Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

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Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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La­nin woll­te da­von nichts hö­ren, das sei die wür­digs­te Be­schäf­ti­gung ei­nes Man­nes. – End­lich kam Fräu­lein Sal­ly mit Tee und But­ter­brot. Sie schenk­te den Tee selbst ein; dann saß sie ne­ben ih­rer Mut­ter und nahm an der Un­ter­hal­tung teil; sie wand­te sich je­doch nur an ihre El­tern. »Ach!« rief sie, »er­zählt Papa wie­der von dem gars­ti­gen Men­schen, der be­tro­gen hat? Ich kann es gar nicht be­grei­fen, dass es so gars­ti­ge Men­schen ge­ben kann!« Worauf Am­bro­si­us er­wi­der­te, dass auch – so­zu­sa­gen – Wel­ten zwi­schen ihr und je­nen Men­schen lä­gen.

      Am­bro­si­us soll­te den heu­ti­gen Tag na­tür­lich nur den Da­men und der Un­ter­hal­tung wid­men. Von Ge­schäf­ten soll­te nicht die Rede sein. Den­noch wünsch­te er den Schau­platz sei­ner künf­ti­gen Wirk­sam­keit zu se­hen, und sein On­kel führ­te ihn in das Hei­lig­tum ein.

      »Du siehst, mein Lie­ber«, sag­te er und klopf­te mit der fla­chen Hand zärt­lich auf eine He­ring­ston­ne, »du siehst, hier ist al­les ein­fach, prak­tisch; nichts von un­nüt­zem Lu­xus; kein Blend­werk – kein Schwin­del. So­lid, mein Lie­ber, so­lid, das ist die Lo­sung!«

      »Hm – ja«, mein­te Am­bro­si­us, »das ist das Wah­re. Es sieht hier al­ler­dings sehr re­ell aus.«

      Aus ei­ner fins­tern Ecke fuhr Lurch her­vor – scheu, bleich und fa­den­schei­nig; die stau­bi­ge Nym­phe die­ser stau­bi­gen Grot­te.

      »Die­ses«, sag­te Herr La­nin und wies auf sei­nen Kom­mis mit dem Zei­ge­fin­ger, als wäre er nur eine große Kon­ser­ve, »die­ses ist Lurch.«

      Die bei­den jun­gen Leu­te ver­beug­ten sich ge­gen­ein­an­der. Am­bro­si­us steif und hoch­mü­tig, Lurch äu­ßerst ge­len­kig und has­tig.

      »Lurch ist mein Ge­hil­fe«, er­klär­te Herr La­nin. Lurch er­griff ver­wirrt ein Pa­ket Lich­te und rieb sich da­mit die Nase, bis sein Prin­zi­pal tro­cken be­merk­te: »Was wol­len Sie mit den Lich­ten? Es ist ja nie­mand da.«

      »Ich dach­te – –«, stot­ter­te Lurch, Herr La­nin aber schenk­te ihm kei­ne Be­ach­tung wei­ter, son­dern be­gann die An­ord­nung der ver­schie­de­nen Ge­gen­stän­de zu er­klä­ren; er setz­te aus­ein­an­der, dass er bei Auf­stel­lung der Ar­ti­kel ein be­stimm­tes, so­zu­sa­gen ma­the­ma­ti­sches Sys­tem be­fol­ge: »Die Nach­fra­ge be­stimmt je­der Sa­che ih­ren Platz. Ge­wöhn­li­che Din­ge, Din­ge des täg­li­chen Le­bens, wie Sei­fe, Ker­zen – ste­hen nied­rig, leicht er­reich­bar, an­de­re, wie Oran­gen, teu­re Zi­gar­ren – hö­her, wei­ter fort. So ent­steht ein qua­si ar­chi­tek­to­ni­sches Gan­zes, in­dem Oran­gen, Sei­fe, He­rin­ge qua­si Bau­stei­ne sind, die ih­ren be­stimm­ten Platz ha­ben und, nach der Be­rech­nung ei­nes je­den den­ken­den Men­schen, kei­nen an­de­ren Platz ha­ben kön­nen.«

      Am­bro­si­us bil­lig­te die­ses Ver­fah­ren; er nann­te es wei­se und zweck­mä­ßig. Sein On­kel füg­te noch ein­ge­hen­de­re Er­ör­te­run­gen hin­zu, führ­te Bei­spie­le an. Er nahm an, Am­bro­si­us wol­le grü­ne Sei­fe kau­fen – nur eine An­nah­me »sub­sti­tu­ier­te« das. Gut! So­gleich sprang Herr La­nin an ein Schub­fach, hob eine sehr un­rei­ne Büch­se em­por und lach­te. Woll­te da­ge­gen Am­bro­si­us eine fei­ne Ha­van­na rau­chen, wie­der­um nur An­nah­me, dann muss­te Herr La­nin eine klei­ne Lei­ter hin­an­klim­men, um eine Zi­gar­ren­kis­te vor­zu­zei­gen. Am­bro­si­us folg­te dem al­len mit Auf­merk­sam­keit, lach­te, wenn die Sei­fe oder die Zi­gar­ren wirk­lich zum Vor­schein ka­men, und sag­te un­zäh­li­ge Mal »Ja!« – Ab und zu kam Fräu­lein Sal­ly her­ein. Sie war je­des­mal über­rascht, die Her­ren hier zu fin­den. Be­fahl Lurch un­ter be­stän­di­gem La­chen, Tee und ein Stück Käse her­zu­ge­ben, schrie auf, weil sie den Käse nicht an­fas­sen moch­te, und ver­schwand wie­der wie ein net­ter klei­ner Brau­se­wind, der sie war.

