Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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und sah sei­ner Frau in der Kü­che zu, wie sie das Früh­stück fer­tig­mach­te. Nach dem Früh­stück wür­den sie mit­ein­an­der spre­chen, vor­läu­fig hat­ten sie nur einen Gu­ten-Mor­gen-Gruß ge­wech­selt, aber einen freund­li­chen.

      Plötz­lich schre­cken sie bei­de zu­sam­men. In der Kü­che über ih­nen ist Ge­schrei, sie lau­schen, ei­nes das an­de­re ge­spannt und be­sorgt an­se­hend. Dann wird für Se­kun­den­schnel­le das Kü­chen­fens­ter ver­dun­kelt, et­was Schwe­res scheint vor­bei­zu­stür­zen – und nun hö­ren sie es schwer auf­schla­gen auf dem Hof. Un­ten schreit je­mand auf – ein Mann. Und To­ten­stil­le.

      Otto Quan­gel reißt das Kü­chen­fens­ter auf, fährt aber zu­rück, als er Ge­pol­ter auf der Trep­pe hört.

      »Steck du mal schnell den Kopf raus, Anna!«, sagt er. »Sieh, ob du was se­hen kannst. Eine Frau fällt bei so was we­ni­ger auf.« Er fasst sie bei der Schul­ter und drückt sie sehr stark. »Schrei nicht!«, sagt er be­feh­lend. »Du sollst nicht schrei­en! So, mach das Fens­ter wie­der zu!«

      »Gott, Otto!«, ächzt Frau Quan­gel und starrt ih­ren Mann mit weißem Ge­sicht an. »Die Ro­sen­thal ist aus dem Fens­ter ge­stürzt. Sie liegt un­ten auf dem Hof. Der Bark­hau­sen steht bei ihr und …«

      »Still!«, sagt er. »Jetzt still! Wir wis­sen von nichts. Wir ha­ben nichts ge­se­hen und nichts ge­hört. Bring den Kaf­fee in die Stu­be!«

      Und drin­nen noch ein­mal, mit Nach­druck: »Wir wis­sen nichts, Anna. Ha­ben die Ro­sen­thal fast nie ge­se­hen. Und nun iss! Iss, sage ich dir. Und trink Kaf­fee! Wenn ei­ner kommt, er darf uns nichts an­mer­ken!«

      Der Kam­mer­ge­richts­rat Fromm hat­te noch im­mer auf sei­nem Beo­b­ach­tungs­pos­ten ge­stan­den. Er hat­te zwei Zi­vi­lis­ten die Trep­pe hin­auf­ge­hen se­hen, und nun stürm­ten drei Mann – und der Per­si­cke-Jun­ge da­bei – die Trep­pe hin­un­ter. Es hat­te also et­was ge­ge­ben, und schon brach­te ihm sei­ne Be­die­ne­rin aus der Kü­che die Nach­richt, dass eben Frau Ro­sen­thal von oben auf den Hof ge­stürzt sei. Er starr­te sie er­schro­cken an.

      Ei­nen Au­gen­blick stand er ganz still. Dann nick­te er lang­sam mit dem Kopf, ein paar­mal.

      »Ja, Lie­se«, sag­te er. »Das ist nicht an­ders. Man muss nicht nur ret­ten wol­len. Der an­de­re muss auch mit der Ret­tung rich­tig ein­ver­stan­den sein.« Und dann rasch: »Ist das Kü­chen­fens­ter wie­der zu?« Lie­se nick­te. »Schnell, Lie­se, bring das Zim­mer vom gnä­di­gen Fräu­lein wie­der in Ord­nung; nie­mand darf se­hen, dass es be­nutzt war. Ge­schirr weg! Wä­sche weg!«

      Wie­der nick­te Lie­se.

      Dann frag­te sie: »Und das Geld und der Schmuck auf dem Tisch, Herr Rat?«

      Ei­nen Au­gen­blick stand er bei­na­he hilf­los da, kläg­lich sah er aus mit dem rat­lo­sen Lä­cheln auf dem Ge­sicht. »Ja, Lie­se«, sag­te er dann. »Da­mit wird’s schwer wer­den. Er­ben wer­den sich wohl kei­ne mel­den. Und für uns ist’s nur eine Last …«

      »Ich tu’s in den Müll­ei­mer«, schlug Lie­se vor.

      Er schüt­tel­te den Kopf. »Für Müll­ei­mer sind die zu schlau, Lie­se«, sag­te er dann. »Das kön­nen die ja ge­ra­de, im Müll rum­wüh­len! Na, ich wer­de schon se­hen, wo ich da­mit erst ein­mal blei­be. Mach bloß schnell mit dem Zim­mer! Die kön­nen jede Mi­nu­te kom­men!«

      Vor­läu­fig stan­den sie noch auf dem Hof, der Bark­hau­sen bei ih­nen.

