Tom Sawyers Abenteuer und Streiche, Tom Sawyer als Detektiv & Huckleberry Finns Fahrten (Illustrierte Ausgabe). Марк Твен
Читать онлайн книгу.Aber dann sagte er sich, daß genaue Nachforschungen danach angestellt werden würden, und das hätte mit einer Entdeckung enden können. So sprang er ans Ufer und drang in den Wald ein. Er setzte sich nieder und hielt lange Rast, sich quälend mit Anstrengungen, wach zu bleiben, und dann strebte er wieder seiner „Heimat“ zu. Die Nacht war fast zu Ende. Es war heller Morgen, bis er sich der Insel gegenüber befand. Er ruhte wieder, bis die Sonne ganz herauf war und den Fluß mit ihrem Glanz übergoß, und dann sprang er ins Wasser. Kurz darauf stand er triefend am Eingang des Lagers und hörte Joe sagen: „Nein, Tom ist treu, Huck, und er wird wiederkommen. Er wird nicht durchbrennen. Er weiß, daß es ‘ne Schande für ‘nen Seeräuber wär, und Tom ist zu stolz für so was. Er ist auf irgend was aus. Möcht‘ aber wohl wissen, was?“
„Na — die Sachen da gehören doch jetzt uns, nicht?“
„Beinahe, aber nicht ganz, Huck. Das Geschreibsel sagt, sie sind unser Eigentum, wenn er nicht bis zum Frühstück wieder da ist.“
„Was er ist,“ rief Tom in theatralischer Pose, großartig ins Lager tretend.
Ein prächtiges Frühstück, aus Schinken und Fisch bestehend, war bald zur Stelle, und während sich die Jungen darüber hermachten, berichtete Tom (mit vielen Ausschmückungen) seine Abenteuer. Sie waren eine edle, prahlerische Gesellschaft von Helden, als seine Erzählung beendet war. Dann machte Tom sich davon an einen schattigen Ort, um bis Mittag zu schlafen, die anderen Piraten brachen auf zu Fischzug und Entdeckungsreisen.
Sechzehntes Kapitel.
Nach dem Mittagessen machte sich die ganze Bande auf nach der Sandbank, um dort Schildkröteneier zu suchen. Sie stießen Löcher in den Sand, und wenn sie eine hohle Stelle fanden, warfen sie sich auf die Knie und gruben mit den Händen. Manchmal erwischten sie fünfzig bis sechzig Eier auf einem Haufen. Es waren vollkommen runde, weiche Dinger, ein bißchen kleiner wie ‘ne englische Walnuß. So hatten sie ein köstliches Eigericht für den Abend, und ebenso am Freitag morgen.
Nach dem Frühstück liefen sie mit Hurra und Purzelbäumen zum Strand, jagten sich einander herum, warfen die Kleider ab und waren ganz nackt; und dann setzten sie ihr lustiges Treiben im seichten Wasser fort, gegen die Strömung anlaufend, welche ihnen um die Beine spülte und den Spaß noch mehr erhöhte. Zuweilen standen sie zusammen und spritzten sich mit der flachen Hand gegenseitig Wasser ins Gesicht, indem sie sich, einander den Rücken zukehrend, heranschlichen, um den Spritzern zu entgehen, und sich dann plötzlich packten und so lange kämpften, bis der Stärkste seinen Gegner geduckt hatte — und dann verwandelten sie sich alle drei in ein Gewirr von weißen Armen und Beinen, und tauchten zugleich wieder auf, schnaufend, lachend, spuckend und atemlos.
Nachdem sie sich so ordentlich ausgetobt hatten, stiegen sie heraus, warfen sich in den trockenen, heißen Sand, lagen da und bedeckten sich ordentlich damit, und dann liefen sie wieder zum Wasser, und das Spiel begann von neuem. Schließlich fiel ihnen ein, daß ihr nackter Zustand mit fleischfarbigen Trikots große Ähnlichkeit habe. So zogen sie einen Kreis in den Sand und hatten einen Zirkus — mit drei Clowns darin, denn niemand wollte diesen stolzesten Posten einem anderen überlassen. Darauf suchten sie ihre Murmeln hervor und spielten, bis auch dies Vergnügen langweilig wurde.
Huck und Joe schwammen hierauf abermals; Tom wollte nicht mitmachen, denn er fand, daß er beim Anziehen seine Klapperschlangenschnur von den Knöcheln verloren hatte, und er wunderte sich, wie er ohne den Schutz dieses geheimnisvollen Schutzmittels so lange vor einem Krampf bewahrt worden sei. Er wagte sich nicht wieder ins Wasser, bis er sie wiedergefunden hatte, und inzwischen waren die anderen müde und im Begriff, sich auszuruhen. Herumschlendernd, trennten sie sich allmählich, verfielen in Trübsinn und fingen an, über die breite Wasserfläche hinüberzuschauen, wo das Dorf schläfrig in der Sonne lag. Tom ertappte sich dabei, wie er mit der Zehe „Becky“ in den Sand schrieb; er wischte es aus, ärgerlich über seine Schwäche. Aber er schrieb es nochmals — trotzdem; er konnte nichts dafür. Er wischte es nochmals aus und zog sich aus aller Versuchung, indem er die anderen Jungen zusammentrieb und sie gegeneinander schubste.
