Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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einen Sei­te – das ist noch et­was aus mei­nem Traum. Ich lie­ge da, mit ge­schlos­se­nen Au­gen, ich ver­su­che, mich zu er­in­nern … Da ge­sch­ah noch et­was in der Nacht. Dann be­sinnt sich mei­ne lin­ke Hand. Ganz un­will­kür­lich tas­tet sie auf dem Fuß­bo­den ent­lang, und nun trifft sie auf die küh­le Glät­te von Glas. Sie hebt die Fla­sche zum Mun­de, und nun trin­ke ich wie­der, mit ge­schlos­se­nen Au­gen trin­ke ich noch ein­mal Schwarz­wäl­der Zwetsch­gen­was­ser, wie­der bin ich bei Eli­nor. Ich bin bei Eli­nor! Das Le­ben geht wei­ter, ich schwin­ge mich noch hö­her … Ich habe nur eine Zeit ge­schla­fen, und nun bin ich wie­der bei Eli­nor.

      Zwei, drei Schlu­cke, und nun ist die Fla­sche leer. Ich sau­ge an ihr: Kein Trop­fen kommt mehr. Mit ei­nem tie­fen Seuf­zer stel­le ich sie nie­der und öff­ne wie­der die Au­gen. Ich sehe eine weiß­ge­kalk­te, recht schmut­zi­ge Zel­le, die Wän­de von vie­len In­schrif­ten und schwei­ni­schen Zeich­nun­gen zer­kratzt. An der einen Wand sitzt sehr hoch, dort, wo sie schon schräg wird, ein klei­nes ver­git­ter­tes Fens­ter. Dies Fens­ter steht of­fen, ich sehe durch die Öff­nung einen blass­blau­en, von mat­ter Son­ne er­füll­ten Him­mel. Auf der vier­ten Sei­te hat die­se Zel­le ein fes­tes Git­ter aus Ei­sen­stan­gen. Genau wie die Git­ter an den Tier­kä­fi­gen in den zoo­lo­gi­schen Gär­ten. Au­ßer­halb des Git­ters steht ein Ofen, dann ist da noch eine Tür, die ge­schlos­sen ist. Ich bin ge­fan­gen! Ich sehe auf mein La­ger. Ich lie­ge in Klei­dern auf ei­nem jäm­mer­li­chen Ei­sen­bett, auf ei­nem Stroh­sack mit zer­ris­se­ner De­cke. Mei­ne Zel­le ent­hält sonst noch einen Tisch, einen Sche­mel und einen fürch­ter­lich stin­ken­den Kü­bel. Ja, und dann ent­hält sie die Fla­sche, die ich so­eben ge­leert habe …

      Ich sprin­ge von mei­nem La­ger auf, ich hebe die Fla­sche ge­gen das Licht: Wirk­lich, es ist kein Trop­fen mehr drin! Ich stel­le sie end­gül­tig fort, hin­ter den Kü­bel, und wäh­rend ich dies tue, kommt ein Stück der Er­leb­nis­se die­ser Nacht zu­rück, blitz­ar­tig er­leuch­tet …

      Ich sehe die un­or­dent­li­che, düs­ter be­leuch­te­te Gast­stu­be, ich sehe mich, Er­win Som­mer, In­ha­ber ei­nes Lan­des­pro­duk­ten­ge­schäf­tes, an­ge­se­he­ner Bür­ger von ein­und­vier­zig Jah­ren, ich sehe mich, wie ich mit dem Gen­darmen hand­ge­mein bin, wie ich mich mit Hän­den und Kral­len mei­ner Ver­haf­tung wi­der­set­ze – wir wäl­zen uns am Bo­den, und die be­hä­bi­ge Wir­tin mit dem wei­ßen Schei­tel, die sich so vor mei­ner Schuss­waf­fe ge­ängs­tigt hat, die jetzt aber weiß, dass ich mit ei­ner Schuss­waf­fe nur ge­prahlt habe, sie ver­setzt mir wäh­rend die­ses Kamp­fes hin­ter­lis­ti­ge Trit­te und Püf­fe, sie kneift mich und fährt plötz­lich mit al­len fünf Fin­gern in mein Ge­sicht, al­les, wäh­rend ich mit dem Gen­darmen um mei­ne Frei­heit kämp­fe.

      Und im sel­ben Au­gen­blick wäh­rend die­ses Kamp­fes sehe ich Eli­nor, die mit ei­nem un­er­gründ­li­chen Lä­cheln auf uns bei­de Kämp­fen­de schaut, aber nicht einen Fin­ger rührt, um dem einen oder an­de­ren Kämp­fen­den zu hel­fen. Kein Wort auch spricht sie.

      Und doch hät­te ich mich viel­leicht frei­ge­kämpft, denn in mir tob­te ein Ent­set­zen, dass ich, ein ge­sit­te­ter Bür­ger, wie ir­gend­ein be­lie­bi­ger Be­trü­ger in ein rich­ti­ges Ge­fäng­nis ab­ge­führt wer­den soll­te, ich, ein an­ge­se­he­ner Mann, vor dem vie­le Leu­te zu­erst den Hut zo­gen, ins Kitt­chen – ja, die­se Verzweif­lung gab mir sol­che Kräf­te, dass ich mich wohl doch noch von dem Wacht­meis­ter frei­ge­kämpft hät­te – wenn nicht Eli­nor ge­we­sen wäre.

