Auch Zwerge werfen lange Schatten. Karl Kraus

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Auch Zwerge werfen lange Schatten - Karl  Kraus


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      Erkenntnisse des erotischen Lebens gehören der Kunst, nicht der Bildung. Nur manchmal müssen sie den Analphabeten vorbuchstabiert werden. Es kommt vor allem darauf an, die Analphabeten zu überzeugen, da sie ja die Strafgesetze machen.

      Das Christentum hat die erotische Mahlzeit um die Vorspeise der Neugier bereichert und durch die Nachspeise der Reue verdorben.

      Gewissensbisse sind die sadistischen Regungen des Christentums.

       Christlicher Umlaut

      Seit die Lust aus der Welt entschwand und die Last ihr beschieden,

      Lebt sie am Tag mit der Last, flieht sie des Nachts zu der List.

      Der Judaskuss, den die christliche Kultur dem menschlichen Geiste gab, war der letzte Geschlechtsakt, den sie gewährte.

      Die Tantaluswonnen gehören in die Mythologie des Christentums.

      Die Menschheit ist im Mittelalter hysterisch geworden, weil sie die sexuellen Eindrücke ihrer griechischen Knabenzeit schlecht verdrängt hat.

      III. MENSCH UND NEBENMENSCH

      Der Übermensch ist ein verfrühtes Ideal, das den Menschen voraussetzt.

      Wer andern keine Grube gräbt, fällt selbst hinein.

      Kein Zweifel, der Hund ist treu. Aber sollen wir uns deshalb ein Beispiel an ihm nehmen? Er ist doch dem Menschen treu und nicht dem Hund.

      Unter Dankbarkeit versteht man gemeinhin die Bereitwilligkeit, lebenslänglich Salbe aufzuschmieren, weil man einmal Läuse gehabt hat.

      Nichts ist dem Kommis teurer als sein Ehrenwort. Aber bei Abnahme einer größeren Partie wird Rabatt gewährt.

      Die Ehre ist der Wurmfortsatz im seelischen Organismus. Ihre Funktion ist unbekannt, aber sie kann Entzündungen bewirken. Man soll sie getrost den Leuten abschneiden, die dazu inklinieren, sich beleidigt zu fühlen.

      Wie souverän doch ein Dummkopf die Zeit behandelt! Er vertreibt sie sich oder schlägt sie tot. Und sie lässt sich das gefallen. Denn man hat noch nie gehört, dass die Zeit einen Dummkopf vertrieben oder totgeschlagen hat.

      Fluch dem Gesetz! Die meisten meiner Mitmenschen sind traurige Folgen einer unterlassenen Fruchtabtreibung.

      Nichts ist engherziger als Chauvinismus oder Rassenhass. Mir sind alle Menschen gleich, überall gibt’s Schafsköpfe, und für alle habe ich die gleiche Verachtung. Nur keine kleinlichen Vorurteile!

      Am Chauvinismus ist nicht so sehr die Abneigung gegen die fremden Nationen als die Liebe zur eigenen unsympathisch.

      Religion, Moral und Patriotismus sind Gefühle, die sich erst dann bekunden, wenn sie verletzt werden. Der Sprachgebrauch, welcher sagt, dass einer, der leicht zu beleidigen ist, „gern“ beleidigt ist, hat recht. Jene Gefühle lieben nichts so sehr wie ihre Kränkung, und sie leben ordentlich auf in der Beschwerde über den Gottlosen, den Sittenlosen, den Vaterlandslosen. Den Hut vor der Monstranz zu ziehen ist bei Weitem keine so große Genugtuung, wie ihn jenen vom Kopf zu schlagen, die andersgläubig oder kurzsichtig sind.

      Der Scharfsinn der Polizei ist die Gabe, alle Menschen eines Diebstahls für fähig zu halten, und das Glück, dass sich die Unschuld mancher nicht erweisen lässt.

      Ein Polizist nimmt es meistens übel, wenn man ihn in eine Amtshandlung einmengt.

      Alles Leben in Staat und Gesellschaft beruht auf der stillschweigenden Voraussetzung, dass der Mensch nicht denkt. Ein Kopf, der nicht in jeder Lage einen aufnahmsfähigen Hohlraum darstellt, hat es gar schwer in der Welt.

      Bei gleicher Geistlosigkeit kommt es auf den Unterschied der Körperfülle an. Ein Dummkopf sollte nicht zu viel Raum einnehmen.

      Der Geist enttäuscht im persönlichen Verkehr, aber die Dummheit ist immer produktiv. Lässt man sie auf den Geist einwirken, so kann sie eine vollständige Ermüdung erzeugen, während dieser auf die Dummheit keinerlei belebenden Einfluss hat. Wie man im Gespräch mit einem Schwachkopf körperlich verfällt, wie die Gesichtsfarbe fahl und die Haut schlaff wird, das sollte ein medizinisches Problem sein. Man hat vielleicht um ein Pfund abgenommen, und das ist, wie jede forcierte Abmagerungskur, bedenklich.

      Nicht auf alle Grüße muss man antworten. Vor allem nicht auf solche, die bloß eine Bitte um Gunst ausdrücken. Der Gruß an einen Kritiker ist der Gruß der Furcht, er ist nicht höher zu werten als der Fiakergruß, der ein Gruß der Hoffnung ist: Die Grüßenden wünschen sich selbst einen guten Tag. Man soll die Gesinnung, die eine Freundlichkeit zu gewinnsüchtigen Zwecken missbraucht, nicht auch noch mit einer körperlichen Unbequemlichkeit belohnen.

      Viele haben den Wunsch, mich zu erschlagen. Viele den Wunsch, mit mir ein Plauderstündchen zu verbringen. Gegen jene schützt mich das Gesetz.

      Eine merkwürdige Art Mensch ist der Beamte eines magistratischen Bezirksamtes. Erledige ich eine Angelegenheit schriftlich, so lädt er mich vor. Gehe ich das andere Mal gleich selbst hin, so fordert er mich auf, eine Eingabe zu machen. Ich muss rein auf die Vermutung kommen, dass er das eine Mal mich kennenlernen und das andere Mal ein Autogramm von mir haben wollte.

      Sorrent,


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