Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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dann merkt kei­ner was, son­dern je­der denkt, wir sind gute Be­kann­te und ha­ben uns ganz zu­fäl­lig ge­trof­fen. Wir sind ja wohl auch schon da­heim nach dem Skat mit­ein­an­der die Brei­te Stra­ße ein Stück lang ge­mein­sam ge­gan­gen, und Sie und kei­ner ist auf den Ge­dan­ken ge­kom­men, dass wir et­was an­de­res als Be­kann­te wä­ren …«

      Die kur­ze Bahn­fahrt ver­ging mir so schnell ge­nug, und von den im Ab­teil Mit­rei­sen­den ist wohl kei­ner auf den Ge­dan­ken ge­kom­men, dass hier ein des Mord­ver­su­ches Ver­däch­ti­ger ab­ge­führt wur­de. (Manch­mal woll­te ich mir als so schwe­rer Ver­bre­cher wahr­haft glo­ri­os ver­rucht vor­kom­men.) Als wir dann aber auf dem hei­mat­li­chen Bahn­hof an­ka­men und uns durch vie­le War­ten­de hin­durch­zwäng­ten, in die Bahn­hofs­hal­le ka­men, und auf den Platz vor dem Bahn­hof, da wur­de mir wie­der ganz bäng­lich zu­mu­te. Denn je­den Au­gen­blick konn­te ich jetzt ei­nem nächs­ten Be­kann­ten, ja mei­nen ei­ge­nen An­ge­stell­ten, ja mei­ner ei­ge­nen Frau be­geg­nen.

      Ich zog den Wacht­meis­ter am Är­mel und bat ihn: »Herr Schul­ze, kön­nen wir nicht ein biss­chen hin­ten­rum und durch die An­la­gen ge­hen? Ich ken­ne hier so vie­le Men­schen, und es wäre mir wirk­lich pein­lich …«

      Herr Schul­ze nick­te mit dem Kopf. »Mir soll es recht sein. Es ist ja schließ­lich egal, ob Sie eine Vier­tel­stun­de frü­her oder spä­ter im Amts­ge­richt an­kom­men. Aber jetzt möch­te ich mich erst ein biss­chen leich­ter ma­chen …«

      Und da­mit ging Herr Schul­ze mit mir schräg über den Bahn­hofs­platz auf je­nes Ge­bäu­de zu, das ich, von der an­de­ren Rich­tung kom­mend, gute vier­und­zwan­zig Stun­den zu­vor mit Po­la­kow­ski auf­ge­sucht hat­te. Es war ein selt­sa­mes Ge­fühl, wie­der in die­sem Raum mit sei­nen sechs Be­cken zu ste­hen, das Was­ser rau­schen zu hö­ren und den schmut­zig-nas­sen Stein­bo­den an­zu­se­hen. Hier hat­te ich mich im Kampf mit Po­la­kow­ski ge­wälzt – so kur­ze Zeit war es erst her, und doch schi­en es schon ganz un­glaub­haft. Wie ein wil­der Traum, der, so­lan­ge man ihn träum­te, völ­lig über­zeug­te, und der schon di­rekt nach dem Er­wa­chen lä­cher­lich gro­tesk an­mu­te­te. Aber ich hat­te hier mit Po­la­kow­ski ge­kämpft, es war kein Traum ge­we­sen, und die­sem ab­ge­feim­ten Schur­ken ge­gen­über ban­den mich we­der Rück­sicht noch Wort.

      Als ich dann ge­en­det hat­te und auf einen Em­pö­rungs­aus­bruch über den Schur­ken Po­la­kow­ski war­te­te, schwieg der Wacht­meis­ter Schul­ze eine gan­ze Wei­le, und dann mein­te er be­däch­tig, mich groß an­se­hend: »Ich ken­ne Sie ja ei­gent­lich bloß vom Skat her, das heißt, ich ken­ne Sie gar nicht, aber ich habe Sie im­mer doch für einen ver­nünf­ti­gen und über­leg­ten Ge­schäfts­mann ge­hal­ten. Dass Sie – ent­schul­di­gen Sie, aber es ist die Wahr­heit – ein so bo­den­lo­ses Rind­vieh sind, Som­mer, das habe ich mir frei­lich nicht ein­mal im Traum ein­ge­bil­det. Sie mö­gen es dre­hen und wen­den, wie Sie wol­len, es ist nicht nur der Suff ge­we­sen, mit dem Suff al­lein kön­nen Sie so viel Doof­heit nicht ent­schul­di­gen. Vom ers­ten Tage an ha­ben Sie se­hen müs­sen, was für ein Gau­ner der Kerl war, ha­ben’s auch ge­se­hen und sind doch nicht fort­ge­gan­gen, wo man Sie in je­dem klei­nen Gast­hof so viel hät­te sau­fen las­sen, wie Sie nur woll­ten. Nein, es ist Ih­nen ganz recht ge­sche­hen, dass der Kerl Sie aus­ge­nom­men hat. Sie ha­ben’s nicht bes­ser ver­dient, und ich woll­te nur, er hät­te Ih­nen auch noch die letz­ten tau­send Mark ab­ge­nom­men, da hät­ten Sie den Un­fug in dem Gast­hof nicht auch noch an­stel­len kön­nen …«

