Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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dass Sie mir die ers­te Mel­dung ge­bracht ha­ben, und wenn ich den Kerl ge­fasst habe und es ist so weit, so schi­cke ich Ih­nen eine Ein­la­dungs­kar­te für die Hin­rich­tung.«

      »Nee, dan­ke wirk­lich. So war das nicht ge­meint!«

      »Na­tür­lich war es so ge­meint. Wa­rum ge­nie­ren Sie sich denn vor mir?! Vor mir braucht sich kein Mensch zu ge­nie­ren, ich weiß, was mit den Men­schen los ist! Wenn wir hier das nicht wüss­ten, wer soll’s denn sonst wis­sen? Nicht mal der lie­be Gott! Also, ab­ge­macht, ich schi­cke Ih­nen eine Kar­te zur Hin­rich­tung. Heil Hit­ler!«

      »Heil Hit­ler! Und ver­ges­sen Sie es auch nicht!«

      1 Pro­pa­gan­da­mi­nis­ter Go­eb­bels <<<

      2 Hein­rich Luit­pold Himm­ler war ein deut­scher Po­li­ti­ker der NSDAP. Er mach­te in den 1920er Jah­ren als Reichs­red­ner und Par­tei­funk­tio­när Kar­rie­re. <<<

      21. Ein halbes Jahr danach: Quangels

      Ein hal­b­es Jahr spä­ter war den bei­den Quan­gels das sonn­täg­li­che Schrei­ben der Post­kar­ten be­reits zur Ge­wohn­heit ge­wor­den, zu ei­ner hei­li­gen Ge­wohn­heit frei­lich, die ein Be­stand­teil ih­res täg­li­chen Le­bens war wie die tie­fe Ruhe, die sie um­gab, oder die ei­ser­ne Spar­sam­keit um je­den Gro­schen. Es wa­ren die schöns­ten Stun­den der Wo­che, wenn sie bei­de an den Sonn­ta­gen bei­sam­mensa­ßen, sie in der So­fae­cke, mit ir­gend­ei­ner Flick- oder Stopf­ar­beit be­schäf­tigt, er steif auf dem Stuhl am Tisch sit­zend, den Fe­der­hal­ter in der großen Hand, lang­sam Wort für Wort hin­ma­lend.

      Quan­gel hat­te sei­ne an­fäng­li­che Leis­tung von ei­ner Kar­te pro Wo­che jetzt ver­dop­pelt. Ja, an gu­ten Sonn­ta­gen brach­te er es so­gar auf drei Kar­ten. Nie schrieb er aber eine Kar­te glei­chen In­halts. Son­dern bei­de Quan­gels ent­deck­ten, je mehr sie schrie­ben, umso mehr Feh­ler des Füh­rers und sei­ner Par­tei. Din­ge, die ih­nen, als sie ge­sch­a­hen, kaum als ta­delns­wert zum Be­wusst­sein ge­kom­men wa­ren, wie die Un­ter­drückung al­ler an­de­ren Par­tei­en, oder die sie nur als zu weit­ge­hend und zu roh durch­ge­führt ver­ur­teilt hat­ten, wie die Ju­den­ver­fol­gun­gen (denn wie die meis­ten Deut­schen wa­ren die Quan­gels im In­nern kei­ne Ju­den­freun­de, also mit die­sen Maß­nah­men ein­ver­stan­den) – die­se Din­ge be­ka­men jetzt, da sie zu Fein­den des Füh­rers ge­wor­den wa­ren, ein ganz an­de­res Ge­sicht und Ge­wicht. Sie be­wie­sen ih­nen die Ver­lo­gen­heit der Par­tei und ih­rer Füh­rer. Und wie alle frisch Be­kehr­ten hat­ten sie das Be­stre­ben, an­de­re zu be­keh­ren, und so wur­de der Ton, in dem die­se Kar­ten ge­schrie­ben wur­den, nie mo­no­ton, und an The­men gab es kei­nen Man­gel.

      Anna Quan­gel hat­te nun längst ih­ren stil­len Zu­hö­rer­pos­ten auf­ge­ge­ben, sie saß leb­haft da im Sofa, sprach mit, schlug The­men vor und dach­te Sät­ze aus. Sie ar­bei­te­ten in der schöns­ten Ge­mein­sam­keit, und die­se tie­fe, in­ne­re Ge­mein­sam­keit, die sie nach so lan­ger Ehe jetzt erst ken­nen­lern­ten, wur­de ih­nen zu ei­nem großen Glück, das über die gan­ze Wo­che hin sein Licht aus­strahl­te. Sie sa­hen sich mit ei­nem Blick an, sie lä­chel­ten, je­des wuss­te von dem an­de­ren, es hat­te jetzt an die nächs­te Kar­te ge­dacht oder an die Wir­kung die­ser Kar­ten, an die stän­dig wach­sen­de Zahl ih­rer An­hän­ger und dass schon mit Be­gier auf die nächs­te Nach­richt von ih­nen ge­war­tet wur­de.

