Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

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Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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es sich, dass so­wohl Rosa wie auch ihr Va­ter ver­wein­te Au­gen hat­ten, bei­de sa­hen aber ru­hig, Herr Herz so­gar fröh­lich aus. Er trieb al­ler­hand Pos­sen, neck­te Rosa, spot­te­te über die Lan­ins; ja – die Sa­che hat­te in sei­nen Au­gen plötz­lich ein so güns­ti­ges An­se­hen ge­won­nen, dass er Rosa den gan­zen Abend über »die klei­ne Braut« nann­te. Und als sie nach dem Nacht­mahl mit­ein­an­der Pi­quet spiel­ten, wa­ren sie aus­ge­las­sen wie Kin­der, die ih­ren tol­len Ein­fäl­len die Zü­gel schie­ßen las­sen, weil die er­wach­se­nen Leu­te aus­ge­gan­gen sind. Nur Ag­nes ging bleich und mür­risch ab und zu. Je­des­mal wenn sie das Wohn­zim­mer be­trat, ward Herr Herz stil­ler und blin­zel­te Rosa mit den Wim­pern heim­lich zu; und ging Ag­nes wie­der hin­aus, dann flüs­ter­te er: »Wa­rum die nur heu­te so brum­mig ist?«

      Sechzehntes Kapitel

      Als der Bal­let­tän­zer am fol­gen­den Mor­gen vor dem Spie­gel stand und nach­denk­lich sein spär­li­ches Haar bürs­te­te, ver­spür­te er nichts mehr von der gu­ten Lau­ne des vo­ri­gen Abends. Seuf­zend hol­te er den schwar­zen Vi­si­ten­rock aus dem Kas­ten, zog ihn lang­sam und zö­gernd an; dann be­schäf­tig­te er sich noch eine hal­be Stun­de da­mit, sei­nen Hut zu rei­ni­gen, und trat end­lich, da es doch sein muss­te, den sau­ern Weg an. Dazu kam heu­te eine nie­der­schla­gen­de, un­be­hag­li­che Wit­te­rung. Der Him­mel war ganz mit gleich­mä­ßig hell­grau­en Wol­ken be­deckt, und in der Luft herrsch­te eine schwü­le Ruhe. Tage, die kei­nen or­dent­li­chen Son­nen­schein hat­ten, ver­stimm­ten Herrn Herz im­mer; nun noch un­ter die­sen Um­stän­den!

      Er schell­te an der Lan­in­schen Hau­stü­re, und wäh­rend er drau­ßen war­te­te, zo­gen sich die grei­sen Haar­bü­schel über sei­nen Au­gen zu­sam­men, und sein ar­mes, sor­gen­vol­les Ge­sicht ward ganz rot. Das klei­ne Dienst­mäd­chen öff­ne­te end­lich. »Ist der Herr Bür­ger­meis­ter zu Hau­se?« frag­te Herr Herz.

      »Ja­wohl, bit­te nur nä­her­zu­tre­ten.«

      Das Dienst­mäd­chen ver­schwand und ließ den Bal­let­tän­zer im Sa­lon al­lein, in die­sem Sa­lon, der mit sei­nen Mö­beln in weiß­ka­li­kot Über­zü­gen, mit sei­nem blank­ge­boh­ner­ten Estrich, sei­nen erns­ten Fo­to­gra­fi­en, mit sei­ner gan­zen so­li­den Steif­heit dem al­ten Mann das Herz schwer­mach­te. Eine Türe öff­ne­te sich halb, und Frau Lan­ins Kopf, von der Nacht­hau­be be­deckt, zeig­te sich und ver­schwand wie­der. An ei­ner an­de­ren Türe mach­te sich Fräu­lein Sal­ly be­merk­bar durch das Rau­schen und Flat­tern wei­ßer Un­ter­rö­cke. Nach ei­ni­gen Mi­nu­ten kehr­te das Dienst­mäd­chen zu­rück und bat Herrn Herz, in die Stu­be des Herrn hin­über­zu­ge­hen.

      Da saß der Herr in sei­ner Stu­be vor dem großen Schreib­tisch. Der ka­neel­brau­ne Schlaf­rock mit den kirsch­ro­ten Sam­me­tauf­schlä­gen war – der Hit­ze we­gen – of­fen und ließ die brei­te Brust des Chefs der Fir­ma La­nin se­hen. Das Ge­sicht war vom Schlaf noch bleich und ge­schwol­len, die Stim­me be­legt. »Ich habe die Ehre, lie­ber Herz. Ich weiß es schon, was Sie so früh zu mir führt.« In­dem Herr La­nin die­ses im Ton fei­er­li­chen Bei­leids dem Bal­let­tän­zer ent­ge­gen­rief, reich­te er ihm eine di­cke, lau­war­me Hand.

      »Ja, ja; das ist’s«, er­wi­der­te Herr Herz.

      »Gut! Set­zen Sie sich.«

      Herr Herz setz­te sich auf Con­rad Lurchs Rohr­stühl­chen.

