Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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vom Hofe her, Ar­bei­ter aus ir­gend­ei­ner Fa­brik, Quan­gel schiebt sich un­ter sie. Dies­mal, ist er ganz si­cher, hat ihn der Por­tier über­haupt nicht an­ge­se­hen.

      Er geht über den Fahr­damm und stellt sich ne­ben Anna.

      »Er­le­digt!«, sagt er.

      Und als er das Auf­leuch­ten ih­res Au­ges, das Nach­zit­tern ih­rer Lip­pen sieht, setzt er hin­zu: »Nie­mand hat mich ge­se­hen!« Und schließ­lich: »Komm, lass uns ge­hen. Es ist gra­de noch Zeit, dass ich zu Fuß in die Fa­brik kom­me.«

      Sie ge­hen. Aber bei­de wer­fen im Ge­hen noch einen Blick auf die­ses Bü­ro­haus zu­rück, in dem nun die ers­te Kar­te Quan­gels ih­ren Weg in die Welt an­tritt. Sie ni­cken dem Haus ge­wis­ser­ma­ßen Ab­schied neh­mend zu. Es ist ein gu­tes Haus, und so vie­le Häu­ser sie auch in den nächs­ten Mo­na­ten und Jah­ren in der glei­chen Ab­sicht auf­su­chen wer­den – die­ses Haus wird von ih­nen nicht ver­ges­sen wer­den.

      Anna Quan­gel möch­te ger­ne ein­mal rasch die Hand des Man­nes strei­cheln, aber sie wagt es nicht. So streift sie nur wie zu­fäl­lig da­ge­gen und sagt er­schro­cken: »Ver­zei­hung, Otto!«

      Er sieht sie ver­wun­dert von der Sei­te an, aber er schweigt.

      Sie ge­hen wei­ter.

ZWEITER TEIL – Die Gestapo

      20. Der Weg der Karten

      Der Schau­spie­ler Max Har­t­ei­sen hat­te, wie sein Freund und An­walt Toll sich aus­zu­drücken be­lieb­te, aus vor­na­zis­ti­schen Zei­ten noch reich­lich viel But­ter auf dem Kopf. Er hat­te in Fil­men mit­ge­spielt, die von jü­di­schen Re­gis­seu­ren ge­lei­tet wa­ren, er hat­te in pa­zi­fis­ti­schen Fil­men mit­ge­spielt, und eine sei­ner Haup­trol­len auf dem Thea­ter war je­ner ver­damm­te Schwäch­ling, der Prinz von Hom­burg, ge­we­sen, den je­der wah­re Na­tio­nal­so­zia­list nur an­spu­cken kann. Max Har­t­ei­sen hat­te also al­len An­lass, sehr vor­sich­tig zu sein; eine Zeit lang war es ja sehr zwei­fel­haft ge­we­sen, ob er un­ter den brau­nen Her­ren über­haupt noch spie­len durf­te.

      Aber das hat­te dann ja schließ­lich doch ge­klappt. Na­tür­lich muss­te der gute Jun­ge eine ge­wis­se Zu­rück­hal­tung üben und erst ein­mal echt braun ge­färb­ten Schau­spie­lern den Vor­tritt las­sen, wenn sie auch lan­ge nicht so viel konn­ten wie er. Aber gra­de an die­ser Zu­rück­hal­tung hat­te er es feh­len las­sen; der ah­nungs­lo­se Kna­be hat­te so ge­spielt, dass dies so­gar dem Mi­nis­ter Go­eb­bels auf­ge­fal­len war. Ja, der Mi­nis­ter hat­te so­gar einen Nar­ren an dem Har­t­ei­sen ge­fres­sen. Und was es mit sol­chen Vor­lie­ben des Mi­nis­ters auf sich hat­te, das wuss­te ja je­des Kind, denn es gab kei­nen lau­ni­sche­ren, un­be­re­chen­ba­re­ren Men­schen als den Dok­tor Jo­seph Go­eb­bels.

      Es kam dann auch al­les so, wie es kom­men muss­te. Zu­erst hat­te es wie ei­tel Freu­de und Glanz aus­ge­se­hen, denn wenn der Mi­nis­ter je­man­den zu ver­eh­ren ge­ruh­te, so mach­te er kei­nen Un­ter­schied, ob dies eine Frau oder ein Mann war. Wie bei ei­ner Ge­lieb­ten hat­te Dok­tor Go­eb­bels je­den Mor­gen bei dem Schau­spie­ler Har­t­ei­sen an­ge­ru­fen, er hat­te sich nach sei­nem Schlaf er­kun­digt, er hat­te ihm wie ei­ner Diva Blu­men und Kon­fekt ge­sandt, und es durf­te ei­gent­lich kein Tag ver­ge­hen, ohne dass der Mi­nis­ter we­nigs­tens kur­ze Zeit mit Har­t­ei­sen zu­sam­men war. Ja, er nahm den Schau­spie­ler so­gar nach Nürn­berg auf den Par­tei­tag mit, er er­klär­te ihm den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus »rich­tig«, und der Har­t­ei­sen ver­stand auch al­les, was er ver­ste­hen soll­te.