      Bei­de Quan­gels zwei­fel­ten nicht einen Au­gen­blick dar­an, dass ihre Kar­ten jetzt in den Be­trie­ben heim­lich von Hand zu Hand gin­gen, dass Ber­lin von die­sen Be­kämp­fern zu spre­chen an­fing. Sie wa­ren sich klar dar­über, dass ein Teil der Kar­ten der Po­li­zei in die Hän­de fiel, aber sie nah­men an: höchs­tens jede fünf­te oder sechs­te Kar­te. Sie hat­ten so oft an die­se Wir­kung ge­dacht und von ihr ge­spro­chen, dass die Wei­ter­ver­brei­tung ih­rer Nach­rich­ten, das Auf­se­hen, das sie er­reg­ten, ih­nen ganz selbst­ver­ständ­lich er­schi­en, eine Tat­sa­che, die man nicht be­zwei­feln konn­te.

      Da­bei hat­ten bei­de Quan­gels nicht den ge­rings­ten tat­säch­li­chen An­halts­punkt da­für. Ob Anna Quan­gel nun vor ei­nem Le­bens­mit­tel­la­den in der Schlan­ge an­stand, ob der Werk­meis­ter sich stumm mit sei­nen schar­fen Au­gen zu ei­ner Grup­pe von Schwät­zern stell­te und eben nur durch sein Dort­ste­hen ihr Ge­schwätz zum Auf­hö­ren brach­te – nie­mals hör­ten sie ein Wort von dem neu­en Kämp­fer ge­gen den Füh­rer, von den Bot­schaf­ten, die er in die Welt sand­te. Aber die­ses Schwei­gen über ihre Ar­beit konn­te sie nicht wan­kend ma­chen in dem fes­ten Glau­ben, dass doch von ihr ge­re­det wur­de, dass sie ihre Wir­kung tat. Ber­lin war eine sehr große Stadt, und die Ver­tei­lung der Kar­ten er­streck­te sich auf ein wei­tes Ge­biet, es brauch­te sei­ne Zeit, bis das Wis­sen von ih­nen über­all ein­si­cker­te. Kurz, den Quan­gels er­ging es wie al­len Men­schen: sie glaub­ten, was sie hoff­ten.

      Von den Vor­sichts­maß­re­geln, die Quan­gel zu Be­ginn sei­ner Ar­beit für nö­tig ge­hal­ten hat­te, war er nur bei den Hand­schu­hen ab­ge­wi­chen. Ge­naue Über­le­gun­gen hat­ten ihm ge­sagt, dass die­se stö­ren­den Din­ger, die sei­ne Ar­beit so ver­lang­sam­ten, nichts nütz­ten. Sei­ne Kar­ten gin­gen ver­mut­lich, ehe mal wirk­lich eine bei der Po­li­zei lan­de­te, durch so vie­le Hän­de, dass auch der ge­wieg­tes­te Po­li­zei­be­am­te nicht mehr aus­ma­chen konn­te, was des Schrei­bers Ab­drücke wa­ren. Na­tür­lich be­ob­ach­te­te Quan­gel wei­ter die äu­ßers­te Vor­sicht. Vor dem Schrei­ben wusch er sich stets die Hän­de, er fass­te die Kar­ten nur sach­te und sehr an den Rän­dern an, und beim Schrei­ben lag stets ein Lösch­blatt un­ter der Schreib­hand.

      Was das Ab­le­gen der Kar­ten selbst in den großen Bü­ro­häu­sern an­ging, so hat­te es längst den Reiz der Neu­heit ver­lo­ren. Die­ses Ab­le­gen, das ih­nen zu­erst so ge­fahr­voll er­schie­nen war, hat­te sich mit der Zeit als der leich­tes­te Teil der Auf­ga­be er­wie­sen. Man ging in ein sol­ches be­leb­tes Haus, man war­te­te den rich­ti­gen Au­gen­blick ab, und schon stieg man wie­der die Trep­pe hin­un­ter, ein biss­chen er­leich­tert, von ei­nem Druck in der Ma­gen­ge­gend be­freit, den Ge­dan­ken »Wie­der ein­mal gut­ge­gan­gen« im Kopf, aber nicht son­der­lich auf­ge­regt.

      Zu­erst hat­te Quan­gel die­se Kar­ten nur al­lein ab­ge­legt, die Beglei­tung An­nas war ihm so­gar un­er­wünscht er­schie­nen. Aber dann mach­te es sich von selbst, dass auch da­bei Anna tä­ti­ge Mit­hel­fe­rin wur­de. Quan­gel hielt ge­nau dar­auf, dass die Kar­ten, ob nun eine oder zwei oder gar drei ge­schrie­ben wa­ren, stets am fol­gen­den Tage aus dem Hau­se ka­men. Aber manch­mal konn­te er we­gen sei­ner von Rheu­ma­sch­mer­zen ge­plag­ten Bei­ne schlecht ge­hen, zum an­de­ren for­der­te die Vor­sicht, dass die Kar­ten in weit von­ein­an­der ent­fern­ten Stadt­tei­len ver­brei­tet wur­den. Das be­ding­te zeit­rau­ben­de Bahn­fahr­ten, die an ei­nem Vor­mit­tag durch eine Per­son kaum zu be­wäl­ti­gen wa­ren.

      So über­nahm Anna Quan­gel ih­ren An­teil auch an die­ser Ar­beit. Zu ih­rer Über­ra­schung ent­deck­te sie, dass es sehr viel auf­re­gen­der und ner­ven­quä­len­der war, vor ei­nem Hau­se zu ste­hen und auf den Mann zu war­ten, als die Kar­ten selbst ab­zu­le­gen. Da­bei war sie stets die Ruhe selbst. So­bald sie ein der­ar­ti­ges Haus be­tre­ten hat­te, fühl­te sie sich si­cher in


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