Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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woll­te. Und wenn ich’s nicht tun kann, will ich auch nicht da­von spre­chen. Vi­el­leicht an­de­ren Sonn­tag. Horchst du? Ja, da schleicht wohl schon wie­der ei­ner von den Per­sickes über die Trep­pe – na, lass sie! Wenn sie uns nur in Frie­den las­sen!«

      Aber Otto Quan­gel war un­ge­wöhn­lich weich an die­sem Sonn­tag. Anna durf­te so viel von dem ge­fal­le­nen Sohn re­den, wie sie woll­te, er ver­bot ihr nicht den Mund. Er sah so­gar mit ihr die we­ni­gen Fo­tos durch, die sie von dem Soh­ne be­saß, und als sie da­bei wie­der zu wei­nen an­fing, leg­te er ihr die Hand auf die Schul­ter und sag­te: »Lass, Mut­ter, lass. Wer weiß, wo­zu’s gut ist, was ihm al­les er­spart bleibt.«

      Also: die­ser Sonn­tag war auch ohne Auss­pra­che gut. Lan­ge hat­te Anna Quan­gel den Mann nicht so mil­de ge­se­hen, es war, als schie­ne die Son­ne noch ein­mal, ein letz­tes Mal über das Land, ehe der Win­ter kam, der al­les Le­ben un­ter sei­ner Eis- und Schnee­de­cke ver­barg. In den nächs­ten Mo­na­ten, die Quan­gel im­mer käl­ter und wort­kar­ger mach­ten, muss­te sie oft an die­sen Sonn­tag zu­rück­den­ken, er war ihr Trost und Auf­mun­te­rung zu­gleich.

      Dann fing die Ar­beits­wo­che wie­der an, eine die­ser im­mer glei­chen Ar­beits­wo­chen, die eine der an­de­ren äh­nel­ten, ob nun Blu­men blüh­ten oder Schnee drau­ßen trieb. Die Ar­beit war im­mer die glei­che, und die Men­schen blie­ben auch, wie sie ge­we­sen wa­ren.

      Nur ein klei­nes Er­leb­nis, ein ganz klei­nes, hat­te Otto Quan­gel in die­ser Ar­beits­wo­che. Als er zur Fa­brik ging, kam ihm in der Ja­blons­ki­stra­ße der Kam­mer­ge­richts­rat a.D. Fromm ent­ge­gen. Quan­gel hät­te ihn schon ge­grüßt, aber er scheu­te die Au­gen der Per­sickes. Er woll­te auch nicht, dass Bark­hau­sen, von dem Anna ihm er­zählt hat­te, die Ge­sta­po habe ihn mit­ge­nom­men, et­was sähe. Der Bark­hau­sen war näm­lich wie­der da, wenn er über­haupt je fort­ge­we­sen war, und hat­te sich vor dem Hau­se her­um­ge­drückt.

      So ging denn Quan­gel stur, ohne ihn zu se­hen, an dem Kam­mer­ge­richts­rat vor­bei. Der hat­te wohl nicht so vie­le Be­den­ken, je­den­falls lüf­te­te er leicht sei­nen Hut vor dem Mit­be­woh­ner des Hau­ses, lä­chel­te mit den Au­gen und ging ins Haus.

      Gra­de recht!, dach­te Quan­gel. Wer’s ge­se­hen hat, denkt: der Quan­gel bleibt im­mer der glei­che rohe Klotz, und der Kam­mer­ge­richts­rat ist ein fei­ner Mann. Aber dass die bei­den was mit­ein­an­der zu tun hat­ten, das denkt er nicht!

      Anna Quan­gel aber hat­te in die­ser Wo­che noch eine schwie­ri­ge Ar­beit zu er­le­di­gen. Beim Ein­schla­fen am Sonn­tag hat­te ihr der Mann noch ge­sagt: »Sieh, dass du aus der Frau­en­schaft raus­kommst. Aber so, dass es kei­nem auf­fällt. Ich bin auch mei­nen Pos­ten bei der Ar­beits­front los.«

      »Oh Gott!«, rief sie. »Wie hast du das denn ge­macht, Otto? Wie­so ha­ben die dich ge­hen las­sen?«

      »We­gen an­ge­bo­re­ner Kör­per­doof­heit«, hat­te Quan­gel un­ge­wöhn­lich auf­ge­räumt geant­wor­tet und da­mit die­se Un­ter­hal­tung be­en­det.

      Sie aber hat­te ihre Auf­ga­be nun vor sich. We­gen Doof­heit wür­den die sie nie lau­fen­las­sen, da­für kann­ten sie die Quan­gel zu gut, ihr muss­te schon et­was an­de­res ein­fal­len. Den Mon­tag und Diens­tag grü­bel­te Anna Quan­gel dar­über, am Mitt­woch glaub­te sie es schließ­lich zu ha­ben. Wenn Doof­heit bei ihr nicht ver­fing, dann viel­leicht Über­klug­heit. Über­klug­heit, zu viel wis­sen, zu schlau sein, das war de­nen noch läs­ti­ger als ein biss­chen Doof­heit. Und Über­klug­heit, ge­paart mit Übe­rei­fer, ja, so muss­te es ge­hen.

