Gesammelte Werke. George Sand

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Gesammelte Werke - George Sand


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Wenn ich nicht fürch­ten müss­te, dass sie er­mü­det wäre … sag­te der Graf mit Au­gen, die schon vor Un­ge­duld und Be­gier­de fun­kel­ten.

      Con­sue­lo rich­te­te die ih­ri­gen voll Kind­lich­keit auf Por­po­ra, wie um sei­ne Wei­sung ein­zu­ho­len.

      In der Tat, sag­te die­ser, da sie nicht von solch ei­nem bi­schen Sin­gen müde wird, und da wir nun ein­mal in klei­ner und er­le­se­ner Ge­sell­schaft hier bei­sam­men sind, so könn­te man wohl füg­lich ihr Ta­lent nach al­len Sei­ten auf die Pro­be stel­len. Wohl­an, Herr Graf, wäh­let eine Arie und be­glei­tet sie auch gleich am Kla­vie­re.

      – Con­sue­lo’s Stim­me und Ge­gen­wart, ver­setz­te Zus­ti­nia­ni, wür­den mich so be­we­gen, dass ich nicht für falsche No­ten ein­ste­he. Wa­rum wollt ihr selbst, lie­ber Meis­ter, nicht spie­len?

      – Ich möch­te sie gern sin­gen se­hen, er­wi­der­te Por­po­ra; denn, un­ter uns ge­sagt, ich habe sie im­mer ge­hört und nie dar­an ge­dacht, sie zu se­hen. Ich muss doch auch wis­sen, wie sie sich hält und was sie mit Mund und Au­gen macht. Nun, steh auf, Kind, du sollst auch vor mir dei­ne Pro­be ab­le­gen.

      – Da wer­de ich also be­glei­ten, rief An­zo­le­to und setz­te sich an das Kla­vier.

      – Ihr wer­det mich zu ängst­lich ma­chen, lie­ber Meis­ter, sag­te Con­sue­lo zu Por­po­ra.

      – Ängst­lich­keit, ant­wor­te­te der Leh­rer, ge­hört nur für die Nar­ren. Wer von wah­rer Lie­be für sei­ne Kunst durch­glüht ist, braucht sich nicht zu fürch­ten. Wenn du zit­tern kannst, so bist du bloß von Ei­tel­keit be­ses­sen; wenn dir dei­ne Mit­tel aus­ge­hen kön­nen, so steht dir nur Blend­werk zu Ge­bo­tes und wenn das wäre, so bin ich der ers­te, der ohne Um­schwei­fe sa­gen wird: die Con­sue­lo ist nichts nut­ze.

      Ohne sich im min­des­ten dar­um zu küm­mern, ob die zar­te Ma­nier, mit wel­cher er sei­ner Schü­le­rin Mut ein­sprach, sie nicht noch mehr um ihre Fas­sung brin­gen möch­te, setz­te der Pro­fes­sor sei­ne Bril­le auf, stell­te sei­nen Stuhl ihr ge­ra­de ge­gen­über und schick­te sich an, auf der Ecke des Flü­gels den Takt zu schla­gen; um das Ri­tor­nell in rich­ti­gen Gang zu brin­gen.

      Der Graf hat­te eine bril­lan­te, krau­se und schwe­re Arie von Ga­lup­pi aus der Buf­fa-Oper la Dia­vo­lessa ge­wählt, um Con­sue­lo plötz­lich in eine Gat­tung zu füh­ren, wel­che der­je­ni­gen, worin sie am Mor­gen ge­glänzt hat­te, schnur­ge­ra­de ent­ge­gen­stand. Das jun­ge Mäd­chen be­saß eine so wun­der­ba­re Leich­tig­keit, dass sie es fast ohne Stu­di­um da­hin ge­bracht hat­te, mit ih­rer bieg­sa­men und mäch­ti­gen Stim­me alle da­mals üb­li­chen Kraft­gän­ge spie­lend aus­zu­füh­ren. Por­po­ra hat­te ihr sol­che Übun­gen emp­foh­len und von Zeit zu Zeit sich vor­ma­chen las­sen, um sich zu über­zeu­gen, ob sie die­sel­ben auch nicht ver­nach­läs­sig­te. Je­doch hat­te er nie­mals Zeit und Auf­merk­sam­keit ge­nug dar­auf ver­wen­det, um das, was sei­ne wun­der­ba­re Schü­le­rin in die­ser Art zu leis­ten ver­moch­te, sei­nem gan­zen Um­fan­ge nach zu ken­nen.

      Con­sue­lo war ein Schelm: sie woll­te sich an ih­rem Leh­rer für die Derb­hei­ten rä­chen, die er ihr so eben ge­sagt hat­te, und über­lud die oh­ne­hin aus­schwei­fen­de Arie der Dia­vo­les­sa mit ei­ner Men­ge da­mals noch un­mög­lich ge­glaub­ter Läu­fer und Ma­nie­ren, wel­che sie mit ei­ner sol­chen Ruhe im­pro­vi­sier­te, als hät­te sie sie zu­vor sorg­fäl­tig in No­ten ge­setzt und stu­diert ge­habt. Ihre Ver­zie­run­gen wa­ren so kunst­reich mo­du­liert, so voll Kraft und Schwung, so sa­ta­nisch, so er­schüt­ternd im Über­gang aus wil­der Lus­tig­keit in wim­mern­de Angst, dass plötz­lich ein Schau­er des Ent­set­zens die Be­geis­te­rung der Zu­hö­rer durch­brach, und dass Por­po­ra, jäh­lings auf­sprin­gend, mit star­ker Stim­me rief: Du, du bist der leib­haf­te Teu­fel! Con­sue­lo schloss die Arie mit ei­nem Bra­vour Cre­scen­do, wel­ches einen all­ge­mei­nen Schrei der Be­wun­de­rung her­vor­rief, wäh­rend sie sich laut la­chend auf ih­ren Stuhl setz­te.