      Der Bark­hau­sen hat­te den Schreck zu­erst ab­ge­kriegt, und am stärks­ten. Er war da seit dem frü­hen Mor­gen auf dem Hof her­um­ge­stri­chen, ge­quält von sei­nem Hass auf die Per­sickes und sei­ner Gier nach den ent­schwun­de­nen Sa­chen. Er woll­te doch we­nigs­tens wis­sen – und so be­ob­ach­te­te er stän­dig das Trep­pen­haus, die Fens­ter vor­ne …

      Plötz­lich war da et­was ganz dicht bei ihm nie­der­ge­stürzt, so nah und aus großer Höhe, es hat­te ihn ge­streift. Der Schre­cken war ihm der­art in die Glie­der ge­fah­ren, dass er sich ge­gen die Hof­wand lehn­te, und gleich dar­auf muss­te er sich auf die Erde set­zen, es wur­de ihm schwarz vor den Au­gen.

      Dann war er wie­der hoch­ge­fah­ren, denn plötz­lich hat­te er ge­merkt, dass er ne­ben Frau Ro­sen­thal auf dem Hofe saß. Gott, da hat­te sich also die alte Frau aus dem Fens­ter ge­stürzt, und wer dar­an schuld war, das wuss­te er auch.

      Bark­hau­sen sah gleich, dass die Frau tot war. Ein biss­chen Blut war aus ih­rem Mund ge­lau­fen, aber das ver­un­stal­te­te sie kaum. Auf dem Ge­sicht lag ein sol­cher Aus­druck von tie­fem Frie­den, dass selbst der er­bärm­li­che klei­ne Spit­zel weg­se­hen muss­te. Da­bei fiel sein Blick auf ihre Hän­de, und er sah, dass sie in der einen Hand et­was hielt, ein Schmuck­stück, des­sen Stei­ne leuch­te­ten.

      Bark­hau­sen warf einen arg­wöh­ni­schen Blick um sich. Wenn er et­was tun woll­te, muss­te es schnell ge­sche­hen. Er bück­te sich; von der To­ten ab­ge­wandt, so­dass er ihr nicht ins Ge­sicht se­hen muss­te, zog er ihr das Sa­phi­r­arm­band aus der Hand und ließ es in sei­ner Ho­sen­ta­sche ver­schwin­den. Wie­der sah er arg­wöh­nisch um sich. Ihm war, als wür­de bei den Quan­gels das Kü­chen­fens­ter vor­sich­tig ge­schlos­sen.

      Und da ka­men sie schon über den Hof ge­lau­fen, drei Mann, und wer die zwei an­de­ren wa­ren, das sah er auch gleich. Nun kam es dar­auf an, dass er sich von An­fang an rich­tig be­nahm.

      »Da hat sich eben die Frau Ro­sen­thal aus dem Fens­ter ge­stürzt, Herr Kom­missar«, sag­te er, als mel­de er ein ganz all­täg­li­ches Er­eig­nis. »Bei­na­he wäre mir die Frau auf den Kopf ge­fal­len.«

      »Wo­her ken­nen Sie mich denn?«, frag­te der Kom­missar bei­läu­fig, wäh­rend er sich mit dem Fried­rich über die Tote beug­te.

      »Ich kenn Sie nicht, Herr Kom­missar«, sag­te Bark­hau­sen. »Ich hab’s mir bloß ge­dacht. Weil ich näm­lich manch­mal was für den Herrn Kom­missar Esche­rich ar­bei­ten darf.«

      »So!«, sag­te der Kom­missar nur. »So. Dann blei­ben Sie hier noch mal ein biss­chen ste­hen. Sie, jun­ger Mann«, wand­te er sich zu Per­si­cke, »pas­sen Sie mal ein biss­chen auf, dass uns die­ser Jun­ge nicht ver­lo­ren­geht. Fried­rich, sorg da­für, dass kei­ne Leu­te auf den Hof kom­men. Sag dem Fah­rer Be­scheid, er soll in der Tor­fahrt auf­pas­sen. Ich geh nur mal rasch in Ihre Woh­nung te­le­fo­nie­ren!«

      Als der Herr Kom­missar Rusch vom Te­le­fo­nie­ren auf den Hof zu­rück­kam, hat­te sich die Lage dort ein we­nig ge­än­dert. In den Fens­tern des Hin­ter­hau­ses la­gen über­all Ge­sich­ter, es stan­den auch ein paar Leu­te auf dem Hof – aber fer­ne. Die Lei­che war jetzt mit ei­nem La­ken zu­ge­deckt, das et­was zu kurz war, die Bei­ne der Frau Ro­sen­thal sa­hen bis zu den Kni­en dar­un­ter her­vor.

      Der Herr Bark­hau­sen aber sah et­was gelb im Ge­sicht aus und trug jetzt Hand­kett­lein. Von der Hof­sei­te her be­ob­ach­te­ten ihn schwei­gend sei­ne Frau und die fünf Kin­der.

      »Herr Kom­missar, ich pro­tes­tie­re da­ge­gen!«, rief Bark­hau­sen jetzt jäm­mer­lich. »Ich habe das Arm­band be­stimmt nicht in die Kel­ler­lu­ke ge­wor­fen. Der jun­ge Herr Per­si­cke hat einen Hass auf mich …«

      Es stell­te sich her­aus, dass Fried­rich, von der Er­le­di­gung sei­ner Auf­trä­ge zu­rück­ge­kehrt, so­fort be­gon­nen hat­te, nach dem Arm­band zu su­chen. Frau Ro­sen­thal hat­te es in der Kü­che doch noch


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