      Und kurz ent­schlos­sen mach­te sich Anna Quan­gel auf den Weg. Sie woll­te die­se Sa­che mög­lichst schnell hin­ter sich brin­gen, sie woll­te, wenn es ir­gend ging, heu­te Nacht noch Otto mel­den, dass sie es wie er ge­schafft hat­te, das heißt, ohne par­tei­po­li­tisch miss­lie­big auf­ge­fal­len zu sein. Sie muss­te es de­nen für im­mer ver­gäl­len, sich mit ihr zu be­schäf­ti­gen. Schon wenn de­nen die Quan­gel ein­fiel, soll­ten sie nur den­ken: ›Ach, die kommt für so was nicht in Fra­ge!‹, was die­ses So­was auch sein moch­te!

      Frei­lich hat­te der Mi­nis­ter in ei­nem wei­te­ren Ar­ti­kel, der wohl von den Da­men sei­nes ei­ge­nen Krei­ses er­zwun­gen wor­den war, sich be­eilt, hin­zu­zu­fü­gen, dass rote Fin­ger­nä­gel und ein ge­pfleg­tes Äu­ße­res nicht ohne Wei­te­res die Merk­ma­le ei­ner Aso­zia­len und Ar­beits­scheu­en sei­en. Er warn­te drin­gend vor An­rem­pe­lun­gen nur aus sol­chen Grün­den! Die Par­tei wer­de in ih­rer Ge­rech­tig­keit je­den ein­zel­nen ihr ge­mel­de­ten Fall nach­prü­fen. Wo­mit er ei­ner wohl be­ab­sich­tig­ten Hoch­flut von De­nun­zia­tio­nen Tür und Tor öff­ne­te.

      Aber wie so oft schon vor­her und nach­her hat­te der Mi­nis­ter mit sei­nem ers­ten Ar­ti­kel die nie­ders­ten Pö­bel­in­stink­te wach­ge­ru­fen, und Anna Quan­gel sah hier ohne Wei­te­res ihre Mög­lich­kei­ten. Zwar wohn­ten in ih­rem Be­zirk meist nur schlich­te Leu­te, aber eine Dame wuss­te sie doch, auf die jene Be­schrei­bung des Mi­nis­ters haar­ge­nau pass­te. Anna Quan­gel lä­chel­te schon im Voraus bei dem Ge­dan­ken, wel­che Wir­kung ihr Be­such wohl ha­ben wür­de.

      Die von ihr auf­ge­such­te Dame wohn­te in ei­nem großen Hau­se am Fried­richs­hain, und Frau Quan­gel sag­te zu dem öff­nen­den Mäd­chen mit Barsch­heit, durch die sie ihre ei­ge­ne, sie plötz­lich heim­su­chen­de Un­si­cher­heit ver­ste­cken woll­te: »Ach was, nach­se­hen, ob die gnä­di­ge Frau zu spre­chen ist! Ich kom­me von der Frau­en­schaft, und ich muss sie spre­chen, und ich wer­de es auch! – Üb­ri­gens, Fräu­lein«, setz­te sie plötz­lich mit ge­senk­ter Stim­me hin­zu, »wie­so gnä­di­ge Frau? So was gibt es doch im Drit­ten Reich gar nicht mehr! Wir ar­bei­ten alle für un­sern ge­lieb­ten Füh­rer – je­des an sei­nem Platz! Ich will zu Frau Ge­rich!«

      Es bleibt un­ge­wiss, warum Frau Ge­rich die­se Ge­sand­tin der NS-Frau­en­schaft emp­fing, ob doch lei­se be­un­ru­higt durch den Be­richt ih­res Mäd­chens oder ob ein­fach aus Lan­ger­wei­le, die hal­be Stun­de ei­nes öden Nach­mit­tags zu ver­kür­zen. Je­den­falls emp­fing sie Frau Quan­gel.

      Sie kam ihr mit ei­nem lie­bens­wür­di­gen Lä­cheln bis in die Mit­te ih­res üp­pi­gen Sa­lons ent­ge­gen, und Frau Quan­gel stell­te mit ei­nem Blick fest, dass Frau Ge­rich wirk­lich das Ge­schöpf war, das sie such­te: eine lang­bei­ni­ge Blon­di­ne, zu­recht­ge­macht und par­fü­miert, über der Stirn ein ho­her Auf­bau von Lo­cken und Löck­chen. Die Hälf­te da­von falsch!, ent­schied Anna Quan­gel so­fort. Die­se Fest­stel­lung gab ihr ein we­nig von ih­rer Si­cher­heit


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