Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

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Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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Sal­ly sin­nend, »ei­gent­lich nicht, das heißt, die Her­ren fin­den sie nicht hübsch, glau­be ich. Mir ge­fällt ihr Ge­sicht. Die Her­ren ur­tei­len auch im­mer so streng.« Am­bro­si­us lach­te; dann ward er ernst, blick­te me­lan­cho­lisch auf den Markt­platz hin­ab und mein­te: »Ach nein! Die Da­men sind hart und grau­sam.« So ging die Un­ter­hal­tung fort, als plötz­lich ein lau­tes Stöh­nen aus der Ecke, in der Frau La­nin saß, er­scholl.

      »Was ist dir, Mama?« rief Fräu­lein Sal­ly.

      »Ach Gott!« wim­mer­te Frau La­nin, »wie bin ich er­schro­cken! Mein Gott!«

      »Was gib­t’s denn? Sage!«

      »Mir träum­te, ich zer­schlug die große Lam­pe. Pfui! Mein Gott!«

      »Wie kann man so et­was träu­men!« mein­te Fräu­lein Sal­ly ver­ächt­lich, und Am­bro­si­us füg­te trös­tend hin­zu: »Träu­me sind ja nur Schäu­me.«

      »Gott sei Dank, ja! Aber ein Schreck war das!« klag­te die alte Dame, »nun ist’s vor­über. Ge­hen wir zu Bett. Gute Nacht, Am­bro­si­us.«

      Auch Fräu­lein Sal­ly reich­te ih­rem Vet­ter die Hand und sag­te: »Den­ken Sie dar­an, was ich Ih­nen sag­te.« – »Ge­wiss, ganz ge­wiss! Das ver­ges­se ich nicht«, ver­si­cher­te er und drück­te zart die klei­ne Hand, ob­gleich er nicht si­cher war, wel­chen der Aus­fäl­le ge­gen »die Her­ren« er sich mer­ken soll­te.

      Achtes Kapitel

      Beim nächs­ten Zu­sam­men­tref­fen in der Schu­le schenk­te Fräu­lein Sal­ly ih­rer Freun­din kei­ne Be­ach­tung. Sie hat­te für Rosa nur flüch­ti­ge Mit­leids­bli­cke. Sie tat ihr leid, das arme Ge­schöpf, das kei­nen Vet­ter hat­te, mit dem sie sich geist­reich ne­cken konn­te. Noch woll­te sie ihr aber nichts von die­sem Vet­ter er­zäh­len, der Ver­rat an der Freund­schaft muss­te be­straft wer­den. Fräu­lein Sal­ly ließ sich nur her­bei, ge­gen Ma­ri­an­ne Schulz leicht­hin zu be­mer­ken: »Gott, ich bin müde! Ich habe mich ges­tern bis spät in die Nacht hin­ein mit mei­nem Cou­sin un­ter­hal­ten.«

      Ma­ri­an­ne riss die Au­gen auf und frag­te: »Ha­ben Sie denn einen Cou­sin?«

      Fräu­lein Sal­ly lach­te und stieß ihre Nach­ba­rin mit dem El­len­bo­gen: »Hö­ren Sie doch! Ma­ri­an­ne weiß nicht ein­mal, dass ges­tern mein Cou­sin an­ge­kom­men ist.«

      »Aber Ma­ri­an­ne!« mein­te die Nach­ba­rin ver­ächt­lich.

      All­zu­lan­ge ver­moch­te Fräu­lein Sal­ly je­doch nicht zu zür­nen.

      Als Rosa am Nach­mit­tage über den Markt­platz ging, wink­te Fräu­lein Sal­ly ihr freund­lich zu und rief: »Rosa, mein Herz! Wo­hin?«

      Rosa trat an das Fens­ter und be­rich­te­te: Zu Hau­se sei es zu schwül ge­we­sen, dar­um sei sie spa­zie­ren­ge­gan­gen.

      Fräu­lein Sal­ly saß am Fens­ter und hielt einen Ro­man in der Hand. Es war noch je­mand im Ge­mach und rauch­te. Rosa ver­moch­te ihn nicht deut­lich zu se­hen, da er seit­ab vom Fens­ter stand, sie zwei­fel­te je­doch nicht dar­an, dass es der Neue sei.

      »Kommst du nicht her­ein, lie­be Rosa? Es sitzt sich hier ganz al­ler­liebst.«

      Rosa fand ihre Freun­din heu­te un­ge­wöhn­lich sanft; auch be­merk­te sie an ihr ei­ni­ge fei­ne Hand­be­we­gun­gen, die sie noch nicht kann­te. Sie wun­der­te sich nicht dar­über, denn die Zi­ga­ret­te, die im Hin­ter­grun­de des Ge­ma­ches leuch­te­te, übte auch auf Rosa ih­ren Ein­fluss aus und mach­te, dass sie man­ches tat und sag­te, was ihr nicht ganz na­tür­lich war.