      In ir­gend­ei­nem Mo­ment un­se­res Kamp­fes, wohl ge­ra­de in dem Au­gen­blick, da sich der Sieg mir zu­neig­te, stand sie plötz­lich bei uns mit ei­ner Fla­sche von mei­nem Schwarz­wäl­der Zwetsch­gen­was­ser; sie sag­te sanft lä­chelnd und strahl­te mich da­bei mit ih­ren hel­len Au­gen freund­lich an: »Sei­en Sie doch fried­lich, al­tes Pa­pa­chen! Der Wacht­meis­ter er­laubt Ih­nen auch, sich eine Fla­sche Schnaps mit­zu­neh­men. Es ist ja nur für eine Nacht, al­tes Pa­pa­chen, bis Sie Ihren Rausch aus­ge­schla­fen ha­ben …«

      Da­mit war mein Kampf­mut ge­lähmt, und sie wur­den leicht Herr über mich. Wie­der ver­führ­ten mich der Al­ko­hol und Eli­nor (das war wohl das glei­che Gift: Al­ko­hol und Eli­nor); so oft schon hat­ten sie mich ge­täuscht und in die be­schä­mends­ten Nie­der­la­gen hin­ein­ge­führt, aber ich war noch im­mer nicht klug ge­wor­den. Für eine Fla­sche Schnaps ver­kauf­te ich mei­ne Aus­sicht auf Frei­heit. Und da stand sie nun, dort hin­ten, bei dem stin­ken­den Kü­bel: leer. Und hier stand ich, zwi­schen ge­kalk­ten Wän­den, hier ein Ei­sen­git­ter, dort oben, nahe der De­cke, ein klei­nes Fens­ter­loch. Ohne Frei­heit. Ohne Eli­nor. Ohne Schnaps.

      Und plötz­lich fällt mir noch eine Schluss­sze­ne, eine al­ler­letz­te Sze­ne von die­sem Abend her ein, eine so be­schä­men­de Sze­ne, dass ich die Fäus­te bal­le und die Zäh­ne zu­sam­men­bei­ße … Wir sind han­dels­eins ge­wor­den, der Gen­darm und ich. Er hat viel von sei­nen Dienst­vor­schrif­ten ge­re­det, aber ich habe ihm wohl Sche­re­rei­en ge­nug ge­macht, und er hat wohl auch Be­fürch­tun­gen, dass ich ihm bei dem Weg durch die Nacht noch Schwie­rig­kei­ten ma­che … Er hat ein­ge­wil­ligt, dass ich die Fla­sche Schnaps noch mit­neh­men darf; ich tra­ge sie mit lo­sem Kor­ken griff­be­reit in der Ho­sen­ta­sche. Da­für habe ich ihm mein Ehren­wort ge­ge­ben, ihm nicht wie­der zu wi­der­ste­hen und kei­nen Flucht­ver­such zu ma­chen. Trotz­dem hat er mir ein klei­nes stäh­ler­nes Kett­chen um das rech­te Hand­ge­lenk ge­legt, er miss­traut viel­leicht dem Ehren­wort ei­nes Be­trun­ke­nen doch ein biss­chen.

      Und nun ste­hen wir un­ter der Tür, ich habe mich um­ge­wen­det und habe zu Eli­nor ge­sagt: »Gute Nacht, Eli­nor, ich dan­ke dir auch für al­les, Eli­nor.«

      Und sie ant­wor­tet mit gleich­mü­ti­ger Stim­me: »Gute Nacht, al­tes Pa­pa­chen, schlaf auch schön« – ge­ra­de als wäre ich ir­gend­ein be­lie­bi­ger Stamm­gast, der nach sei­nem Abend­schop­pen zum fried­li­chen Ehe­bett heim­geht.

      Also, hier­nach wol­len wir nun wirk­lich ge­hen, ich und der Wacht­meis­ter, da ruft die Wir­tin plötz­lich mit schril­ler Stim­me: »Und mein Wein? Und mein Schnaps?! Und die zer­bro­che­nen Glä­ser?!! Der Lump hat ja noch nicht be­zahlt, der be­sof­fe­ne, Herr Wacht­meis­ter! Das geht doch nicht! Las­sen Sie ihn erst zah­len.«

      Der Wacht­meis­ter sieht mich erst be­denk­lich an, seufzt und fragt dann lei­se: »Ha­ben Sie Geld?«

      Ich ni­cke.

      »Also dann be­zah­len Sie, dass ich end­lich nach Haus kom­me!« Und laut: »Wie viel macht’s denn?«

      Die Wir­tin rech­net, dann sagt sie: »Sie­ben­und­sech­zig Mark ein­schließ­lich Be­die­nung. Und rich­tig, dann noch das Te­le­fon­ge­spräch, durch das ich Sie ge­ru­fen habe, Herr Wacht­meis­ter. Macht, al­les zu­sam­men, sie­ben­und­sech­zig Mark zwan­zig.«

      Ich grei­fe in mei­ne Ta­sche. Ich brin­ge ein biss­chen Geld her­vor. Ich grei­fe in die Brust­ta­sche mei­nes Jacketts: Sie ist leer. Plötz­lich er­in­ne­re ich mich … Ich sehe auf Eli­nor hin, erst mit ei­ner stum­men Fra­ge, dann bit­tend, auf­for­dernd, drän­gend … Ich kann doch hier nicht auch noch als Zech­prel­ler da­ste­hen! Eli­nor sieht nicht auf mich, mit ei­nem un­er­gründ­li­chen schwa­chen Lä­cheln blickt sie auf das Geld­häuf­chen, das ich auf einen Tisch ge­legt habe. Dann glei­tet ihr Blick von dort fort und zur Wir­tin hin … Eli­nors Lip­pen öff­nen sich ein we­nig, das Lä­cheln um ih­ren Mund ver­stärkt sich … Die Wir­tin ist auf das Geld los­ge­schos­sen


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