      »Es ist schlimm«, be­gann Herr La­nin und schau­te mit sei­nen klei­nen, glanz­lo­sen Au­gen zum Fens­ter hin­aus. »Recht trau­rig! Was ge­den­ken Sie zu tun? Sie woll­ten mei­nen Rat ein­ho­len; ich ver­ste­he. Aber, da ist schwer ra­ten. Wie Fräu­lein Schank mir sagt, hat sich eine Stel­le für Ihre Toch­ter ge­fun­den, als Bon­ne, glau­be ich. Das wäre ja güns­tig.«

      Bei Lan­ins Wor­ten be­griff Herr Herz erst Ro­sas Ent­rüs­tung, als er ihr den Vor­schlag ges­tern ge­macht hat­te, denn das Wort »Stel­le« klang im Mun­de des Bür­ger­meis­ters wie et­was sehr Ge­mei­nes – und nun noch »Bon­ne« – mit sei­nem knal­len­den B und dem wid­rig nach­schnur­ren­den Dop­pel-N. Herr Herz stütz­te die El­len­bo­gen auf die Knie, fal­te­te die Hän­de, schloss die Au­gen, wie er es zu tun lieb­te, wenn er ernst sein woll­te, und rück­te mit dem Vor­tra­ge her­aus, den er sich müh­sam heu­te mor­gen ein­ge­prägt hat­te.

      Fräu­lein Schank hat­te auch ihm – Herz – ih­ren Plan mit­ge­teilt. Be­vor er aber in eine Tren­nung von sei­nem ein­zi­gen Kin­de wil­lig­te, be­vor er sich dazu ent­schloss, Rosa in wei­te Fer­ne und in eine un­si­che­re Zu­kunft hin­aus­zu­sen­den, woll­te er es ver­su­chen, der Sa­che eine an­de­re, glück­li­che­re und na­tür­li­che­re Wen­dung zu ge­ben, und des­halb hat­te er La­nin auf­ge­sucht. Herr Herz hielt einen Au­gen­blick inne, öff­ne­te die Au­gen und sah La­nin scheu an. Die­ser hör­te ru­hig zu. Er schi­en da­bei scharf zu den­ken, denn er zog die Au­gen­brau­en leicht zu­sam­men und kniff die Au­gen­li­der ein; sei­ne Lip­pen um­spiel­te ein fei­nes Lä­cheln, als hät­te er den Spre­cher be­reits bei ei­nem lo­gi­schen Feh­ler er­tappt. Herr Herz woll­te sich nicht ein­schüch­tern las­sen. Er schloss wie­der die Au­gen und sprach wei­ter, er kann­te die Schuld und die Un­vor­sich­tig­keit sei­ner Toch­ter wohl, trug er doch selbst einen Teil die­ser Schuld, denn sei­ne Er­zie­hungs­me­tho­de moch­te eine ver­fehl­te, sei­ne Wach­sam­keit eine man­gel­haf­te ge­we­sen sein. Mein Gott, wo soll­te er auch die rech­te Metho­de, jun­ge Mäd­chen zu er­zie­hen, her­ha­ben? Ja, wenn die Schwes­ter Ina noch leb­te, da wäre man­ches an­ders ge­kom­men! Trotz all­dem hat­te der jun­ge Mann doch auch eine Verant­wort­lich­keit auf sich ge­la­den, hat­te eine Schuld zu süh­nen. Ein jun­ger Mann von Geist und Welt hat­te ei­ner kaum sieb­zehn­jäh­ri­gen un­er­fah­re­nen Klein­städ­te­rin ge­gen­über im­mer leich­tes Spiel. Herr La­nin mach­te eine ab­weh­ren­de Hand­be­we­gung; er war of­fen­bar wie­der ei­nem lo­gi­schen Schnit­zer auf die Spur ge­kom­men.

      »Ich weiß es«, fuhr Herz fort, »dass zwi­schen den bei­den Kin­dern wirk­li­che Nei­gung be­steht. Am­bro­si­us Tel­le­r­at hat die Ab­sicht, Rosa zu hei­ra­ten, klar und deut­lich aus­ge­spro­chen, und wie die Sa­chen lie­gen, kann und will ich ihm die Hand mei­ner Toch­ter nicht ver­wei­gern. Mit ei­ner Hei­rat aber wird die jetzt so trau­ri­ge An­ge­le­gen­heit, mei­ne ich, einen für alle se­gens­rei­chen Ab­schluss fin­den.« Herr Herz war mit sei­ner Rede zu Ende und blick­te jetzt zö­gernd auf.

      La­nin saß noch im­mer ru­hig da und lä­chel­te. Er sah we­der ent­rüs­tet noch er­zürnt aus; er schau­te viel­mehr drein wie je­mand, der an ei­nem schwie­ri­gen Pro­blem ein rein sach­li­ches, geis­ti­ges In­ter­es­se nimmt. »In­dem Sie von der Hei­rat – spre­chen«, be­gann er lang­sam, wie­der am Bal­let­tän­zer vor­über zum Fens­ter hin­aus­ge­hend, »ha­ben Sie al­ler­dings das punc­tum sa­li­ens – wie der La­tei­ner sagt – der Sa­che ge­trof­fen. Nur scheint es mir, Sie fas­sen die­ses punc­tum an­ders als ich und da­her nicht ganz rich­tig – ganz kon­se­quent auf.« Er hielt inne und blin­zel­te mit den Au­gen­li­dern. »Nein, nicht ganz kon­se­quent«, wie­der­hol­te er nach reif­li­cher Über­le­gung. »Vom all­ge­mei­nen mo­ra­li­schen Stand­punkt mag solch eine – Süh­ne – wie Sie sa­gen – zu ver­tei­di­gen sein – vom all­ge­mein mo­ra­li­schen – bit­te! Die all­ge­mei­nen Moral­ge­set­ze er­lei­den aber durch un­se­re ge­sell­schaft­li­chen Ge­set­ze eine Mo­di­fi­ka­ti­on – eine Ver­än­de­rung.


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