      – Bö­ses Mäd­chen, sag­te Por­po­ra, du hast mir einen hän­gens­wer­ten Streich ge­spielt. Du hast mich zum Bes­ten ge­habt. Du hast vor mir die Hälf­te dei­ner Stu­di­en und dei­ner Hilfs­mit­tel ver­steckt ge­hal­ten. Ich hat­te dir schon lan­ge nichts mehr zu leh­ren, und aus Heu­che­lei hast du bei mir Stun­de ge­nom­men, was weiß ich? viel­leicht um mir noch alle Ge­heim­nis­se der Kom­po­si­ti­on und des Un­ter­rich­tens ab­zu­lo­cken, da­mit du mich in al­len Din­gen aus­ste­chen könn­test, da­mit ich hin­ter­her als ein al­ter ab­ge­nutz­ter Schul­meis­ter da­stün­de.

      – Lie­ber Meis­ter, ent­geg­ne­te Con­sue­lo, ich habe Ih­nen bloß den Streich nach­ge­tan, den Sie dem Kai­ser Carl ge­spielt ha­ben. Er­zähl­ten Sie mir nicht die Ge­schich­te? Wie Se. Kai­ser­li­che Ma­je­stät die Tril­ler nicht lei­den moch­te, und Ih­nen ver­bo­ten hat­te, einen ein­zi­gen in Ihrem Ora­to­ri­um an­zu­brin­gen, und wie Sie dem Ver­bo­te bis an das Fina­le ge­wis­sen­haft nach­ge­kom­men und dann in der Schluss­fu­ge ihm ein Di­ver­tis­se­ment im neues­ten Ge­schmack lie­fer­ten, vier auf­stei­gen­de Tril­ler im The­ma, die sich hieraus durch alle Stim­men bis ins stret­to end­los wie­der­hol­ten. Sie ha­ben heu­te Abend ge­gen den Miss­brauch der Ver­zie­run­gen ge­ei­fert, und hin­ter­her mich wel­che ma­chen las­sen. Nun mach­te ich ih­rer zu vie­le, um Ih­nen zu zei­gen, dass auch ich wohl eine Ver­kehrt­heit über­trei­ben kann, wo­für ich mich wil­lig schel­ten las­se.

      – Ich sage dir, du bist der Teu­fel, er­wi­der­te Por­po­ra. Jetzt sing’ uns et­was Men­sch­li­ches, und sin­ge wie du willst; denn ich sehe schon, mit mei­ner Leh­rer­schaft bin ich bei dir zu Ende.

      – Sie wer­den stets mein Leh­rer sein, den ich ehre und lie­be, rief sie und warf sich um sei­nen Hals und drück­te ihn zum Er­sti­cken; Ih­nen ver­dank’ ich seit zehn Jah­ren mein Brot und mei­nen Un­ter­richt. O, lie­ber Leh­rer! Sie ha­ben, wie man mir ge­sagt hat, vie­le Un­dank­ba­re ge­macht; mir aber möge Gott sei­ne Lie­be und mei­ne Stim­me im Au­gen­blick ent­zie­hen, wenn ich das Gift des Hoch­muts und der Un­dank­bar­keit in mei­nem Her­zen ber­ge!

      Por­po­ra wur­de bleich, stam­mel­te ein Paar Wor­te und drück­te einen vä­ter­li­chen Kuss auf die Stirn sei­ner Schü­le­rin: eine Trä­ne ließ er dort zu­rück, und Con­sue­lo, wel­che sie nicht ab­zu­wi­schen wag­te, fühl­te die kal­te, schmerz­li­che Trä­ne des ver­las­se­nen Al­ters, des un­glück­li­chen Ge­nies auf ih­rer Stir­ne lang­sam trock­nen. Sie wur­de tief da­von be­wegt, und es war als emp­fän­de sie einen from­men Schau­der, wel­cher alle ihre Fröh­lich­keit er­stick­te und ihre Be­geis­te­rung für den Rest des Abends aus­lösch­te.

      Eine Stun­de lang er­schöpf­te sich al­les um­her in Aus­drücken der Be­wun­de­rung, des Stau­nens und Ent­zückens, ohne dass es ge­lang, ihre Schwer­mut zu zer­streu­en und zu­letzt bat man sie um eine Pro­be ih­res dra­ma­ti­schen Tal­ents. Sie sang eine große Arie aus Jo­mel­li’s »Ver­las­se­ner Dido«. Nie hat­te sie das Be­dürf­nis stär­ker emp­fun­den, ih­rer Trau­rig­keit Luft zu ma­chen; ihr Vor­trag war er­ha­ben, voll Pa­thos, ein­fach und groß, und ihr An­blick war noch schö­ner als in der Kir­che. Ihre Wan­gen hat­ten einen An­flug von fie­ber­haf­tem Rot, ihre Au­gen schos­sen düs­te­re Blit­ze: jetzt war sie nicht mehr eine Hei­li­ge: sie war Bes­se­res – ein von Lie­be ver­zehr­tes Weib. Der Graf, sein Freund Bar­be­ri­go,


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