Aber Joes Geist war allmählich gänzlich niedergedrückt. Er hatte solches Heimweh, daß er sein Elend kaum noch tragen konnte. Die Tränen waren bei ihm dem Überlaufen nahe. Sogar Huck war melancholisch. Toms Herz war schwer, doch er gab sich Mühe, es nicht zu zeigen. Er hatte ein Geheimnis, das er noch nicht preisgeben wollte, wenn aber diese Depression nicht bald gehoben werden konnte, mußte er es verraten. Er sagte mit möglichst sichtbarer Heiterkeit: „Ich glaube, ‘s sind schon vor uns Piraten auf der Insel gewesen. Wollen wir doch mal nachsehen! Vielleicht haben sie hier Schätze vergraben. Würd‘s euch nicht gefallen, irgendwo auf ‘ne alte verrostete Kiste voll Gold oder Silber zu stoßen, he?“
Es erhob sich aber nur ein schwacher Begeisterungssturm, der bald verflogen war. Tom versuchte noch eine oder zwei Kriegslisten; aber auch diese schlugen fehl. Es war recht entmutigend. Joe saß da, mit einem Stock im Sande stochernd und schaute sehr trübselig drein.
Schließlich sagte er: „Ach, Jungens, laßt‘s uns aufgeben. Ich möcht‘ heim. ‘s ist so einsam hier.“
„Ach was, Joe, das wird schon nach und nach besser werden,“ entgegnete Tom. „Allein schon die famose Gelegenheit zum Fischen.“
„Mag nichts wissen vom Fischen. Ich will heim!“
„Aber, Joe, nirgends kann man so gut schwimmen wie hier.“
„Schwimmen ist nichts. Ich hab‘ gar keine Lust zum Schwimmen, wenn nicht wer da ist, der mir sagt, ich soll‘s nicht tun. Ich will nach Haus!“
„Ach, Feigling! Wickelkind! Du möchtst bloß zu deiner Alten — schätz‘ ich.“
„Ja — ich will zu meiner Mutter! Und du wolltst auch, wenn du eine hättst. Ich bin nicht mehr Wickelkind als du!“ Und Joe schluchzte ein wenig.
„Na, ‘s ist gut, wollen wir das heulende Muttersöhnchen nach Haus lassen, nicht, Huck? Armes Ding — wenn‘s halt Sehnsucht hat, seine Mutter wiederzusehen? Soll‘s halt. Du bleibst hier, nicht, Huck? Wir wollen bleiben?“
„J — a,“ sagte Huck, ohne viel Überzeugung.
„So lang‘ ich lebe, sprech ich nicht mehr mit dir,“ sagte Joe aufsehend. „Das hast du davon.“ Trübselig stand er auf und begann sich anzukleiden.
„Mach mir auch was draus,“ warf Tom hin. „‘s braucht dich niemand. Mach, dass du heimkommst und laß dich auslachen. Bist ‘n schöner Pirat! Huck und ich, wir sind keine Schreibabies. Wir wollen bleiben, nicht, Huck? Laß ihn gehen, wenn er durchaus will. Denke doch, zur Not werden wir fertig ohne ihn.“
Aber trotzdem war Tom nicht recht wohl zumute, es beunruhigte ihn doch, zu sehen, wie Joe trotzig fortfuhr, sich anzuziehen. Und dann war‘s unangenehm, wie Huck mit den Augen den Vorbereitungen Joes folgte, so aufmerksam und mit so unheimlichem Schweigen. Plötzlich begann Joe, ohne ein Wort des Abschieds, auf das Illinoisufer zu waten. Tom begann das Herz zu sinken. Er schielte nach Huck. Huck konnte den Blick nicht ertragen und senkte die Augen. Dann sagte er: „Du — Tom — ich will auch gehen. ‘s war schon bis jetzt so einsam, jetzt wird‘s noch schlimmer werden. Gehen wir auch, Tom?“
„Ich geh‘ nicht! Du kannst ja gehen, wenn du willst. Ich bleib‘!“
„Tom — ich will lieber gehen.“
„Na, ‘s ist gut, so geh‘ doch! Wer hindert dich denn?“
Huck fing an, seine zerstreuten Kleider aufzusammeln.
„Tom,“ sagte er, „wollt‘, du gingst mit. Denk mal drüber nach.