      Er ver­stand nur nicht, dass zum rich­ti­gen Na­tio­nal­so­zia­lis­mus auch ge­hört, dass ein ein­fa­cher Volks­ge­nos­se ei­nem Mi­nis­ter nicht wi­der­spricht, denn ein Mi­nis­ter ist schon ein­fach durch die Tat­sa­che, dass er Mi­nis­ter ist, zehn­mal klü­ger als je­der an­de­re. Bei ir­gend­ei­ner ganz be­lang­lo­sen Film­fra­ge wi­der­sprach Har­t­ei­sen sei­nem Mi­nis­ter und be­haup­te­te gra­de­zu, es sei Quatsch, was der Herr Go­eb­bels da ge­re­det habe. Es soll da­hin­ge­stellt blei­ben, ob die wirk­lich be­lang­lo­se und dazu auch noch rein theo­re­ti­sche Film­fra­ge den Schau­spie­ler in so zor­ni­gen Ei­fer ge­ris­sen hat­te oder ob ihm die ver­stie­ge­ne An­him­me­lei des Mi­nis­ters ein­fach über war und ob er dar­um einen Bruch wünsch­te. Je­den­falls blieb er, trotz man­cher Er­mah­nung, bei sei­nem Satz, Quatsch sei es und Quatsch blei­be es, ob Mi­nis­ter oder nicht, ganz egal!

      Oh, wie än­der­te sich da die Welt für Max Har­t­ei­sen! Kei­ne mor­gend­li­chen Er­kun­di­gun­gen mehr nach der Güte sei­nes Schla­fes, kei­ne Pra­li­nen, kei­ne Blu­men, kei­ne Be­su­che bei Herrn Dok­tor Go­eb­bels mehr, auch nichts mehr von Be­leh­run­gen über den rich­ti­gen Na­tio­nal­so­zia­lis­mus! Ach, das wäre al­les noch zu er­tra­gen ge­we­sen, ja, viel­leicht war es so­gar er­wünscht, aber plötz­lich gab es für den Har­t­ei­sen auch kei­ne En­ga­ge­ments mehr, schon fest ab­ge­schlos­se­ne Film­ver­trä­ge zer­platz­ten, Gast­spie­le zer­ran­nen in nichts, es gab nichts mehr zu tun für den Schau­spie­ler Har­t­ei­sen.

      Da der Har­t­ei­sen ein Mann war, der sei­nen Be­ruf nicht nur des Geld­ver­die­nens hal­ber schätz­te, son­dern da er ein wirk­li­cher Schau­spie­ler war, des­sen Le­ben sei­ne Hö­he­punk­te auf der Büh­ne, vor der Ka­me­ra fin­den muss­te, so war er über die­se er­zwun­ge­ne Un­tä­tig­keit ganz ver­zwei­felt. Er konn­te und woll­te es nicht glau­ben, dass der Mi­nis­ter, der an­dert­halb Jah­re lang sein bes­ter Freund ge­we­sen war, nun zu ei­nem so be­den­ken­lo­sen, ja ge­mei­nen Feind ge­wor­den war, dass er die Macht sei­ner Stel­lung dazu be­nutz­te, we­gen ei­nes Wi­der­spruchs ei­nem an­de­ren alle Le­bens­freu­de zu neh­men. (Er hat­te im Jah­re 1940 noch im­mer nicht be­grif­fen, der gute Har­t­ei­sen, dass je­der Nazi zu je­der Zeit be­reit war, je­dem Deut­schen, der eine von sei­ner ab­wei­chen­de Mei­nung hat­te, nicht nur alle Le­bens­freu­de, son­dern auch das Le­ben selbst zu neh­men.)

      Aber wie die Zeit da­hin­ging und kei­ner­lei Ar­beits­mög­lich­keit auf­tauch­te, muss­te Max Har­t­ei­sen schließ­lich dar­an glau­ben. Freun­de be­rich­te­ten ihm, dass der Mi­nis­ter auf ei­ner Film­kon­fe­renz er­klärt hat­te, der Füh­rer wol­le die­sen Schau­spie­ler nie wie­der im Rock ei­nes Of­fi­ziers auf der Lein­wand se­hen. Nicht viel spä­ter hieß es schon, der Füh­rer wol­le die­sen Schau­spie­ler über­haupt nicht mehr se­hen, und dann wur­de ganz of­fi­zi­ell er­klärt, der Schau­spie­ler Har­t­ei­sen sei »un­er­wünscht«. Aus, zu Ende, mein Lie­ber, mit sechs­und­drei­ßig Jah­ren auf die schwar­ze Lis­te ge­setzt – für ein gan­zes Tau­send­jäh­ri­ges Reich!

      Jetzt hat­te der Schau­spie­ler Har­t­ei­sen wirk­lich But­ter auf dem Kopf. Aber er ließ nicht nach, er bohr­te und frag­te, er woll­te um je­den Preis er­fah­ren, ob die­se ver­nich­ten­den Ur­tei­le wirk­lich vom Füh­rer aus­gin­gen oder ob sie sich der klei­ne Mann nur aus­ge­dacht hat­te, um einen Feind zu er­le­di­gen. Und an die­sem Mon­tag war Har­t­ei­sen nun völ­lig sie­ges­ge­wiss zu sei­nem An­walt Toll ge­stürzt und hat­te ge­ru­fen: »Ich hab’s! Ich hab’s, Er­win! Der Schur­ke hat ge­lo­gen. Der Füh­rer hat den Film, in dem ich den preu­ßi­schen Of­fi­zier spie­le, über­haupt nicht ge­se­hen, und er hat nie ein Wort ge­gen mich ge­äu­ßert.«

      Und er be­rich­te­te eif­rig, dass die­se Nach­richt ganz ge­wiss sei, denn sie stam­me von Gö­ring selbst. Eine Freun­din


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