      Rosa woll­te der Ein­la­dung ih­rer Freun­din nicht Fol­ge leis­ten, sie hat­te sich vor­ge­nom­men, spa­zie­ren­zu­ge­hen, und Sal­ly wuss­te ja, wenn sie sich et­was vor­nahm…

      »Oh, der klei­ne Ei­gen­sinn!« rief Fräu­lein Sal­ly. »Aber ich be­glei­te dich, mein Herz.« Lei­ser füg­te sie hin­zu: »Vi­el­leicht kommt er mit. Cou­sin«, sprach sie dann in das Zim­mer hin­ein, »Sie ma­chen wohl auch eine Pro­me­na­de?«

      »Un­mög­lich«, ver­lau­te­te die Stim­me aus dem Hin­ter­grun­de. »Un­mög­lich – bei die­ser Hit­ze! Sie scher­zen, Cou­si­ne!«

      »Durchaus nicht«, er­wi­der­te Fräu­lein Sal­ly. »Gott, was die Her­ren ver­wöhnt sind!«

      »Nicht doch«, rief Am­bro­si­us und trat an das Fens­ter. »Ich gebe Ih­nen mein Ehren­wort, es geht nicht; ich muss ins Ge­schäft. Sonst – oh!«

      Fräu­lein Sal­ly er­hob sich mit ei­nem so erns­ten Ge­sicht als woll­te sie ein Va­terun­ser spre­chen, und sag­te: »Mein Cou­sin Tel­le­r­at – mei­ne Freun­din Rosa Herz.«

      »Ah – es freut mich.« Am­bro­si­us ver­beug­te sich. »Es tut mir leid, die Da­men nicht be­glei­ten zu kön­nen – in der Tat. Oh, mei­ne Da­men, Sie wis­sen nicht, was das heißt: Ge­schäf­te im Au­gust.«

      Fräu­lein Sal­ly droh­te neckisch mit dem Fin­ger und hielt es für Träg­heit, er aber leg­te die Hand auf das Herz und be­teu­er­te das Ge­gen­teil.

      »Gut, wir ge­hen also al­lein. Ich hole mei­nen Hut.« Mit die­sen Wor­ten hüpf­te Fräu­lein Sal­ly da­von.

      Wäh­rend ih­rer Ab­we­sen­heit ent­spann sich eine höf­li­che Un­ter­hal­tung zwi­schen Rosa und Am­bro­si­us; sie mit auf­merk­sam erns­tem Ge­sicht und ste­tem Er­rö­ten, er, die Schul­ter leicht ge­gen den Fens­ter­rah­men ge­lehnt – sehr ge­ra­de, mit aus­ge­bo­ge­ner Tail­le und be­stän­di­gem Räus­pern, wo­bei er den Rauch der Zi­ga­ret­te durch die Na­sen­lö­cher trieb, denn, weiß es Gott warum, die­ser jun­ge Mann hielt einen be­stän­di­gen Ka­tarrh für welt­män­nisch und vor­nehm.

      Sie spra­chen über das Städt­chen. Am­bro­si­us mein­te, es ge­fal­le ihm, es sei nett; nett sei das rech­te Wort da­für, wor­auf Rosa er­wi­der­te, es sei recht freund­lich. Ja, er gab das zu, zog je­doch den Aus­druck nett vor. Ein we­nig still, wand­te Rosa ein, sie fand es so­gar zu­wei­len lang­wei­lig. Ein we­nig klein­städ­tisch, Gott, ja – Am­bro­si­us hat­te es nicht an­ders er­war­tet. Eine ru­hi­ge, ge­müt­li­che Ge­sel­lig­keit war ihm ge­ra­de recht. Das bun­te Trei­ben ei­ner großen Stadt wird man auch müde, nicht wahr? Ah ge­wiss! Zur Er­ho­lung war es der rech­te Ort. – Rosa ver­stand das wohl.

      Dann kam Fräu­lein Sal­ly zu­rück und rief ih­rem Vet­ter scherz­haf­te Ab­schieds­wor­te zu, die dun­kel ge­nug wa­ren. Bei­de lach­ten je­doch, zum Zei­chen, dass sie sich ver­stan­den.

      Arm in Arm wan­der­ten die bei­den Mäd­chen dem Stadt­gar­ten zu. Von dem gest­ri­gen Streit war kei­ne Rede mehr, son­dern Fräu­lein Sal­ly be­gann so­gleich den Cha­rak­ter ih­res Vet­ters zu be­spre­chen. Sie hat­te ei­ni­ges über die Kun­strei­te­rin – denn eine Kun­strei­te­rin war sie, das stand jetzt fest – in Er­fah­rung ge­bracht. Sie war der An­sicht, es sei nur eine mo­men­ta­ne Ver­ir­rung ge­we­sen, die von kei­nen Fol­gen sein dürf­te.

      »Er tut mir leid!« seufz­te das gute Mäd­chen. »Siehst du, er hat ein gu­tes, so­zu­sa­gen ein gol­de­nes Herz. Heu­te mor­gen ver­such­te ich den zar­ten Punkt zu be­rüh­ren. Du ver­stehst? Ich woll­te an­deu­ten, dass ich um die Sa­che weiß und ihn ver­ste­he. Er wur­de ganz ernst und sag­te: ›Das ist vor­über, Cou­si­ne Sal­ly.‹ Das klang im höchs­ten Gra­de be­weg­lich. Da­bei fuhr er sich mit der Hand über


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