      Die Her­ren tra­ten auf die nied­ri­ge Trep­pe des La­dens hin­aus und schau­ten auf den Markt­platz hin­ab. Die Vor­über­ge­hen­den blie­ben ste­hen und mus­ter­ten Lan­ins Neu­en, der dann sei­ne schö­ne Ge­stalt reck­te, ei­ni­ge ab­ge­run­de­te Be­we­gun­gen mit den Ar­men mach­te oder auch wohl, auf das Rat­haus deu­tend, mit lau­ter Stim­me sag­te: »Der Bau ist gut – der so­ge­nann­te Re­naissance-Stil.«

      Es war schon spät abends. Herr La­nin blin­zel­te hef­tig mit den Au­gen­li­dern, gähn­te ei­ni­ge Mal dis­kret und zog sich dann in sein Stu­dier­zim­mer zu­rück, um noch einen ju­ris­ti­schen Fall zu über­den­ken. Frau La­nin wur­de in ih­rem großen Ses­sel sehr schweig­sam. Fräu­lein Sal­ly aber und Am­bro­si­us sa­ßen noch am Fens­ter bei­ein­an­der und lern­ten sich ken­nen. Die Lam­pe war nicht an­ge­zün­det wor­den. Ein grau­es Zwie­licht wal­te­te im Ge­mach. Die Ti­sche, die Ses­sel, die Haus­frau la­gen wie dunkle Schat­ten­mas­sen im Hin­ter­grun­de. Im hel­le­ren Rah­men des ge­öff­ne­ten Fens­ters zeich­ne­ten sich die Pro­fi­le der bei­den jun­gen Leu­te scharf ab. Die­se Pro­fi­le be­weg­ten sich, nä­her­ten sich, fuh­ren wie­der aus­ein­an­der, beug­ten sich dann wie­der ge­mes­sen und höf­lich vor. Die Un­ter­hal­tung ward halb­laut ge­führt; mit ge­wis­ser Re­gel­mä­ßig­keit wech­sel­te der Dis­kant mit dem Bass.

      »O ja, ich habe eine Freun­din«, sag­te Fräu­lein Sal­ly weich.

      »Wirk­lich? Doch na­tür­lich!«

      Am­bro­si­us’ Stim­me klang, als müs­se er be­stän­dig das La­chen un­ter­drücken. »Na­tür­lich! Eine jede jun­ge Dame hat eine Freun­din. Na­tür­lich!«

      »Na­tür­lich?« mein­te Fräu­lein Sal­ly und neig­te ih­ren Kopf me­lan­cho­lisch zur Sei­te. »Es ist nicht so na­tür­lich. Nicht eine jede hat das Glück, eine See­le zu fin­den, die sie ver­steht. Mir – mir fällt es be­son­ders schwer, denn, se­hen Sie, Cou­sin, ich ver­lan­ge viel – sehr viel.«

      »Aber Sie ha­ben ge­fun­den?«

      »Ja! Vi­el­leicht! Das heißt, wir lie­ben uns; aber – ver­ste­hen Sie, ich wer­de mehr ge­liebt. Es ist viel­leicht nicht recht, aber – – –« Fräu­lein Sal­ly schwieg und sann in das Däm­mer­licht hin­ein.

      »Ich ver­ste­he – hm –« ver­setz­te Am­bro­si­us, »Sie sind, so­zu­sa­gen, mehr emp­fan­gend; das Fräu­lein Freun­din mehr ge­bend – hm – hin­ge­bend. Sie, Cou­si­ne, sind dann wohl auch mehr herr­schend?«

      »Vi­el­leicht.«

      »Oh, ge­wiss, ge­wiss!« neck­te Am­bro­si­us.

      »Aber ich lie­be sie den­noch sehr.«

      »Ha­ben Sie kei­ne Ge­heim­nis­se vor­ein­an­der?«

      »Sie hat kei­nes, nein; aber ich« – Fräu­lein Sal­ly seufz­te und leg­te die Hand auf die­je­ni­ge Stel­le des schwar­zen Klei­des, un­ter der das ge­heim­nis­vol­le Herz schlug. Am­bro­si­us lach­te hef­tig und droh­te mit dem klei­nen Fin­ger. Er fand das köst­lich. »Also, Sie ha­ben doch Ihre Ge­heim­nis­se. Da­men ha­ben im­mer Ge­heim­nis­se, im­mer.«

      »Her­ren nicht?« frag­te Sal­ly schel­misch.

      »Nein! Das ist Sa­che der Da­men. Ich wüss­te gern die­se Ge­heim­nis­se.«

      »Oh, die Her­ren sind im­mer so neu­gie­rig.«

      »Es ist Wiß­be­gier­de. Neu­gie­rig sind ja – hm – spe­zi­fisch


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