­se al­ten, ver­ges­se­nen Bräu­che, wel­che heut zu Tage kei­nen Sinn mehr ha­ben wür­den, wie­der in mir auf­le­ben zu las­sen. An­de­re For­men, an­de­re Zei­chen müss­ten sich er­leuch­te­te Men­schen heut zu Tage set­zen, wenn sie die Au­gen öff­nen woll­ten und wenn das Joch der Skla­ve­rei den Völ­kern ver­stat­te­te, die Re­li­gi­on der Frei­heit zu su­chen.

      Mit Här­te hat man und falsch hat man mei­ne Sym­pa­thi­en, mei­ne Nei­gun­gen, mei­ne Ge­wohn­hei­ten aus­ge­legt. Müde, die Dür­re und die Ei­tel­keit des Tich­tens und Trach­tens der Men­schen in un­se­rer Zeit mit an­zu­se­hen, habe ich das Be­dürf­nis ge­fühlt, mein mit­lei­den­des Herz im Um­gan­ge mit ein­fäl­ti­gen oder un­glück­li­chen Geis­tern zu er­qui­cken. Mit die­sen Tol­len, die­sen Land­strei­chern, al­len die­sen aus dem Erbe der ir­di­schen Gü­ter und der Lie­be ih­rer Mit­ge­schöp­fe ver­sto­ße­nen Kin­dern pflog ich gern Um­gang, um in dem un­schul­di­gen Fan­ta­sie­ren de­rer, die man Irre nennt, die flüch­ti­gen doch oft über­ra­schen­den Blit­ze des gött­li­chen Geis­tes zu er­ha­schen, und in den Be­kennt­nis­sen de­rer, die man Straf­ba­re und Ver­wor­fe­ne nennt, die tie­fen, ob­wohl be­fleck­ten Spu­ren der in der Ge­stalt von Reue und Ge­wis­sens­schlä­gen sich of­fen­ba­ren­den Ge­rech­tig­keit und ur­sprüng­li­chen Rein­heit.

      Wenn man mich so ver­fah­ren, wenn man mich am Ti­sche des Un­ge­lehr­ten und am Kopf­kis­sen des Räu­bers sit­zen sah, so hat man lieb­reich dar­aus ge­schlos­sen, dass ich ket­ze­ri­sche Prak­ti­ken und so­gar He­xen­küns­te trie­be. Was kann ich auf sol­che Be­schul­di­gun­gen ant­wor­ten? Und wenn mein Geist, hin­ge­ris­sen von For­schun­gen und Be­trach­tun­gen über die Ge­schich­te mei­nes Lan­des sich in Re­den ver­riet, die wie Wahn­sinn klan­gen und es viel­leicht auch wa­ren, so hat man Furcht vor mir ge­habt, als vor ei­nem vom Teu­fel Be­ses­se­nen … Der Teu­fel! Wis­sen Sie, Con­sue­lo, was das ist? Und soll ich Ih­nen die­se von den Pries­tern al­ler Völ­ker ge­schaf­fe­ne, ge­heim­nis­vol­le Al­le­go­rie er­klä­ren?

      – Ja, mein Freund! sag­te Con­sue­lo, die ganz zu­ver­sicht­lich ge­wor­den und fast schon ge­won­nen, ihre Hand in Al­ber­t’s Hän­den ver­ges­sen hat­te. Er­klä­ren Sie mir was Sa­tan ist. Ih­nen die Wahr­heit zu sa­gen, so habe ich, ob­schon ich im­mer an Gott glaub­te und mich nie of­fen­bar wi­der das auf­lehn­te, was mir ge­lehrt ward, an den Teu­fel den­noch nie­mals glau­ben kön­nen. Wenn er wäre, so wür­de ihn Gott ge­wiss so fern von sich und uns an­ket­ten, dass wir nichts von ihm er­füh­ren.

      Wie kam es aber, dass die Pries­ter nach der Pre­digt Jesu und dem hel­len Leuch­ten des Evan­ge­li­ums es noch wa­gen konn­ten in dem Geis­te der spä­tern Völ­ker den kin­di­schen Glau­ben ih­rer ur­al­ten Vor­fah­ren wie­der zu be­le­ben? Weil die Leh­re vom Gu­ten und Bö­sen, sei es durch einen Man­gel, sei es durch das Miss­ver­ständ­nis der apo­sto­li­schen Leh­re, noch dun­kel und un­ent­wi­ckelt ge­blie­ben war. Man hat­te einen durch­gän­gi­gen Ge­gen­satz in den Rech­ten und der Be­stim­mung des Geis­tes und des Flei­sches, in al­len At­tri­bu­ten des Ewi­gen und Zeit­li­chen zum Grund­satz er­ho­ben.

      Die christ­li­che Asce­tik hob die See­le em­por und kas­tei­e­te den Leib. Da nach und nach durch Schwär­me­rei die Kreu­zi­gung des Leib­li­chen bis ins äu­ßers­te Über­maß ge­trie­ben wur­de, wäh­rend die mensch­li­che Ge­sell­schaft der Leh­re Jesu zum Trot­ze der Kas­ten­ein­tei­lung treu ge­blie­ben war, so fuhr ein klei­ner Teil der Men­schen fort im Geis­te zu le­ben und zu herr­schen, wäh­rend die große Mas­se sich in der Nacht des Aber­glau­bens ge­dan­ken­los fort­schlepp­te.

      Es war da­mals wirk­lich so, dass die den­ken­de und mäch­ti­ge Klas­se, in­son­der­heit die Geist­lich­keit, die See­le der Ge­sell­schaft bil­de­te, und dass das Volk nur de­ren Leib war. Wer war aber in die­sem Sin­ne der wah­re Schutz­herr der er­leuch­te­ten Men­schen? Gott! Und der Un­wis­sen­den? Der Teu­fel! Denn Gott schenk­te das geis­ti­ge Le­ben und ver­damm­te den Dienst der Sin­ne, zu wel­chem Sa­tan al­le­zeit die schwa­chen und ro­hen Men­schen ver­führ­te.

      Eine selt­sa­me, mys­ti­sche Sek­te, die un­ter vie­len an­de­ren auf­tauch­te, sann es sich aus, das Fleisch in sei­ne Rech­te wie­der ein­zu­set­zen und die will­kür­lich ge­trenn­ten bei­den Ur­we­sen wie­der in ein ei­ni­ges gött­li­ches Prin­zip zu ver­schmel­zen. Sie woll­te die Lie­be, die Gleich­heit, die Ge­mein­schaft al­ler, die Grund­la­gen der mensch­li­chen Wohl­fahrt hei­li­gen. Der Ge­dan­ke war ge­recht und gut. Aber wie groß war die Ver­ir­rung und das Un­maß, wozu er führ­te! Was tut es?

      Die­se Sek­te such­te also aus der Ver­sto­ßen­heit das vor­geb­li­che Prin­zip des Bö­sen zu rei­ßen und es zum Die­ner und Werk­füh­rer


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