      Der Wacht­meis­ter hol­te Atem und sah mich stra­fend an, ich aber war über die­se ganz un­er­war­te­te Wir­kung mei­nes Be­rich­tes aufs Äu­ßers­te em­pört und sag­te böse: »Da­rum habe ich Ih­nen wirk­lich nicht die gan­ze Ge­schich­te er­zählt, da­mit Sie mir hier eine Moral­pau­ke hal­ten, Wacht­meis­ter Schul­ze …«

      »Herr Wacht­meis­ter Schul­ze, bit­te, Som­mer!« ver­bes­ser­te Schul­ze streng.

      »Son­dern ich dach­te«, fuhr ich wü­tend fort, »dass Sie sich so­fort Mühe ge­ben wür­den, die­sen Lum­pen von Po­la­kow­ski zu fan­gen …«

      »So ist es rich­tig«, lach­te der Wacht­meis­ter spöt­tisch. »Erst ste­cken Sie in Ih­rer Dumm­heit und Be­sof­fen­heit ei­nem Ver­bre­cher Ihr Hab und Gut di­rekt in die Hand, und dann schrei­en Sie nach der Po­li­zei und ver­lan­gen, dass wir noch ach und weh schrei­en und Hals über Kopf hin­ter Ihren sie­ben Zwetsch­gen drein­lau­fen sol­len! Ich kann’s Ih­nen nur noch ein­mal sa­gen: Sie ha­ben es nicht bes­ser ver­dient, und wenn Ihre arme Frau nicht wäre, die ja al­lein die Last Ih­rer Dumm­hei­ten tra­gen muss, ich ris­se mir wirk­lich kein Bein um die Sa­che aus. Um Ih­rer Frau wil­len, Som­mer, wohl­ge­merkt, um Ih­rer Frau wil­len wer­de ich aber, so­bald ich Sie erst nach Num­mer Si­cher ge­bracht habe, dem Leut­nant gleich Be­richt ma­chen, und es ist ja mög­lich, dass die­ser Vo­gel noch nicht über alle Ber­ge ist – so bald er­war­tet er uns viel­leicht noch nicht.

      Nun aber kom­men Sie ein biss­chen schnell, ich möch­te Sie jetzt ger­ne bald ab­ge­lie­fert ha­ben, sonst ma­chen Sie noch eine fri­sche Dumm­heit. Von Ih­nen kann man ja ein­fach al­les er­war­ten. Du lie­ber Him­mel! Nie in mei­nem Le­ben wer­de ich wie­der auf eine sol­che Fassa­de rein­fal­len, wun­der habe ich ge­dacht, was Sie für ein tüch­ti­ger Kerl sind, aber wahr­schein­lich hat al­les die Frau ge­macht. Wie soll die Ih­nen je den Mist, den Sie da an­ge­rich­tet ha­ben, ver­zei­hen!«

      Da­mit gin­gen wir los und re­de­ten auch kein ein­zi­ges Wort mehr bis zum Amts­ge­richt; Schul­ze war wohl schon in­ner­lich mit dem Be­richt an den Leut­nant be­schäf­tigt, ich aber war wirk­lich tief ge­kränkt über all die Un­ge­rech­tig­kei­ten, die mir die­ser sub­al­ter­ne Be­am­te ganz frech ins Ge­sicht ge­sagt hat­te. Wenn der Mann nicht ein­sah, dass ich ein­fach krank ge­we­sen war, als hilflo­ser Kran­ker ei­nem Schur­ken aus­ge­lie­fert, so war ihm nicht zu hel­fen, dann war er der Dum­me. Ich je­den­falls war es be­stimmt nicht. Ich war nur krank ge­we­sen, war es noch im­mer …

      1 Som­mer­ge­trei­de


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